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Kurzgeschichte zum Thema Verlassenheit

von  RainerMScholz

Ein Tasten durch dunkle Räume. Die Wände glänzendes Onyx, messerscharf. Leises Weinen, wie das Wimmern von Katzen - Echo aus dem Eigeninnern, das sich bricht am schwarzen Glas. Der Sand unter den nackten Füßen scheint lebendig, saugt die Zehen, züngelt Sohlen, Knöchel, sanft fluktuierend kribbelt und rieselt er die Waden hinauf in die Kniekehle, wie Samthandschuhe streichelt er die zarte Haut der Innenschenkel. Dann abruptes Fallen und Stürzen, schwindelndes Taumeln in einer imaginären Schwerelosigkeit, der Endlosigkeit entgegen, dem Nichts und dem bodenlosen Schlund.
Als das Wort über meine Lippen dringt, endet der Sturz: Ich.
Ich will ihn, wollte ihn schon immer, will seinen Körper, seine Arme und Beine, seine Schenkel, seinen Bauch, ich will sein Lächeln und ich will seinen steifen harten Schwanz, seinen Penis, sein Organ, ich will sein Leben, sein Gesicht, seine Augen. Ich will seinen Speichel und sein Sperma, seinen Geruch riechen, seine Hitze fühlen, seine Hände spüren, seine Nähe tasten. Ich will sein Leben. Ich will.
Der Raum dreht sich, die Bilder mischen sich, verquirlen in einem wirbelnden reißenden Strudel. Bilder nackter Leiber, obszöner Verrenkungen, süßer Versprechungen. Männer und Frauen. Pure Pornographie, blasphemische Zurschaustellung, Wollust.
Ich spüre seine Erektion, rieche den süßlich herben Schweiß, der seinen Achseln entströmt und den Hautfalten seiner Hoden, perliger Film auf den schwarzen Härchen seiner Scham. Ich kann ihn schmecken, riechen, spüren, kann seine muskulösen Beine umklammern, seinen Rumpf umschlingen, die Rippen tasten, die Brustwarzen. Ich kann seinen harten Penis umschließen und fühle das Blut pulsieren, das Pochen der geschwollenen schimmernden Eichel. Ich kann all das. Ich. Tief in mir.

Sandra erwachte aus ihrem Traum. Das Bett ist zerwühlt, die Laken sind zu Boden gestoßen und sie war nackt und allein. Sie blickte in die Dunkelheit des Zimmers, versuchte sich zu orientieren. Augen starrten sie an, Panik erfasste sie. Doch sie war allein. Niemand sonst war hier. Paul war nicht hier. Sie hatte nur geträumt. Verzagt lächelte sie leise, erschauernd ob der Erinnerung der Schemen, die so intensiv gewesen waren. Sie erinnerte sich an das eine Wort, das ihr zu Bewusstsein gebracht hatte, das sie selbst es war, nicht eine distanzierte Beobachterin, eine unbeteiligte Zuschauerin. Sie selbst hatte alles erlebt in ihrem Traum. Sie war die Protagonistin einer ureigenen Schimäre aus den versteckten Enden ihres Gehirns, einer ganz persönlichen Obsession.
Sie bettete sich in die Kissen. Sie hatte das Wort gesagt.

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