Die singuläre Langeweile verlorener Worte

Glosse zum Thema Worte

von  Erebus

Glosse - wie komme ich jetzt darauf?
Das hat thematisch eigentlich nichts mit dem zu tun, worüber ich schreiben will, aber andererseits ist es bereits eine Art Plural und deshalb nehme ich es auch noch mit.
Von hier, aus Unterfranken, also aus Prichsenstadt, kommt ja der Singular, der zurzeit die Wirtschaft ministert: Glos. Und wenn ich mir das Wort Kloß anschaue, dann müsste es im Plural doch Glösse heißen und nicht Glosse, aber zu allem Übel ist Glosse auch weiterhin stur und unbeweglich: Singular.
Hier liegt also der doppelte Singular vor, der sich in sich selbst einstufig steigert bevor er zum Plural wird: Glos – Glosse – Glossen.
Nehmen wir also mal an, der Wirtschaftsminister setzt ein Erbamt durch, dann ergäbe das im Endeffekt nach zwei, drei Generationen "die Glosse" und die wären dann, zusammengenommen, weiblich Singular, aber männlich Plural.
Das Problem der Geschlechtsverschiebung erscheint mir ebenfalls beachtenswert.

Aber ich wollte nur eine schreiben: über das entgegengesetzte Phänomen, das mir zum ersten Mal im Familienurlaub 1970 im Ötztal begegnete.
Damals habe ich nur nebenher gefragt, was das soll und gab mich mit einer hilflosen Erklärung meines Vaters zufrieden.
Richtig geklärt ist es für mich aber bis heute nicht. Wir hatten Granate an der Hohen Muth gesammelt und ich wunderte mich, dass es nicht Granaten waren. Da liegt scheinbar ein Doppelter Plural vor, Granat – Granate – Granaten. Und so etwas irritiert mich seither kolossal.
Dazu fällt mir ein, dass der Fundort selbst ein Unding ist, sprachlich. Es heißt ja nach alterthümlicher Schreibweise „der Hohe Muth“, im Ötztal aber „die Hohe Muth“. Demnach ist dort ein kleiner neolithischer Rest matriarchalischer Begrifflichkeit übriggeblieben. Das Problem der Geschlechtsverschiebung ist beachtenswert.

Das Ötztal. Ja, das wird übrigens nicht von der Ötz durchflossen sondern von der Ötztaler Ache. Eine Ache, das ist Singular, also keineswegs mehrere Stoßseufzer, obwohl man zu einer Ache auch ungestraft Ach sagen darf. Man darf bei der Ache also, wie im Fall des Glos, die Schlichtform des Singular benutzen.
Das Ötztal ist interessant und in den Zeiten der Altvorderen hieß die Ötztaler Ache tatsächlich Ötz, besser gesagt Ez.
Weil ich ursprünglich aus Wuppertal stamme, bedeutet das für mich aber nicht, dass ich nun ohne weiteres von dem Wuppertaler Fluß sprechen darf. Obwohl ich das reizvoll fände. Noch schöner wäre die "Wuppertaler Wupper". Aber damals, der Urlaub, das war ja in Österreich. Und das ist nicht so ohne weiteres übertragbar.
So dachte ich zunächst, jedoch fiel mir im Nachhinein auf, das ein ganz ähnliches Phänomen im gesamten deutschen Sprachraum vorkommt, zumindest geographisch. Beispielsweise ragt die Hohe Muth über dem Gaibergtal auf, nun ist aber ein Bergtal in sich selbst neutralisiert. So wie Ostwestfalen-Lippe.
Ich meine, im ersteren Fall darf man wohl einfach"Gai" sagen (über das Geschlecht kann man immer noch sprechen), im zweiten "Falen-Lippe".  Die umständliche Beschreibung der Lage, mittels mehrerer Lokalangaben die sich genau in der Mitte treffen, könnte ohne weiteres entfallen - obwohl ich das Gefühl habe, bei "Falen-Lippe" dient es dazu, den pathologischen Beigeschmack zu verschleiern. Aber in den Zeiten eines Gunther von Hagens ... und bei Gai? Zu Gunther von Hagens fällt mir übrigens etwas ein, aber das würde jetzt zu weit führen.

Also, ich will über Worte schreiben, die nur im Plural existieren, für Dinge, die auch im Singular vorkommen. Nebenbei bemerkt sage ich extra Worte, nicht Wörter. Denn Worte sind sinnlich, Wörter technisch. Worte haben Tiefe.
Es gibt zum Beispiel keinen Propheten, der sagt“ Höret meine Wörter“ – jedenfalls kenne ich keinen. Wenn ein Prophet so etwas sagen würde, das interessierte ja niemanden, nur die Leute vom Statistischen Landesamt. Weil Wörter, das klingt nachzählbar. Zählen, so etwas macht man mit Wörtern.
Auch Worte kann man zählen, natürlich. Ich habe gelesen, das jemand die Worte der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung gezählt hat. Wobei, in diesem Fall dürfte man auch Wörter sagen, rein vom Sprachgefühl her. Also ist die Zählbarkeit kein sicheres Unterscheidungsmerkmal zwischen „Worte“ und „Wörter“. Als Eselsbrücke kann man sich zum Beispiel daran erinnern, das Wörter nicht der Plural von Wört sondern von Wort sind, aber die Eselsbrücke sagt mir in diesem Fall nichts.

Was ich die ganze Zeit sagen will ist etwas ganz anderes. Also damals auf der Hohen Muth fragte meine kleine Schwester meinen Vater, wie denn die große Alp heißt, die da, vor uns.
Mein Vater sagte, das heiße der Alp und wir waren daraufhin mundtot.
Es schien eine Geschlechtsverschiebung vorzuliegen. Zusätzlich war ich zum zweiten Mal dem doppelten Plural begegnet und zwar innerhalb weniger Minuten: Granat – Granate – Granaten , Alp - Alpe – Alpen. Logischerweis ist der „kleine“ Plural von einem Alp, der Singular ist und männlich: "die Alpe". Und diesen widerfährt im Plural II die Geschlechtsumwandlung in "die Alpen". Beispiel Hund: Hund - Hunde - Hunden. Die Hunden. Ich wohne in Franken, und hier heißt es schlicht und ergreifend: die Hünd. Die Hünd gauzen, zum Beispiel.
Meine Schwester insistierte und wollte wissen, wie denn der große Alp heißt. Der ragte weit oberhalb des Sattels (die Hohe Muth) auf, breit, fest, schneebedeckt.
Was unser Vater kurzerhand bestritt. Hier gäbe es keine Alpe. Dabei standen wir mitten drin.

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Kommentare zu diesem Text


 Traumreisende (17.05.08)
he du, das steht dir aber auch gut und mit deiner liebe zum wort ein herliches spiel!! manchmal kannst du mir regelrecht freude an der deutschen sprache und ihren kleinen verwegenen verdrehungen schenken

hab ich gern gelesen!!!
lg silvi

 Erebus meinte dazu am 19.05.08:
Liebe Silvi,

ganz herzlichen Dank für dein Lesen, Mitgehen und Kommentieren!

Liebe Grüße
Uli

 Dieter_Rotmund (07.11.15)
Sehr gerne gelesen, auch wenn die Verwendung der Anführungstriche scheinbar willkürlich erfolgt: Man oben/unten, mal umgekehrt, mal oben/oben, mal mit Leerzeichen, mal ohne.
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