Wasser

Kurzgeschichte zum Thema Untergang

von  Ganna

Wasser. Ringsum plätschert leise Wasser bis zum Horizont, wo es langsam heller wird und sich unauffällig mit dem Himmel eint. Überall schwappen kleine graue Wellen unermüdlich vor sich hin. Nirgendwo gibt es klare Grenzen und irgendwo weit hinten hat das Grau die Sonne verschluckt und will sie nicht mehr zeigen, nie mehr.
    Gleichgültig dümpelt es leise. Sie dreht sich in alle Richtungen und ihre Augen treffen keinen festen Gegenstand. Nirgends, nur Wasser, Luft und schwammige Wolken. Doch! Von rechts kommt langsam ein Haus geschwommen! Es ist ein hübsches Haus, weiß getüncht mit einem roten Ziegeldach in dessen Mitte ein Schornstein steht. Etwas Rauch steigt auf, feiner weißer Rauch. Zu beiden Seiten der blau gestrichenen Tür befinden sich Fenster mit ebenso blauen Fensterläden und davor wachsen rote Geranien in Blumenkästen. Ein einfacher Holzzaun umgibt das Haus. Es ist hübsch anzusehen. So malte sie als Kind Häuser.
    Es steht auf einer Schilfmatte. Wie merkwürdig, dass eine einfache Schilfmatte ein ganzes Haus tragen kann, denkt sie.
    Kann sie ja nicht! Die Schilfmatte kann kein ganzes Haus tragen! Immer mehr Wasser tritt durch das Schilf, die Matte sinkt, neigt sich leicht, dann schneller, mit ihr rutscht das Haus gurgelnd hinein ins Nass, tiefer, die Fensterläden und glucksend zieht das Dach Strudel nach. Kurz zischt es noch, schimmert wie Erinnerung rötlich durch die Oberfläche des Wassers, dann ist alles wieder grau, still.

    Totenstill. Sie sieht nur Wasser, das in der Ferne an den Himmel reicht, dort, wo längst vergessene Sehnsüchte umhertreiben und unaufhörlich vergebens nach Erfüllung suchen.
    Ihre Hoffnung sucht nach einem Halt. Langsam dreht sie sich im Kreis. Wasser, leise vor sich hinschwappend. Nichts als Wasser. Nein! Da kommt noch einmal ein Haus von rechts. Es ist ein nettes Haus mit einem roten Ziegeldach. So ein Haus wollte sie immer haben und mit Mann und Kind darin wohnen. Ein einfacher Zaun aus Holz umgibt das Haus, das auf einer Schilfmatte steht. Aber eine Schilfmatte kann kein ganzes Haus tragen, sie weiß es doch! Die Schilfmatte schaukelt leicht, Wasser tritt hindurch. Ja, sie sieht es, es sinkt, das Haus, tiefer und tiefer hinab, schräger, gluckert schneller bis es fort ist. Es war ein hübsches Haus, das da noch rötlich zu ihren Füssen schimmert. Nun ist es fort.

    Doch wieder kommt ein Haus von rechts. Es steht auf einer Schilfmatte. Aber eine Schilfmatte kann kein ganzes Haus tragen! Es sinkt, tiefer, weiter, bis sie nur noch das rote Dach schimmern sieht. Da kommt wieder ein Haus geschwommen. Aber eine Schilfmatte kann kein ganzes Haus tragen! Und wieder kommt ein Haus von rechts. Es ist ein hübsches Haus. Langsam sinkt es unter Wasser. Und wieder, eines nach dem anderen sinkt, wieder.

    Sie steht und schaut und zählt die Häuser und blickt in die Ferne, fort zum Horizont, der sich an den Himmel schließt, bemerkt einen hellen Schimmer, zieht dann ihren Blick zurück und schaut auf die Schilfmatte zu ihren Füssen. Wasser tritt schon hindurch.

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Kommentare zu diesem Text

Francisco_Wilando (54)
(19.02.08)
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 Ganna meinte dazu am 20.02.08:
Ich glaube nicht, dass viele Leute ein schlechtes Gewissen haben, ob sie den Text nun kommentieren oder nicht. Es ist ja möglich, ihn auf verschiedene Weise zu verstehen.

Liebe Grüsse von Ganna

 Hoehlenkind (19.02.08)
Traumhaft. Wie die Häuser schwimmen können, solange kein Zweifel ist an dem, was sie trägt. Der analytische Blick ("Die Schilfmatte kann kein ganzes Haus tragen!") ist es, der hier das Versinken der Häuser auslöst. Bei manchen Dingen ist es wirklich so, daß der Glaube trägt und der Untergang erst beginnt, wenn er in Zweifel gezogen wird.

Liebe Grüße, Jobst

 Ganna antwortete darauf am 20.02.08:
Auf irgendeine Art schaffen wir alle das, was uns begegnet und unser Glaube oder unser Vertrauen kann viel bewirken.
Schön, dass Du es so siehst,
hab' einen guten Tag!
Ganna
NachtSchwärmer (57)
(19.02.08)
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 Ganna schrieb daraufhin am 20.02.08:
Liebe Ute,

Du hast es richtig erkannt, es handelt sich um ein Traumbild, das ich zu einer Geschichte verarbeitet habe. Doch ich habe immer nur meine eigenen Träume zu deuten versucht.

Dein Gedicht dazu gefällt mir gut, es ist viel farbiger als mein graues Wasser und bringt gleich alle vier Elemente mit ins Spiel.

sei lieb' gegrüsst
Ganna
NachtSchwärmer (57) äußerte darauf am 20.02.08:
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 Sanchina (25.01.14)
Ich hör jetzt erst mal damit auf, deine Texte zu lesen; sonst erschlägt dich heute noch ein Sternenregen!
Liebe Grüße, Barbara

 Ganna ergänzte dazu am 26.01.14:
Liebe Barbara, hab`Dank, ich freue mich über die vielen Sterne...sie erleuchten Herz und Himmel und weisen den Weg...liebe Grüße von Ganna
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