Das Boot

Innerer Monolog

von  Alpha

Schrkschrk. Schrkschrk schrak ... mache ich, wie ein Tier, dem man diesen Laut zuordnen würde. Ich kenne weder dieses Tier noch habe ich jemals vorher diese Töne von mir gegeben, doch nun ist es passiert und es verwundert mich nicht.
Ich flatter wild mit den Armen, womit ich das Boot zum Schaukeln bringe, das aber angesichts meines großen Ziels völlig übersehe. :Ich will dem Wind zeigen, wo mein Segel ist, wo er hineinpusten und schieben muss, denn mein Segel ist ersichtlich nicht erkennbar als Objekt dieser Welt, denn mein Segel ist erkennbar nicht ersichtlich.
So fuchtel ich dem Wind einen Landeplan aus Gestikulationen, forme mit Daumen und Zeigefingern einen Kreis, der über dem Brustbein liegt, sich dann teilt, meine Hände zeichnen mehrere Strecken über Ohren und einem gedachten Punkt halblinks oberhalb meiner (linken) Schläfe zu den Augen hin und wieder zurück zum Ausgangspunkt in Form zweier als Nadel und Stöckchen getreckter Zeigefinger, und als ich fertig bin, bedeute ich das auch dem Wind und reiche ihm meine Zeichnung, mit Notizen am Rand, mit Widmung und Kusshand, dass er nun wisse, wo er sich das Segel zu denken habe.
Eine ganze Weile stehe ich da und warte, auf der Oberlippe liegt immer noch die schwindende Krümmung des Pustemundes, ich warte und warte und Nichts passiert. Meine Arme fühlen sich so schrecklich sinnlos, wie sie nur so da hängen und die dreckigen Hände tragen müssen, dass sie mir Leid tun. Währenddessen warte ich. Und warte ... Natürlich zweifel ich an mir, ich frage mich, ob wohl mein Plan ungenau gezeichnet war, ob ich gar etwas vergessen oder einen Randstreifen zu viel gezogen, gar eine ganz falsche Sprache benutzt habe?!, doch nein, nein, ich bin ja vielleicht nicht ganz einig, aber so schlimm ist es nun auch wieder nicht. Er wurde also aufgehalten oder hat gerade anderweitig zu tun, ich bin sehr wohl auch recht erzogen, weiß von Geduld und diesen Dingen, mit denen man ein Warten füllen kann, zumindest so bis zum hinteren Teil des zweiten Drittels, und das reicht dann auch, ein erfülltes Leben ist schließlich auch nicht sehr viel mehr.
Nun gut, also setze ich mich. Das durch mein Körperarmeschlenkern verursachte Schwanken meines Bootes ist jetzt schon fast nicht mehr erinnerbar, so fest fahren wir auf der Mitte eines Wellentals. Schienen!. In diesem Moment bin ich mir dessen sicher. Erleichtert lehne ich mich zurück, das Brett unter meinem Po ist sommerholzwarm und duftet auch so, es ist wirklich herrlich. Ich habe die Augen geschlossen, um besser sehen zu können, was ich fühle. Wenn ich die Füße bewege, kann ich die Erde kitzelnd spüren, die Welt zu meinen Füßen (sagt man deswegen), sie ist so überall eisig und heiß nebeneinander in ihren kleinsten Teilchen und Körnchen, von ganz weit weg weder das Eine noch das Andere, und es ist wunderbar, wenn man von Beidem weiß. Lehre der Distanzen.
Für ein paar schlingernde Minuten synaptische Ewigkeiten bewege ich mich als körperloses Auge durch die Welt (besser gesagt als ... Augenohrenwange), als Moment des Zweifelns und der Offenbarung;
sehe :die Menschen wie Hühnerflöhe oder kantig aufgeworfene Faltengebirge, berge :mich zwischen den Kribbeleien zweier aneinander denkender Liebende, studiere :Farben und Formationen aufgespannter Regenschirme einer Massenveranstaltung, spaziere :zwischen den Härchen eines ringlosen Ringfingers, bin :das Erkalten eines fallenden Speicheltropfens, eine Sinnestäuschung, ein Hämoglobinklumpen aderaufwärts, halte :eine warme Kinderhand und kann das Gesicht dazu nicht finden – weder das des Kindes noch das meinige – harre im Zögern einer Bitte, ein serviles Flehen, dann verliere ich den Überblick.
Ich erinnere mich noch ganz genau an den Tag, an dem ich etliche Eimer Erde in das Boot kippte – und auch jenes Gefühl kehrt zurück mit jedem weiteren Eimer, den ich in Gedanken heran trage; der schmale Metallträger drückt sich schneidend in meine Handflächen, weil ich auch noch so tragen muss, dass ich den Bizeps trainiere, die Sonne lacht aufmunternd durch ein Gefranse einzelner Haare, die sich aus dem Zopf gewunden haben, um mir in ungünstigen Momenten Nase und Wangen zu kitzeln, ich verteile die Erde gleichmäßig, streiche sie glatt, rot und braun, kleine Steinchen, bis vom Holzboden nichts mehr zu sehen ist, lasse den Eimer irgendwann fallen und steige ins Boot. Dann sind wir fort.

Nichts zu haben hatte ich mir leichter vorgestellt. Man verfällt dem Glauben (der Hoffnung), mit all den Dingen gingen auch die Gründe, sich sorgen zu müssen. Doch hat man dabei sich selbst vergessen und all Das, was nicht gegenständlich ist, und wenn man erkennt, dass all das Nichtgreifliche das Einzige ist, was man noch besitzt, es mehr noch besitzt als alles Greifbare auf der Welt, es aber dennoch nicht zu fassen bekommt, um es zu halten oder weit weit weg zu werfen ... dann kommt man sich mächtig blöd vor. Doch all die Zeit nun, da ich vor mich hinboote, wird es alltäglicher.
Die Wellen gurgeln all meine Erinnerungen aus den Tiefen empor, und es ist mein Warten, sie dabei zu beobachten und nichts zu tun. Manche blubben nach oben wie eine halbvolle Plastikflasche, andere winden sich als kleine Bläschen aus dem Schaum, platzen oder wachsen weiter heran zu Seifenblasen, die mit ihren wackligen Häuten davon fliegen. Schrkschrk. Auf meine Netzhaut treffen längst keine Bilder mehr, weil es keine Bilder mehr gibt, weil um mich herum nur physikalische Erscheinungen auftreten, aus denen einmal die Wirklichkeit gebaut war, weil ich es für wirklich hielt.
Der Wind? Der Wind ist geblieben, weil ich ihn brauche, mein Segel zu behalten. Weil er einer der letzten Gebliebenen in meiner Geschichte ist, welcher keine Handlung mehr innewohnt. Ich wohne jetzt da.
Plötzlich lache ich auf, erschrecke mich selbst dabei, ein Spreisel rutscht für eine kurze Empfindung in meinen Oberschenkel, ich lache erneut auch darüber und darüber, dass ich erneut lache. Ein Meer weiter dann verebbt die Regung in unterdrücktem Kichern, dann kehrt wieder das übliche Gesicht ein. Womöglich habe ich nicht gelacht, es nur gedacht, aber das macht keinen Unterschied.
Ich denke an einen Wein, der einmal bei einem Chinesen in einer kleinen Flasche serviert wurde und schmeckte, wie die betonierte Kinderwagen-Rollstuhl-Auffahrt eines Ladens war, :gemächlich ansteigend, rauh und in hässlichem, dreckigen Rosa. An diesem Abend hatte ich einen Serotoninausstoß von geschätzten vier Minuten, das war sechzehn Tage nach der Nacht, als mich der Hafen verließ und fünf Monate nach dem Geräusch, als sich der rechte Flügel des klemmenden Metalltors aus seiner Verklemmung löste und ich eintrat. Wenn ich bedenke, was schon gewesen ist, was ich gewesen bin, und es in die Waagschalen lege mit dem, was ich nie gemacht habe und nie sein konnte, dann verstehe ich, dass ich nie eine wirkliche Wahl hatte. Denn alles Lebendige strebt danach, im Gleichgewicht zu sein oder zumindest auf dem Weg dorthin, und auch bei sozialen Gemeinschaften und anderen Systemen ist das so; daher bin ich. Ein Kippler für all die Ängstlichen, Wildblume im Tulpenbeet, Wetterumschwung.
Ich habe nie eine Frucht in meiner Gebärmutterwand gebettet, und doch bin ich schon Mutter gewesen, eine Umsorgende mit der Selbstlosigkeit und unendlichen Nachsicht, wie es nur eine alte Mutter eines alten Hauses haben kann. Ich ordnete das Bett, säuberte das Tischchen und schüttelte die Vorleger aus. Ich aß die Reste des zerwühlten Abendessens, räumte den Teller weg, brachte Wasser ans Bett, frische Blumen. Ich war high down. Meine Hand Halt, meine Brust Kissen, mein ganzer Körper Verfügbarkeit. Auch meinen Mund gab ich der Selbstlosigkeit frei. Ich hatte nie herausgefunden, ob ich all das aus Instinkt wollte oder die Kontrolle verlor, sofern das überhaupt einen Widerspruch darstellen muss. Ich habe die Natur meines Endes gesehen, das ich forderte wie die Sommerdürre einen Flächenbrand, das ich wollte wie eine pumpende Lunge Luft, und zur gleichen Zeit konnte ich die Erkenntnis nicht verleugnen, dass es nicht der richtige Zeitpunkt für dieses Leben ist. Ich weiß nicht, ob das Erwachen dieser Morgen je gewesen war. Wiedergeboren, aber vielleicht zu weit ... Ich hatte mich nie in diese Situation hineinziehen lassen, nein, ich bin wie im Wahn hineingerannt, um am Ende zu erkennen, dass ich mich wieder hinauskämpfen muss, hinaus, zurück auf die Stelle des Weges, wo ich Allem Vorhergewesenen entsagte und direkt in die andere Welt trat. Ich hatte quasi Felder übersprungen, die aber, da ich das Werden als mein Schicksal begriff, zu Gehen Notwendigkeit sind. Während ich mit meinem Boot dahin treibe, denke ich oft darüber nach, ob das ein besonders starker oder kein Wille ist.
Wir schaukeln nun gemütlich, die Schienen sind wieder fort, glücklicherweise, denn manchmal will ich das Schaukeln wirklich nicht missen. Meinen Hunger stille ich mit schläfriger Bewegungslosigkeit, wie meist, mit einem Dösen auf Erde oder Holz. Ich zähle all das auf, was ich nicht mehr habe und bin froh, dass es so ist, denn es ist gerecht und der Beginn eines möglichen Friedens. Hätte ich auch nur einen Moment Land in Sicht, ich täte Kurs nehmen und dem Wind mein Wort brechen.
Wir werden es nicht tun. Ich werde warten, das Boot und ich, immer gemeinsam am gleichen Ort, Ein gleicher Ort - zusammen, Geschwistergespinste. Wenn ich nicht über andere Dinge nachdenke oder mit den Armen flattere, dann denke ich darüber nach, welcher Name dem Boot wohl am nächsten käme, und wenn ich nicht schweige, dann sag ich ganz leise die Namen auf.

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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (23.04.08)
ich bin mir sicher, trotz zweimaligem lesens deinem text nicht genügend erlesen gewidmet zu haben, denn er ist so voll an bildern, so als müsste ich täglich eine etappe ergreifen.
das boot des lebens... ja auch ich möchte das schaukeln da nicht missen und auch den wind nicht, nein!!!!
kentern ist ja nicht gleich untergang, aber man weiß dann noch mehr.
schön wieder von dir zu lesen und noch schöner in dieser form!!!
vielleicht bald einander sehend??

liebe grüße
silvi

 Alpha meinte dazu am 23.04.08:
Boot des Lebens? Daran dachte ich gar nicht, aber in allgemeiner Betrachtung ist das auch zutreffend, wenn auch sehr unbestimmt. Mehr werde ich nicht vorweg nehmen, solltest du den Text tatsächlich noch öfter lesen wollen (Ich bin noch immer ganz entzückt, dass so was Langes gelesen wird. Oder dass ich sowas Langes geschrieben habe - unvorstellbar! - dass es noch umfassender hätte ausfallen können). Erfreut über dein Kommentar, und ja, man sieht sich sicher mal wieder grüßend, A
artemidor (58)
(24.04.08)
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 Alpha antwortete darauf am 24.04.08:
"der versuch, das tor zu der dimension aufzustoßen, zu deren verstehen wir umso weniger in der lage sind, umso mehr wir uns mit den uns zur verfügung stehenden dimensionen bescheiden?"

ähm ... irgendwie kann ich grad nicht ... vielleicht fehlt mir was ... das ist einfach zu vergeschwafelt für diesen text ... oder ich ... zu nüchtern ... aber suche nach dem kreisschluss klingt schon besser, identität und selbstfrieden wären bestimmt auch ok gewesen.

άλφα και ώμεγα ... das wiederum ...

ähm.
-_-
artemidor (58) schrieb daraufhin am 24.04.08:
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 Alpha äußerte darauf am 24.04.08:
Joa, andersrum komm ich auch drauf.
sozusagen (31)
(04.07.08)
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 Alpha ergänzte dazu am 04.07.08:
Dann werde ich ihn jetzt bei einer Bronchitis-Husten-Tee-mitHonig-Tasse auch noch mal ... "ein-nehmen", sozusagen, und dann mal sehen. Angetane Leser sind was Feines, ich freu mich. Gute Nacht bis dahin, A.
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