Weltmosaik

Engagiertes Gedicht zum Thema Ausweglosigkeit/ Dilemma

von  blauefrau

____Weltmosaik_______________________
Kinder, die an Waffen kauern,
Minen, die auf Wegen lauern,
Tiere, die an Zehen nagen,
Knochen, die aus Gruben ragen.

Kriege, die in Köpfen reifen,
Herrscher, die den Wahnsinn streifen,
Flüsse, die zu Geldern rauschen,
Bäume, die den Eigner tauschen.

Satte, die die Nahrung stehlen,
Arme, die mit Liebe hehlen,
Glatzen, die die Fremden hetzen,
Masken, die auf Gleichheit setzen.

Eltern, die an Viren sterben,
Kinder, die ihre Bücher erben,
Alte, die in Betten wimmern,
Junge, die sich Särge zimmern.

Bilder, die wir schnell vermessen,
Worte, die wir rasch vergessen,
Gott, den wir den Hasen geben,
Mensch, was willst du noch erleben?

(c)

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Kommentare zu diesem Text


 knud_knudsen (23.05.08)
Gabriele das ist ein beeindruckendes Kaleidoskop
Du hast Recht, dass kann man nicht oft genug schreiben.
lg
Knud

 blauefrau meinte dazu am 23.05.08:
Danke für Deinen Kommentar
Wie hast Du die Zeile" Kinder, die ihre Bücher erben"
verstanden?
Mich interessiert, ob die letzte Strophe sich noch
verbessern lässt.
Viele Grüße Gabriele

 m.o.bryé antwortete darauf am 23.05.08:
ich war zwar nicht gefragt, aber trotzdem:
die bücher verstehe ich hier als "wissen", aufgrund des kontextes aber eher negativ: niedergeschrieben, statisch, brennbar, trocken,...etc.

bei der letzten strophe gefallen mir die zeilen:
"bilder, die wir schnell vermessen"
und
"gott, den wir den hasen geben"
sehr gut. letzteres hat so was trockenes, zynisches.
"bilder, die wir schnell vermessen" ist eine sehr frische formulierung, würd ich sagen, ich dachte spontan an zwei bedeutungen: bilder im sinne von kunst oder im sinne von eindrücken, die wir in der realtität sammeln und die wir nach bestimmten punkten abgehen und dann einzuordnen suchen; oder vermessen im sinne von "vermessen sein" bzw. sich "vermessen" (also, falsch messen), die dinge "falsch" einschätzen und schnell verurteilen.

lg,Lena

 blauefrau schrieb daraufhin am 23.05.08:
Hallo, NucaLen,
wer auch immer Du bist, vielen Dank
für Deinen Kommentar.
Es freut mich, dass dir gerade die letzten Zeilen gut gefallen. Ursprünglich hatte ich das Gedicht ohne diese letzten 4 Zeilen geschrieben, war damit aber unzufrieden, weil es mir so unfertig vorkam.

Kinder, die ihre Bücher erben, bezieht sich auf den Kontext der memory books in Afrika. AIDS-kranke Mütter und Väter werden angehalten, ihren Kindern solche Bücher zu gestalten, damit die Kinder hinterher wissen, in welcher Traditon sie stehen, wer ihre Eltern waren, ihre weitere Verwandtschaft und wie z.B auch die Erbschaftsverhältnisse sind.

Ich könnte die Zeile auch in : "Kinder, die sie früh beerben,
umwandeln,alllerdings ist der Zusammenhang dann allgemeiner.

Viele Grüße Gabriele

 m.o.bryé äußerte darauf am 23.05.08:
nein, neverever das umwandeln - an diese memory books habe ich überhuapt nicht gedacht, aber das ist klasse. also, ich würd das auf keinen fall so verallgemeinern.
schade nur, dass dus jetzt verraten hast und zukünftige leser gar ncith mehr nachdenken müssen ^^
lg,Lena

PS: schau auf meiner seite vorbei, dann weißt du schon eher, wer ich bin ;) (bisschen eigenwerbung muss ja sein)

 souldeep (28.05.08)
da kann ich meinen vorkommentatoren nur
beipflichten und dir zum engagement, wie
zum gedicht gratulieren!
den weltschmerz in ein dunkles sammelbild
gebannt, das ist dir gelungen, finde ich.

herzliche grüsse
kirsten
Symphonie (73)
(29.05.08)
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 Dieter Wal (09.03.10)
Bilder der durch den Filter von Sensationsmeldungen gegangenen Mosaiksteine der TV-Nachrichten. Lassen mich an einen Dokumentationsband der besten internationalen Pressefotos denken. Metrisch holpert "Kinder, die ihre Bücher erben" (Sonst XxXxXxXx). Gedanklich heraus sticht: "Gott, den wir den Hasen geben". Könnte man engagiert religiös oder auch aufklärerisch interpretieren. Gerade wegen seiner Doppeldeutigkeit gefällt es mir.

Thematisch und durch seinen Reihungscharakter kann man mit

Christian Hofmann von Hofmannswaldaus

Die Welt

Was ist die Welt und ihr berühmtes Glänzen?
Was ist die Welt und ihre ganze Pracht?
Ein schnöder Schein in kurzgefaßten Grenzen,
Ein schneller Blitz bei schwarzgewölkter Nacht,
Ein buntes Feld, da Kummerdisteln grünen,
Ein schön Spital, so voller Krankheit steckt,
Ein Sklavenhaus, da alle Menschen dienen,
Ein faules Grab, so Alabaster deckt.
Das ist der Grund, darauf wir Menschen bauen
Und was das Fleisch für einen Abgott hält.
Komm, Seele, komm und lerne weiter schauen,
Als sich erstreckt der Zirkel dieser Welt!
Streich ab von dir derselben kurzes Prangen,
Halt ihre Lust für eine schwere Last:
So wirst du leicht in diesen Port gelangen,
Da Ewigkeit und Schönheit sich umfaßt.

und Goethes

Dieses ist das Bild der Welt,
Die man für die beste hält;
Fast, wie eine Mördergrube,
Fast, wie eines Burschen Stube,
Fast so, wie ein Opernhauß,
Fast, wie ein Magisterschmauß,
Fast, wie Köpfe von Poeten.
Fast, wie schöne Raritäten,
Fast, wie abgeseztes Geld,
Sieht sie aus die beste Welt.

vergleichen.

Durch deine Elends-Bilder erinnert dein Mosaik noch am ehesten an Barocklyrik. Hier wird die Bilderflut im Gegensatz dazu aber nicht eingesetzt, um auf ewige Werte hinzudeuten oder um wahres Sehen zu lehren, keine sprachverliebte Ironie wie beim jungen Goethe, hier wird der reizüberflutete Mensch vor dem Fernseher dargestellt, den die Bilder innerlich abgestumpft und passiv gemacht haben, da er ja nicht mehr hinaus in die Welt gehen muss, um etwas zu erleben, sondern der Griff zur Fernbedienung genügt. Dabei lässt der Gott-Hasen-Vers die Möglichkeit offen, in dem Gedicht einen verhaltenen appellativen Charakter wahrzunehmen. Das winzige Metrikproblem ließe sich leicht beheben. Super!
(Kommentar korrigiert am 09.03.2010)
ichbinelvis1951 (64)
(08.10.12)
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