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Kurzgeschichte zum Thema Verlassenheit

von  RainerMScholz

Als Paul den einsamen, unbefestigten Weg zum Haus der Winters hinabfährt, ist es bereits Nacht. Unsichtbar wirbelt körniger Staub von den rotierenden Rädern seines Wagens in den Quarzhimmel. Der weiße Mercedes rast ohne Scheinwerferlicht an der Allee ehrwürdiger Pappeln vorüber, kommt kurz oberhalb der Auffahrt zum stehen. In völliger Nacht steigt der Fahrer aus, geht nach hinten und nimmt einen Zwanzig-Liter-Kanister aus dem Kofferraum. Lautlos überwindet er die Distanz zu dem kleinen verschlafenen Anwesen über den kiesbestreuten Rest des Weges. In aller Stille schüttet er das Benzin über die Flanken der mörteligen Wände, das Holz der Rahmungen, Türen und Läden, an das tiefe First des riedgedeckten Daches. Heimlich züngeln schon die Flammen, als er den leeren Kanister durch das Schlafzimmerfenster schleudert. Er wartet. Das Haus brennt kreischend lichterloh, Funken tanzen wie Sternschnuppen in den Himmel.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern. Doch in Wirklichkeit geschah es von einem Augenblick zum anderen. Peter und Angelika Winter kamen in Flammen aus dem flackernden Haus. Sie hielten sich an den verkohlten Händen. Die schreckliche Langsamkeit, mit der sie sich bewegten, strafte ihre Schmerzen Lügen, ihre Körper krümmten sich unter der verzehrenden Hitze, die das Fleisch zerfrisst. Sie schrieen nicht, außer dem Knistern und Krachen des Feuers war kein Laut. Furchtbares Schweigen, als Paul aus seinem Versteck hervorsprang und beide mit einem Knüppel niederschlug, die Flammen aus den glutigen Leibern trieb, zu Asche zerrieb.
Die Menschen zerstieben in den Wind, der von See her weht.

Im roten Schein des Brandes ging Paul den Weg zurück.
Es war Samstagnacht und er war verabredet. Paul stieg in den Wagen, wendete und würde in den Klub fahren. Wie das Leuchten von Rücklichtern reflektierte die spiegelnde Windschutzscheibe ein Unaufhaltsames, das die Zeit zu sein schien. Zeit, die nicht mehr war, weil sie verging. Der unberechenbare Moment, zwischen dem Augenblick, dem wir uns dem Bild zuwenden und dem Erkennen. Wenn der Spiegel in uns sieht.

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