Am Ende

Kurzprosa zum Thema Abgrund

von  souldeep

Illustration zum Text
Schmerzverzehr
(von souldeep)
.

Vor dem Geruch hatte sie Angst.

Schliesslich war sie seit mehr als einer Woche verstorben –
und das konnte nicht geruchlos von statten gehen…

Der Sarg schien jedoch verlässlich dicht und massiv –
in seinem matt glänzenden Weiss sogar unfassbar reinlich.

Wäre nur das Tragen nicht gewesen. Sie wusste nicht, ob sie das
schaffen könnte…dieses riesige Ewigkeitsbett mit zu halten…-
eigentlich wäre das ja eine richtige Männerarbeit.
Da keine sechs Mann zur Verfügung standen, wollte sie es nicht
nur beweisen, sondern sich aus der Not die Lücke schicken...

Als sie mitten im Friedhof anhielten, um eine kurze Pause beim Bahren
einzulegen, indem kleine Holzböcke unter die schwere Last
gestellt wurden, kriegte sie Panik, denn dieser Friedhofswärter,
der Mann, der alle anführte, fragte doch tatsächlich, ob da noch
irgend jemand sei, der die Verstorbene anschauen wolle.
Oh, Gott, lass es nicht zu!
Eine sichtbare Erleichterung hob die Schultern der Träger,
als sich niemand meldete und so schritten sie zum vorgegrabenen Loch.
Am Rande dessen war ein unglaublich hoher Haufen Erde aufgetürmt
und mit einem Stahlgitter, getarnt mit Tannenzweigen, befestigt.
Jetzt kam das Schlimmste.
Der Grat war so schmal, so unfassbar schmal. Die Schritte noch immer
zittrig ob der Vielfalt an Verlorenheit und Emotionsüberflutung…
Sie klaubte den restlichen Mut zusammen und tastete die paar
Zentimeter zwischen Erdhügel und Loch, die schwere Last des
Sarges nun nur noch auf vier Personen aufgeteilt…
Der Dirigent des Begräbnisses ordnete flüsternd an, sie solle auf
keinen Fall das Seil im Eiltempo durch die Hände schleifen lassen –
nur ganz langsam, sonst würde das Gewicht des Totenschreins ihre
Haut verbrennen.

Als alle sich umwandten, nachdem keiner in die Grube gestürzt war,
fühlte sie jede einzelne Dorne der Rosen dort im Loch mit jedem
Atemzug in ihren Lungenflügeln, den Wind wie klamme Totenfinger
unter ihrer Bluse, an ihren tränennassen Wangen, im verlorenen Herzen.
Für elend lange Augenblicke wusste sie wirklich nicht, wo sie lieber wäre:
In jenem reinen Weiss oder ausserhalb, am modrigdumpfen Erdenwall.

.

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Kommentare zu diesem Text

Herzwärmegefühl (53)
(06.02.08)
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 souldeep meinte dazu am 07.02.08:
Ja, liebe Moni, solche Lasten gehören auch zu
unserem Leben. Und es gibt sicher vielerorts
noch diese Traditions des Tragens auf dem
letzten Gang auf Erden...
Die Vorstellung, jemand Geliebten ein letztes
Mal tragen zu dürfen hat etwas Schönes an
sich...-wobei ich nun die andere Seite hier
beleuchtet habe.
Ganz herzlichen Dank dir für dein Teilen,
Kirsten.
steinkreistänzerin (46)
(07.02.08)
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 souldeep antwortete darauf am 07.02.08:
oh.
liebe Annette,
dann lass uns mal einen heilgesang finden,
damit uns diese abgründe nicht zu sehr
einnehmen können, hm?!?
ich danke dir für diese offenheit - bei mir ist
es ein realerlebnis, das allerdings schon ein
weilchen her ist...jedoch durch aktuellen
anlass aufgebrochen...

danke du.
und eine innige umarmung,
Kirsten

 AZU20 (07.02.08)
Ein schwerblütiger, gut geschriebener Text. LG

 souldeep schrieb daraufhin am 07.02.08:
ach, um die heissblütigen und leichtflügligen zeiten
im leben zu erfahren, muss mensch doch ab und an
ins dunkle tauchen, nicht wahr?!

:)
hab dank, lieber Armin, für besuch und gestirn,
Kirsten.
Balu (57)
(07.02.08)
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 souldeep äußerte darauf am 09.02.08:
weisst du, lieber balu,
du hast mich auf einen wichtigen fehler hier
hingewiesen - und zum letzten feilen mich
animiert. hab dank dafür und fürs verstehen
sowieso.
wie immer, bin ich auch hier gut begleitet und
grüsse dich von herzen,
kirsten
chichi† (80)
(08.02.08)
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 souldeep ergänzte dazu am 08.02.08:
Liebe Gerda,
ich danke dir für Deinen Besuch und das Aushalten
des Nackenkribbeln...-es ist gut, wenn er in dieser
Art berührt, der Text.

Ebenso stille und friedliche Abendwünsche zu Dir,
Kirsten
myrddin (47)
(09.02.08)
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 souldeep meinte dazu am 09.02.08:
lieber Ralph, erschrecken wollt ich dich natürlich nicht.

ja, ich denke, das thema an sich ist schon ziemlich von
angst und schreckgefahr durchsetzt, deswegen auch
das abstrahierte bild...

danke für dein mitgehen - ich freue mich, dass du es auf
diese weise erfasst hast.

herzlich
Kirsten
Woelfin (40)
(13.02.08)
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 souldeep meinte dazu am 13.02.08:
danke, du...
das ist angekommen.

:)
herzlich,
Kirsten
Symphonie (73)
(15.02.08)
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 souldeep meinte dazu am 15.02.08:
ja, liebe Ela, das wetter, das leben draussen, das
weitergehen fühlt sich fremd an. es ist nichts mehr,
wie es mal war.

danke dir für dein einfühlen und mitfühlen.
herzliche grüsse
Kirsten
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