Kindheitserinnerungen Teil II

Roman zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Cassandra

Meine kleine Schwester wuchs heran und gab mir endlich die Möglichkeit ihr zu zeigen, wo der Hase lang läuft. Im Sommer 1961, es war tierisch heiß, bekamen wir jeweils einen Groschen, um bei einem Eismann, welcher in einem naheliegenden Büdchen die Köstlichkeiten anbot, zu kaufen. Zu seinem Schutz hatte er einen großen Mischlingshund und dieser döste auch an diesem Tag in der Sonne vor sich hin. Meine Schwester und ich kauften die Eistüten und wollten uns von dannen machen - der Hund wurde wach und hatte anscheinend das Bedürfnis, mit uns Kindern zu spielen. Er rannte uns hinterher und wir nahmen die Beine in die Hand. Meine waren natürlich länger, als die meiner kleinen Schwester und so rief ich wohlwollend über die Schulter "mach schneller, sonst beisst er dich". Das arme Ding geriet daraufhin in noch größere Panik, sie stolperte und fiel der Länge nach hin. Das Eis lag vor ihr auf dem Boden, der Hund stand über ihr und ich rannte und rannte. Daheim angekommen konnte ich auf die Frage nach meiner kleinen Schwester nur stottern und bekam gehörig die Leviten gelesen. Natürlich kam Christiane, bis auf ein blutendes Knie, unversehrt nach Hause. Das Eis hatte, wie sie berichtete, der Hund vom Boden aufgeschleckt und sie weinte bitterlich.

Mittlerweile hatte für mich auch die Schule begonnen. In unserem Klassenzimmer stand auf dem Lehrerpult ein kleines, halbnacktes "Negermännchen". Warf man ein Geldstück in die dafür vorgesehene Öffnung nickte das Kerlchen mit dem Kopf und gab dabei ein unheimliches Geräusch von sich. Ich kam aber, aufgrund immer noch chronischen Geldmangels in unserer Familie, nur sehr selten in die Verlegenheit dieses Geräusch hervorzurufen.

Meine schulischen Leistungen waren recht gut. Unsere Lehrerin bemerkte fast zwei Jahre nicht, dass ich zwar schreiben konnte, beim Lesen aber enorme Schwierigkeiten hatte. Bis eines schönen Tages mein Vater zum Wochenende nach Hause kam und mich aufforderte, die letzte Geschichte, welche wir gerade durchnahmen, vorzulesen. Ich ratterte das Ding runter, auswendig kannte ich jeden Text im Lesebuch. Mein Vater war zufrieden und verlangte dann auf einmal: "Lies den Text mal aus der Mitte." Er zeigte auf eine Zeile und wartete und wartete und wartete... Ihm platzte der Kragen: "Wirst du jetzt endlich lesen, oder...?" Er schaute mich verdutzt an  um dann, nach Momenten angestrengten Überlegens,  zu schreien: "Du kannst garnicht lesen. " Sein Kopf lief rot an und er brüllte: "Edith, komm her, das Kind hier geht in die zweite Klasse und kann nicht lesen." Er schnaufte wie ein wildgewordener Bulle und ich befürchtete schon, dass er platzte.

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