Play

Kurzprosa zum Thema Abgrund

von  BrigitteG

Sie musste es einfach allein schaffen – denn niemand würde ihr dabei helfen. Der Mann, der ihr häufig beistand, schlief noch, und auf diese Frau konnte sie sich einfach nicht verlassen. Suzie krallte sich tiefer in die steile Wand und spannte den flachen zierlichen Körper an bis an die Grenze. Mühsam kämpfte sie sich nach oben, Zentimeter um Zentimeter, hochkonzentriert immer ihr Ziel vor Augen. Ihr Körper war längst bedeckt von einem dünnen, bald silbrig schimmernden Schweißfilm, und sie war dankbar über jeden kühlenden Luftzug. Bei jeder Bewegung spürte sie, dass sie ihre Muskeln bis an die Grenze des Möglichen strapazierte, die kurzen Arme brannten vor Schmerz, ihre Beine waren fast taub, und nur ihr unbändiger Wille zwang sie, weiter zu klettern. Ihre Haut wurde bei jedem Griff in die Wand weiter abgeschabt, Suzie sah es, aber sie fühlte es längst nicht mehr, war nur noch Wille und Leere. Selbst über die fehlende Hilfe des Mannes konnte sie sich nicht mehr ärgern, sie registrierte es stattdessen ohne Ärger, ohne Wut, nur als Tatsache. Und während sie in einem Randbereich ihres Gehirns die viel zu selten angeordneten Haltegriffe zählte, kletterte Suzie die steile Wand weiter nach oben, bis hin zur Kante, bis zum Sieg über ihren Körper.

Als sie heftig atmend auf der glatten, waagerechten Fläche lag, die wie für sie gemacht schien, hörte sie eine Stimme rufen und zuckte zusammen. Es war die laute und vorwurfsvolle Stimme dieses Mannes - er schlief inzwischen nicht mehr, aber sie verstand einfach nicht, was er meinte, als er sagte: „Jetzt bin ich mal kurz eingenickt bei diesem blöden Stau, und dann das - wie kommt denn die CD von Suzie Quatro in den Player, wenn Du beim Fahren beide Hände am Lenkrad haben solltest?“

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren

Kommentare zu diesem Text

FabianPhilipMüller (21)
(22.05.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 22.05.08:
Ich hätte auch einen anderen Frauennamen wählen könnnen, Fabian, aber "Madonna" oder "Marilyn" wäre zu direkt gewesen *g*. Suzie Quatro ist eine Rocksängerin aus den 70ern, die siehst Du  Hier! Von daher kein Sekundenschlaf oder Tagtraum, aber Deine Interpretation hat auch was... LG Brigitte.

 IngeWrobel (22.05.08)
Wetten, dass aus dem CD-Lautsprecher die Antwort tönte: "If You Can't Give Me Love".
Irgendwie tragisch das Ganze. "Sie" hätte daran denken sollen, dass frau zum Klettern Spezialhandschuhe anziehen muss.
Interessanter Text mit viel Raum für Interpretation.
LG, IngeWeh

 BrigitteG antwortete darauf am 22.05.08:
Ich selber mag ja am liebsten "Can the Can", Inge. Ich sah sie mal in den 90ern in der Westfalenhalle, bei einer Oldieshow. Sie tobte über die Bühne und hatte offensichtlich immer noch genauso viel Spaß an der Musik wie wir *g*. Und da meine Geschichte hier aus einer realen Situation im Auto entstand, kommt es mir gar nicht so vor, als ob viel Interpretation möglich ist - aber ich war ja dabei *g*. Liebe Grüße, Brigitte.

 IngeWrobel schrieb daraufhin am 22.05.08:
Morgenabend kann man Suzi Q. mit "Can the Can" in der Sendung "Hit-Giganten" auf Sat.1 sehen + hören.
Ich sehe in Deiner Story durchaus einen realen Bezug und dachte, dass die Frage des Erwachten mit "If you can't..." eine passende Antwort erhalten habe........ Aber zuviel Reindeuteln ist auch nicht immer gut. *g*
Schönen Abend Dir, Inge

 BrigitteG äußerte darauf am 22.05.08:
Ja, Inge, ich möchte nicht wissen, wieviel talentierten und untalentierten Autoren es so geht - da schreiben sie was, das einen ganz banalen Hintergrund hat, und es wird unheimlich was reingedeutelt... *g*.

 BrigitteG ergänzte dazu am 23.05.08:
Gerade eben habe ich sie auf SAT 1 gesehen, Inge... *mitderkurzhaarfrisurschwing*

 ViolaKunterbunt (22.05.08)
Eine ziemlich abgefahrene Story!
Du weißt, ich mag total gerne solche Geschichten, in denen der Anfang etwas erzählt, was dann völlig überraschend anders aufgelöst wird. Bei den "kurzen Armen" ware es mir klar, dass hier ihrgendwas nicht so stimmt, wie es da steht. Das klingt völlig seltsam.
Aber umso gespannter war ich darauf, wie es enden würde.
Tja, nun mag ich aber solche Geschichten, die sich so völlig aus der Realität ausklinken, während sie in einem realen Raum spielen, eigentlich nicht so gerne. Ich habe dann immer Probleme damit, dass es so doch gar nicht gehen kann. Und hier hat sich nun also Suzie Quatro, bzw. die CD oder Suzie auf der CD auf den Weg gemacht, um in den Player zu kommen. Und diese Mischung dessen, was sich da auf den Weg gemacht hat ist so völlig unmöglich. Denn einerseits ist es die CD, die silber schimmert, die auf der waagerechten Platte genau ihre Form findet,- auf der anderen Seite ist es aber Suzie, die kurze Arme hat, die ihre Muskeln strapaziert, die taube Beine hat.
Es würde mich nciht stören, wenn ein Gegenstand (in diesem Fall die CD) mit menschlichen Gefühlen ausgestattet wird, aber es stört mich, dass der Gegenstand und die Person mit ihren körperlichen Attributen vermixt werden. Das ist für mich nicht nachvollziehbar.
Zuwenig angebrachte Haltegriffe? Welche Haltegriffe sind gemeint? Oder sind die nur imaginär?
Welcher Autofahrer hat eigentlich immer beide Hände am Steuer? Den letzten Nachsatz hätte ich weggelassen. Er klingt so nach gewollter Erklärung der Logik.
Also insgesamt fand ich es spannend, unterhaltsam, aber zu unlogisch.

*konnte sie sich nicht mehr ärgern, sie registrierte es stattdessen ohne Ärger, * - da ist zwei mal Ärger zu dicht hintereinander.

(Das hasse nu davon. Du sagst immer, ich soll ehrlich zu Dir sein.)

Ach ja, ich kann mir total gut die reale Situation vorstellen, aus der die Geschichte entstanden ist.
Er schläft, Du willst lieber Suzie hören und legst sie ein. Er wird wach. "Wie kommt den die CD von Suzie Quatro in den Player?" - Du zuckst unschuldig mit den Schultern: "Weiß nicht ... sie muss wohl da rein geklettert sein." *ggg*

Ganz liebe Grüße,
Viola

 BrigitteG meinte dazu am 22.05.08:
Hrmmpf. Muss das denn sein, Viola, dass Du mit Deinem Finger genau an DIE Stelle piekst, über die ich vorher so nachgedacht habe??? Ich war mir auch im Zweifel mit den Armen und Beinen (die Fingernägel hatte ich wieder gelöscht *g*), aber ich hatte es dringelassen, weil ich fand, dass die Anstrengung dadurch plastischer rüberkam. Und wenn ich es rausgenommen hätte, dann hätte ich nicht gewusst, was ich stattdessen hätte schreiben sollen (ich hänge an jedem Satz, der mir atmosphärisch gefällt - sind ja nicht immer so viele *gg*). Muss da noch mal drüber nachdenken - wenn ich was Passendes finde, kommen die Arme und Beine raus. Ich war ja schon stolz, dass mir der silbrig schimmernde Schweiß eingefallen ist. Die Haltegriffe lass ich so, die sind eher imaginär, ich meinte damit Vor- und Zurücksprünge der Plastikabdeckung im Bereich von Radio und CD. Und ja - geärgert habe ich mich zu viel. Aber jetzt guck ich noch mal, was Uli rummoppert, und wenns was Nachvollziehbares ist, dann ändere ich das auch. Liebe Grüße an die Ehrliche!!!! (Auch wenn sie wieder "erotisch" angekreuzt hat... stehst Du auf verschwitzte Frauen? *g*)

 Isaban (22.05.08)
Jetzt habe ich die ganze Zeit "48 Crash" im Ohr und muss aufpassen, dass der Kopf nicht verräterisch mit wippt.

(Und BOAH, hat deine Protagonistin gelenkige Zehen! ) :-D
(Kommentar korrigiert am 22.05.2008)

 BrigitteG meinte dazu am 22.05.08:
Ja, es ist erstaunlich, Sabine, was die CD-Zehen (welch schreckliches Wort) alles schaffen können... *gg*. Liebe Grüße, Brigitte.

 Bergmann (22.05.08)
Das Überkreuzen von Traum und Realität gefällt mir gut! Schön pointiert.

Gegen zwei Sätze habe ich Bedenken:

"...Sieg über ihren Körper" - Erstens: Auch das Gehirn ist Körper, der Körper denkt also, Denken ist körperlich. Zweitens: Der Körper ist nicht mein Feind.

"...die wie für sie gemacht schien" - ???

 BrigitteG meinte dazu am 22.05.08:
Vorab - "die wie für sie gemacht schien" - das meint den waagerechten Spalt vom CD-Player, in den die CD reingeschoben wird.
Das mit dem anderen Satz - puh, das wird schon fast philosophisch... im Prinzip hast Du natürlich Recht, Uli, Denken ist selbstverständlich körperlich. Trotzdem gibt es immer wieder die Empfindung (ich kenne es von mir und anderen), dass der Geist den Körper "besiegen" will. Wörtlich gesehen ist es Quatsch, aber symbolisch gesehen gibt es das. Normalerweise sollte der Körper nicht der Feind sein. Aber was ist z.B. mit magersüchtigen Frauen, die sich mit 43 kg im Spiegel ansehen und zu dick finden? Es gibt ein geistiges "sich-distanzieren" vom Körper, im negativen Sinn, aber genauso auch konstruktiv oder lebensrettend : ein Marathonläufer, der nur noch durch seinen Willen ins Ziel kommt, oder Menschen in einer extrem schlimmen Situation (z.B. Folteropfer), von denen hoffentlich einige die Fähigkeit haben, geistig so weit weg zu driften, dass sie ihren Körper nicht mehr so real spüren wie andere. Hm, kein sehr schönes Beispiel.

 Bergmann meinte dazu am 23.05.08:
Na gut.
Aber die CD-Deutungsebene liegt mir nicht. Das ist mir ein Touch zuviel.
Angelika Dirksen (62)
(22.05.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 22.05.08:
Ja, Angelika, mein Lehrer in der ersten Klasse der Volksschule hatte damals auch geschrieben "Brigitte hat einen guten Anfang gemacht" *ggg*. Aber warte erstmal, was ich für eine Idee für einen P 18 der ganz anderen Sorte habe - da rollen sich Dir die Fußnägel auf :). Liebe Grüße, Brigitte.
Angelika Dirksen (62) meinte dazu am 23.05.08:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 26.02.09:
Verdorri noch mal... ich klickte meinen Text eben an, wegen eines Kommentars, las die anderen Komms auch noch mal - und grübele jetzt darüber, was ich für eine Idee für einen P 18 hatte. Schitte. Wenn ich mir nicht alles aufschreibe...

 thomas (29.06.08)
gute idee und schwer zu schreiben.
nur... warum schreiben frauen über 40 so viel über schlafende männer?* komisch!!
vg thomas

 BrigitteG meinte dazu am 29.06.08:
*g* Liest Du das wirklich öfter, mit den schlafenden Männern, Thomas? Bei mir gibts Förster, Zahnärzte und Götter in den Texten - aber geschlafen hat außer bei diesem noch keiner (mach doch mal ne statistische Erhebung, und stell es auf offtopic...)
mmazzurro (56)
(26.02.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 26.02.09:
Danke, Werner!
The_black_Death (31)
(03.08.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 04.08.09:
Wo ich jetzt so drüber nachdenke - das Wort "an" steht bei mir falsch. Und die Finger könnte ich tatsächlich ergänzen. Allerdings würde ich das mit der Grenze stehen lassen, weil sie eben das Maximale leistet, und nicht nur Muskeln anspannt. Aber damit der Text in der Liste nicht schon wieder nach oben rutscht, lasse ich es mal nur im Kommentar stehen. Und danke für das Kompliment im ersten Satz :).
und.so (29)
(18.08.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 24.08.09:
Oh Schitte, hab die Antwort verpennt... das ist ja interessant, wie Du den Text siehst, so gruselig. Tja, man sollte beim Schreiben nicht erwarten, dass die Leser entsprechend den eigenen Erwartungen reagieren *g*. Liebe Grüße, Brigitte.
Vincént (19)
(17.02.10)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 BrigitteG meinte dazu am 17.02.10:
Da habe ich ja noch mal Schwein gehabt, dass es haarscharf war *g*. Danke!
Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram