Genie und Wahnsinn XXIII: Edvard Munch (1862-1944)

Essay zum Thema Wahnsinn

von  JoBo72

Der norwegische Maler Edvard Munch zählt zu den bedeutendsten Wegbereitern des Expressionismus in Europa. Seine zahlreichen Gemälde sind im Munch Museet in Oslo zu bestaunen, das 1962 – zum 100. Geburtstag des Künstlers – eröffnet wurde.

Munch hatte das, was man wohl eine schwere Kindheit nennt: Als er fünf ist, stirbt die Mutter und mit 14 erlebt er die Tuberkolose-Erkrankung und den Tod seiner ein Jahr älteren Schwester hautnah mit. Als Munch 27 ist, stirbt schließlich auch sein Vater.

Mit der Malerei versucht er, diese Erfahrungen zu verarbeiten. Seine Bilder zeigen Weltangst, Einsamkeit, Melancholie, Krankheit und Tod. Weltberühmt ist der Schrei (1893). Es ist ein Schrei der Verzweiflung, einer Verzweiflung, die Munch des öfteren überwältigt hat, denn zu seiner schwierigen Biographie tritt eine manisch-depressive Psychose hinzu.

Dennoch begab sich der schwerkranke Maler nicht in therapeutische Behandlung, seinen extremen Stimmungsschwankungen zum Trotz. Eine Therapie, so fürchtete er, könne seine enorme Schaffenskraft auslöschen. Munch sagt: „Ich möchte diese Leiden behalten, sie sind Teil von mir und meiner Kunst. Ohne Angst und Krankheit wäre mein Leben wie ein Boot ohne Ruder.“

Kreativität aus dem Leiden gezogen, wie Honig aus der dornigen Rose. Eine Strategie, die von nicht wenigen Künstlern wie Munch verfolgt wurde, bei denen außergewöhnliche Begabung und geistige Verwirrung, Genie und Wahnsinn, in nachbarschaftlicher Nähe lagen. Eine Strategie, die neben dem reichhaltigen Ausstoß an hochwertiger Kunst in erster Linie dazu diente, den Geist vor dem Zerfall zu bewahren. Eine Strategie, die in ihrer heroischen Haltung zur romantischen Verklärung der psychischen Krankheit ebenso beitrug wie zu der wichtigen Erkenntnis, dass Kunst und kreatives Tun einen bedeutenden Aspekt jedes ganzheitlichen Heilungskonzepts darstellen.

Kreativität als Ausweg aus der Krise, künstlerische Aktivität als Teil der Therapie. Heute ist dies selbstverständlich: Zeichnen, Malen, Tanzen, Musizieren und Schreiben sind anerkannte Therapieformen. Im 19. Jahrhundert wehte in der Psychiatrie aber noch ein anderer Wind. Munch erkannte, dass ihnen die selbstverordnete Kunsttherapie mehr helfen würde als das damals übliche „psychotherapeutische“ Programm.

Das Ergebnis ist damals wie heute: Psychiatrische Patienten profitieren von der künstlerischen Aktivität - und andere Menschen wiederum von ihrer in der Therapie geschaffenen Kunst. So manches therapeutisch gemalte Bild gelangt in die Galerie und erzielt Spitzenpreise. Denn nicht nur bei Munch begegnet uns die Kunst psychisch Kranker auf höchstem Niveau.

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Kommentare zu diesem Text


 Winterwanderer (01.03.08)
Der Schrei ist in Jedermanns Kopf. Munch hat ihn nur materialisiert. Er ist nicht psychisch krank gewesen, ihm fehlte nur eine normale Welt. Klasse deine Essays. Danke. LG
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