Friss oder stirb

Gedicht zum Thema Alltag

von  Isaban

Was ich am meisten fürchte lauert
im Dunkel, hinter meinen Lidern.
Ich weiß, ich muss den Blick erwidern,
das Untier fordern, das dort kauert,

die Bestie im Unterholz,
die mich taxiert und manchmal frisst.
Der Ausgang stinkt und das vergisst
man schwerlich, sammelt sorgsam seinen Stolz,

um nicht nach Lemmingart zu fliehen.
Wer weder Monster kennt noch Narben,
wem niemals alle Träume starben,
weiß der wohl in den Kampf zu ziehen?

So reich mir meinen Trotz auch heute,
den graden Nacken und die Wut,
den Hunger und den Rest von Mut.
Es lebt sich selten gut als Beute.

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Kommentare zu diesem Text


 GillSans (24.02.08)
Da steckt viel viel Wahres drin, das ich nur unterstreichen kann.
Lieber Fressen als Sterben, wer anderes wählt, wäre verloren in unserer Gesellschaft.
Wer anderes sagt, lügt.
Ich mag Deinen Text sehr, auch wenn er sehr gesellschaftkritisch ist, vielleicht gerade drum.
Schleimen kann man woanders.
Beim Finanzamt z.B. LACH
Aber mal spass beiseite, es steckt viel Lebensweisheit darin
und ich kann dies nur unterstreichen.
Herzlichst, die Gill

 Isaban meinte dazu am 24.02.08:
Vielen Dank, Ines, für deine Rückmeldung. (Boah, warst du schnell! ) )
Ich freu mich.
Eine sehr stimmige Interpretation meiner Verse, die mir zeigt, dass die von mir beabsichtigte Übertragbarkeit meiner Zeilen auf diverse Bereiche funktioniert.
Viele liebe Grüße und die besten Wünsche für einen schönen Sonntag,

Sabine
Farnaby (41)
(24.02.08)
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 Isaban antwortete darauf am 24.02.08:
Alpträume sind in diesem Falle eine durchaus mögliche und stimmige Interpretation und ich denke, dass auch auf dieser Ebene der Text ganz gut funktioniert. Du weißt doch, die Auslegung eines Gedichtes bleibt immer dem einzelnen Leser überlassen, lieber Daniel.
Hab vielen Dank für deine Rückmeldung und das Lob für mein Gepuzzle.
Beste Sonntagsgrüße,
Sabine

 Erebus (24.02.08)
Liebe Sabine,

es ist für mich hochinteressant, die Änderungen an Deinem Text abzulesen und zu sehen, wieweit auch mir an den betreffenden Stellen etwas auffällig erschien.
So hast Du den ersten Vers geschmeidiger geschrieben, was dem Leser einen verbesserten Einstieg erlaubt.
Ebenso hast Du Hamsterrad und Degen entfernt. Insbesondere zu letzterem hätte ich Dir auch geraten. Der knallte regelrecht aus Deinem Gedicht hervor.
Der Kampf ist nun eine wesentlich verbesserte Wahl und auch, dass das "vielleicht" getilgt ist, bekommt dem Text gut.

Was von meinen Einwände dann noch übrigblieb:
"Der Ausgang stinkt" - das gefällt mir nicht. Ich weiß, die Zweideutigkeit ist verführerisch, aber es triftt für mich auf beiden Ebenen nicht richtig.
Denke ich an eine Höhle, eine tierische Behausung, so mag der Ausgang stinken, aber er stinkt vermutlich weniger, als der eigentliche Innenraum.
In sofern ist der Ausgang immer noch ein Ausgang, aber er wird in diesem Text sozusagen um diese Eigenschaft betrogen. Das klingt für mich ein wenig nach sprachlicher Willkür.

Auf der anderen Ebene, wenn damit der unsaubere Ausgang einer Entwicklung, bspw. eines Streites gemeint ist, in der Art eines "faulen Kompromisses", dann fehlen mir dazu die Bezüge.
Warum haben wir hier einen stinkenden Ausgang? Dazu müßte ich inhaltlich bereits entschlüsselt haben. Albträume, mutmasst Farnaby, ich denke an Ängste, es könnten aber auch "bloß" die Auseinandersetzung mit unakzeptierten Gedanken sein, die unter dem Moralverschluß konserviert liegen. Oder oder, und vermutlich ist es etwas ganz anderes.
Mir gelingt es bis zum Schluß nicht, das zu entschlüsseln. Also, sage ich mir, liegt vielleicht gerade in diesem stets verbleibenden Gestank ein wichtiger Fingerzeig.
Was lauert hinter den Lidern und bleibt stets unbehoben? Mir fällt nichts ein, ich bin Optimist.
Aus diesem Grund bleibt mir die Formulierung "Der Ausgang stinkt" bis zuletzt unklar und auffällig.

Der Hamster ist fort, die Lemminge stehen stattdessen dort, nach dem Volksglauben das wesentlich verbesserte Bild, das allerdings der Wahrheit naturwissenschaftlicher Erkenntnisse spottet.
Lemminge fliehen nicht, das ist projezierte Dummheit, aber wir Dichter dürfen da: wir lassen Reinecke schlau und Isegrimm boshaft und den Lemming einen roboterhaften Selbstmörder sein. Ratten verlassen sinkende Schiffe, Kapitäne gehen zuletzt. Die sind voller Pflichtgefühl, weniger voll Stolz, letztedlich ist es nur die Angst um den Job und die Reputation, aber sie gehen später. Will LI also Käptn sein. Auch LI, hier allerding als "man", geht letzten Endes, so denke ich. Denn: wenn nicht, was stänke dann? Aber "man" geht stolzen Hauptes.
Da wäre also noch ein klitzekleiner Einwand: der umfangreiche Ausflug mit dem neutralisierenden "man", den das LI unternimmt.

Nun noch zu S4. Der grade Nacken steht nach meinem Empfinden nicht für Trotz sondern für tugendhaftes Einstehen. Und weil Nacken ein eher seltenes Bild ist, denke ich hier an Ledernacken, an Rednecks, an etwas tumbe Kampfmaschinen - aber das ist wirklich etwas weit hergeholt. Nichtsdesto: Trotz, so meine ich, der bedeutet einen steifen Nacken, keinen graden. Aber vielleicht kommt das alles zusammen, was dann wieder tugendhaft ist.

Hier stößt noch ein LD hinzu, nachdem LI grade von seinem normativ begründeten Ausflug zu sich zurückkehrte. Wer ist LD? Der Leser, der um Beistand angegangen wir, der eigene Verstand, ein Gott?
Das ist wohlgemerkt kein Einwand, es ist etwas, von dem ich das Gefühl habe, ich müsse es klären, um den Text zu verstehen. Dennoch gelingt es mir nicht.
Andererseits ist dies ein Text, der in mir nach konkreter Aufklärung verlangt, keiner, den ich als vexierbares Spiel der Möglichkeiten akzeptieren will.

Was mich dann auch wirklich stört, das ist wiederum die doppelte Lesbarkeit des letzten Verses. Weil ich zunächst nur die "ausgesucht selten" las, also im Sinne von kostbar. Was will sie mir? - frug ich mich.
Nun, das hast Du so beabsichtigt. Du foppst mich!

Insgesamt gut gemacht, aber in meinen Augen nicht so gut, wie Du kannst.
Und jetzt verrate mir bitte, worum es geht.

LG
Uli

 Isaban schrieb daraufhin am 24.02.08:
Lieber Uli,

die Punkte, auf die du dich beziehst stammen aus einer Arbeitsfassung, die hier nicht zu lesen war. Das, was ich zeigen will steht beim Schreiben schon fest, daran, wie ich es am besten herüber bringe feile ich meist in mehreren Anläufen. Meine ersten Fassungen sind oft noch zu sehr von meiner Umgebung geprägt, um die Bilder deutlich auszubreiten, ein Grund, warum ich "werdende" Texte immer noch mehrmals beiseite lege, um sie später etwas objektiver betrachten zu können. Der Hamsterhäfig, das Hamsterrad war eine prompte Assoziation aus meiner üblichen Greräuschkulisse, ist allerdings eine Metapher, die schon sehr oft verwendet wurde, so dass ich sie verwarf, ebenso, wie den Degen, der einer Kostümfilmassoziation entsprang und mir später als Waffe im Kontext nicht mehr zweckdienlich erschien.

Die Lemminge, lieber Uli, stehen hier nicht als Bild eines Massensuizids. Ich kenne zwar den alten Disney-Film, aber ich hatte hier eher die Lemminge vor Augen, die sich in großen Zügen konform über das Land bewegen, ins Wasser springen, wenn der erste ins Wasser springt (sie können übrigens schwimmen), die sich, wenn die Umgebung zu "eng" wird, die Nahrung zu knapp, in regelmäßigen Zeitabständen (bei Lemmingen etwa alle 3-5 Jahre) so dezimieren, selbst ausrotten, dass nur noch wenige starke Tiere überleben und neue Gruppen bilden können, die sich dann wie kleine Rasenmäher in Zügen über das Land bewegen, bis es so kahlgefressen ist, dass sich das Völkchen wieder auf seine eigene Weise selbst dezimieren muss. Ein Volk, das, wenn man es genau betrachtet, immer vor sich selbst und den Auswirkungen seines eigenen Handelns auf der Flucht ist - sich selbst ein größerer, ein gefährlicherer Feind, als alle seine seinen Fressfeinde zusammen.

Das oft erstaunlich explosionsartige Massensterben geschieht übrigens im Prinzip durch Stress/diverse Stressfaktoren.
Wenn die Futtergründe abgegrast sind, führt die entstehende Futterknappheit unter den Tieren zu einem Anstieg von Aggression und Konkurrenzkampf, was sich natürlich (wie bei Menschen unter Stress) umgehend auf den Hormonhaushalt und damit negativ auf die Fertilitätsrate auswirkt. Zudem schwächt der zunehmende Stress das Immunsystem, was die Tiere anfälliger für Parasiten und Infekte macht und somit zu den gravierenden Populationsschwankungen führt. Aber das nur nebenher.

Ein grader Nacken ist ein aufrechter Nacken, hier im Gegensatz zu einem gebeugten. Ein gebeugter Nacken bedeutet gebeugte Haltung, Aufgabe, Kniefall, Unterwerfung vor dem Feind. Jemand, der aufrecht steht, hat einen graden Nacken, ist bereit zum Kampf, zeigt vielleicht sogar Starrsinn (halsstarrig), ist nicht bereit, den Kopf vor jemandem oder vor etwas zu beugen, zeigt Haltung, im weiteren Sinne natürlich, dem Bild entsprechend auch Stolz und Ehrenhaftigkeit (Tugend und Moral, wenn du es unbedingt so ausdrücken willst) - Unbeugsamkeit.

Dein Einwurf bezüglich des "man" ist sehr nachvollziehbar. Mir ging es an dieser Stelle wirklich darum, die Übertragbarkeit darzustellen. Ich werde noch einmal darüber nachsinnen, ob hier die Verallgemeinerung dem Inhalt weniger zuträglich ist und eventuell ändern.

Zum letzten Vers:
Aber Uli, würde ich dich je foppen?


Ich glaube, deine letzte Frage ist mit meinen Ausführungen nicht beantwortet, oder?
Alter idem - alter ego...
Ein Gebet um Kraft. Zu Gott? Nur ein Selbstgespräch? Bitte an ein Lyrisches Du um Hilfe? Das kommt wohl auf die Definitionen, die Lebensbetrachtungsweise an, die Überlebensmöglichkeit oder den Halt, die man für sich selbst gefunden hat. Es ist ein Kräftemobilisieren. Eine vollständige Interpretation mag ich hier nicht vorgeben, da soll noch ein wenig Raum bleiben, den jeder Leser für sich selbst füllen kann, wenn er mag.

Hab vielen Dank für deine intensive Beschäftigung mit meinem Text, die interessanten Reflexionen und die Anregungen.

Liebe Grüße
Sabine



Edit: Ach ja, der stinkende Ausgang...
Wenn man gefressen wird, wo landet man dann? Richtig. Und wie fühlt man sich dann vermutlich? Durchgekaut, verdaut und - und wo ist in diesem Falle der Ausgang? Jep. Und da kommt man nun einmal selten sauber und geruchsneutral raus.
(Antwort korrigiert am 24.02.2008)

Noch'n Edit, ein "sind" zuviel.
(Antwort korrigiert am 24.02.2008)

 Isaban äußerte darauf am 24.02.08:
Sodela, das "man" in S1 entfernt und eine gewisse Schwere hinzugefügt. Das andere "man" in S2 muss bleiben um die Übertragbarkeit zu zeigen, dort gehört die Verallgemeinerung einfach hin.

Danke noch einmal für die Anregung, Uli.
Liebe Grüße,
Sabine

 AZU20 (24.02.08)
Wenn man nicht sterben will, liebe Sabine, muss man den Kampf gegen die Bestie annehmen, gegen den Feind in seinem Inneren. Also Fressen statt Gefressen zu werden. Auf in den Kampf. LG zum Sonntag

 Isaban ergänzte dazu am 24.02.08:
Keine schlechte Auslegung meiner Zeilen.
Im letzten Vers stand in der ersten Arbeitsfassung:
Ich will der Löwe sein, nicht Beute.
Ich änderte das ab, weil jeder beides ist, je nach Situation, Tagesform oder Alptraum, je nachdem, wie man es für sich interpretiert.
Hab vielen Dank für deine Rückmeldung, Armin.
Liebe Grüße,
Sabine
(Antwort korrigiert am 24.02.2008)

 AZU20 meinte dazu am 24.02.08:
So wie sie jetzt ist, ist sie freilich subtiler, trifft aber die Aussage ebenso gut. LG

 Isaban meinte dazu am 24.02.08:
Herzlichen Dank, Armin.
chichi† (80)
(24.02.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Isaban meinte dazu am 24.02.08:
Ich hoffe, du magst beide Bedeutungen, liebe Gerda.
Besten Dank für deine Gedanken zu meinem Gedicht.
Hinterm Spiegel - ein gutes Versteck für etwas, dem man nicht so gern ins Auge sehen möchte, nicht wahr?

Viele Grüße in dein Restwochenende,

Sabine
chichi† (80) meinte dazu am 24.02.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 souldeep (25.02.08)
ja, es ist alles schon gesagt, meine ich, liebe Sabine - und doch stinkt auch mir der ausgang ein bisschen...
;)

der bogen vom ersten vers zum letzten tut gut, das
sich recken und sich stellen tut einfach gut.

:)
herzliche grüsse in eine kaftvolle woche,
Kirsten

 Isaban meinte dazu am 27.02.08:
Ich fürchte, dieser Ausgang muss ein bisschen stinken, liebe Kirsten. Wo läge denn sonst die abschreckende Wirkung? Hab lieben Dank für deine Rückmeldung und die guten Wünsche. Und ja, Konfrontation ist immer besser als Flucht.
Viele Grüße und auch dir eine gute Woche,
Sabine
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