Lukas stirbt

Kurzgeschichte

von  beneelim

Heute ist Lukas gestorben. Seine Mutter rief mich vor zwei Stunden an und erzählte mir, er hätte sich vor den Zug geworfen. Sie heulte ziemlich. Wusste nicht, was ich sagen sollte, also erzählte ich ihr etwas von lieben Erinnerungen und dem Frieden, den er jetzt sicher gefunden hat. Das Begräbnis ist am Donnerstag.

Die Party bei Mike ist mau. Die Hälfte der Leute kenne ich nicht, und ich bemühe mich, dass es so bleibt. Maria ist auch dort, sie stürmte gleich auf mich zu und Küsschen links, Küsschen rechts, wie geht’s denn so, lange nichts gehört. Habe sie angelächelt. Sie ist jetzt dabei, eine Heilerin zu werden, da gibt es irgendwo so ein Dorf nach keltischem Vorbild und dort ist sie bei einer Druidin in einem Lehrgang, der kostet zweitausend Euro im Jahr. Dauer ungewiss. Ich habe weiter gelächelt. Chico kam zur Rettung, er packte mich energisch am Hemdsärmel und zog mich mit auf die Toilette. Zwei wirklich großzügige Nasen. Er ist ein Scheißtyp, wischt sich den Arsch mit Geld ab, das er von denen kassiert, die noch nicht wissen, dass sie Ware von doppelter Qualität um den halben Preis auch auf der Straße bekommen können. Dazu der gelackte Mittelscheitel und ein widerliches Kellnergrinsen. Aber das Zeug war Eigenbedarf, eindeutig. In der Kabine nebenan vergnügt sich ein Pärchen und sie summt „Amazing Grace“, während er sie leckt. Wir starren uns mit immer größer werdenden Augen an, reden mit Händen und Füßen; er hatte Stress mit den Bullen, weil die Kunden eben immer feiger werden und ich grinse, erzähle von meiner Mutter, und wie sie mein Vater mit ihrem Liebhaber erwischt hat vergangenen Samstag, sie ist jetzt bei ihrer Schwester und der Typ im Krankenhaus. Wir wiehern. Dann machen wir ein bisschen rum und am Boden kullert ein Button, auf dem steht „Gott ist in uns allen - Ich wünschte, meiner wäre auch so groß“.

Wieder draußen treffe ich Leon, den Engländer. Sieht wie immer blendend aus und hat irgendeine Blondine im Schlepptau, die lächerlich vor sich hin schmunzelt, ab und zu die Zähne bleckt und mir ein recht angeheitertes „Hello“ entgegenhaucht. Sie hat die größten Titten seit Lolo Ferrari. Leon wirft mir den ganzen Abend verschmitzte Blicke zu und ansonsten knutscht er mit seiner neuen Freundin, die wohl im Solarium eingeschlafen ist, lässt sich voll laufen und weidet sich am Neid seiner Kollegen aus dem Leichtathletikverein. Inzwischen nimmt mich Klara in Beschlag, trotz meines mangelnden Selbstbewusstseins wage ich die Behauptung, sie will was von mir. Sie neigt sich ständig vor beim Reden, ich sehe in ihren Ausschnitt und entdecke drei immens lange, schwarze Haare, die zwischen ihren Brüsten wachsen. Das kommt mir komisch vor, aber ich kann mich zusammenreissen. Sie meint, ich wäre scharf auf sie, also erzählt sie mir von Foucault und seinem Sexualpessimismus, von Freud, diesem alten Chauvi-Schwein, der an Krebs krepiert ist und recht geschieht ihm, und Nietzsche hat seine Schwester gefickt und ich lächle. Irgendwann habe ich das mal besser gewusst, denke ich mir, und während das Koks so richtig mit mir abfährt, erzähle ich ihr wortgewandt von meinen Fortschritten bei der Arbeitssuche, dass die Berater des Arbeitsamtes völlig humorlose Aasgeier sind, die oftmals nicht einmal wissen, wer Monty Pythons sein sollen, und die die Zusammenhänge zwischen angebotener Macht und ihren eigenen psychologischen Strukturen noch nicht durchschaut haben. Klara lacht ganz herzlich bei all dem Müll, den ich ihr zum Besten gebe, und sie verdreht die Augen, wenn es angebracht ist. Sehr ordentlich. Da entdecke ich Thomas und ich lasse sie sitzen, weil ich bemerke, wie mein Arsch in dieser verfluchten Leinenhose zu schwitzen beginnt.

Thomas steht mit einem Glas in der Ecke und starrt vor sich hin. Ich zupfe ihn am Ärmel und hallo, wir schütteln uns die Hände. Er wartet auf Chico, der vor einer knappen Stunde weg ist zum „Einkaufen“. Ich lade ihn auf meine letzten beiden Nasen ein und wir schleichen nach oben in Mikes Schlafzimmer. Der gute Mike bekommt im übrigen von seiner eigenen Party nicht mehr allzu viel mit, weil seine Freundin ihm eine Tower3-Bong geschenkt hat, die zwei Meter hoch ist und der Filter fasst 50 Gramm.
Wir verziehen also den Rest Koks und Thomas erzählt mir, dass seine Freundin wieder schwanger sei und er irgendwie Angst bekommt, weil die Verantwortung jetzt immer größer wird. Natürlich ist das wunderschön, er würde mit niemanden tauschen wollen, aber trotzdem, er hat Zweifel, ob er dem wohl gewachsen ist. Ich werfe den Kopf zurück und schmecke das Koks den Hals hinunter rinnen. Entdecke zwei Pornos in Mikes Bücherregal und frage mich, wie viel ihn dieser Rückprojektionsfernseher wohl gekostet hat. Thomas senkt den Kopf und rückt etwas näher, es freut ihn, dass ich ihn so nehme wie er ist. Ich lächle. Er zittert ein wenig vom Koks und ich halte seine Hand. Neben dem Bett liegen drei Kartons vom Pizza-Mann und eine Ein-Band Ausgabe von „Der Herr der Ringe“, dieselbe, die ich einmal hatte, bevor sie vom Dobermann meiner Exfreundin zerfetzt worden war. Thomas fürchtet sich und ich nehme ihn in den Arm und langweile mich, weil er nicht sagt, das ich ihm einen blasen soll. Ich grinse kurz, als ich zwei „Hanni und Nanni“ Bücher entdecke und wir knutschen ein wenig herum und ich fasse ihm in den Schritt. Er springt auf, er kann nicht, es tut ihm so leid. Und Chico wartet sicherlich auch schon. Natürlich. Ich falle im Bett zurück und bemerke mit einem Mal, wie beschissen die Musik den ganzen Abend eigentlich schon ist. Auf der Decke sind phosphoreszierende Sterne aufgeklebt. Thomas läuft nach unten und ich hole mir einen runter und heule kurz.

Heute ist Lukas gestorben. Das Begräbnis ist am Donnerstag. Ich schlafe ein.

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Kommentare zu diesem Text

Caryptoroth (37)
(01.03.08)
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Nicola (80)
(01.03.08)
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 Dieter_Rotmund (23.12.19)
Handwerklich sehr ordentliche, typische, (noch) zeitgenössische Jugendliteratur im Christian-Kracht-Stil mit leichten Bret-Easton-Ellis-Anklang. Nun, ja.

 Dieter_Rotmund meinte dazu am 05.07.20:
P.S.:
voll laufen -> volllaufen
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