Die verschiedenen Winkel eines Blickes

Kurzprosa zum Thema Wahrheit

von  Momo

Es gibt so viele verschiedene Winkel, wie es Blicke gibt und so viele Blicke, wie es Menschen gibt und jeder Mensch ist sein eigenes kleines Universum. Das weiß ich jetzt. Als ich Kind war, habe ich geglaubt, dass es nur eine Welt gibt und dass diese für alle Menschen gleich sei. Das war nur ein Winkel aus dem Blick eines Kindes.
Später glaubte ich, dass es eine objektive Wahrheit gibt und man müsse nur lange genug suchen, um sie zu finden oder man wäre einfach noch zu dumm, um diese zu sehen. Aber dann, als ich dieser objektiven Wahrheit auf den Zahn fühlte und immer tiefer bohrte und immer tiefer, da merkte ich, dass ich so tief bohren konnte wie ich wollte, ich würde nichts finden. Die objektive Wahrheit schien sich in Luft aufzulösen, sobald man meinte, man hätte sie jetzt endlich gefunden, genau wie die Liebe oder das Glück oder die Zufriedenheit.
Sollte es sie vielleicht gar nicht geben und die Wissenschaft, der Januskopf der neuzeitlichen Welt, sich geirrt haben? Ich hielt das zuerst für unmöglich, weil ich der Wissenschaft und ihren Aussagen eine Hochachtung zollte, die ihr gar nicht zukommt, aber das wusste ich damals noch nicht. Erst, als auch ein oder zwei Forschende herausfanden, was sie eigentlich gar nicht herausfinden sollten und ihnen deswegen auch von ihrer Zunft ordentlich auf die Finger geklopft wurde, begann ich zu ahnen, dass ich doch gar nicht so falsch lag.
Das ist nun schon lange her und seitdem hatte die Wissenschaft eigentlich genug Zeit, sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass eine von ihnen unumstößlich aufgestellte Prämisse gar keine Gültigkeit hatte, aber es gibt immer noch den einen oder anderen Zeitgenossen, der sich einfach nicht mit dem Gedanken abfinden kann, dass es die Welt, die er sich so schön zurecht gelegt hatte, gar nicht gibt.
Na ja, wie gesagt, das ist jetzt schon lange her und ich weiß jetzt, dass es ganz viele verschiedene Blicke mit den dazugehörenden Winkeln gibt, die alle die Welt vermessen, auf der wir leben und alle haben damit ihre Gültigkeit.
Der eine sieht eher die Blumen, die auf einer Wiese stehen und dem anderen fallen zuerst die Hundehäufchen ins Auge, die sich dazwischen verstecken. Für den einen ist ein Hund ein gefährliches, unberechenbares Tier und der andere sieht in ihm seinen animalischen Freund mit einem noch unverfälschten, ehrlichen Gemüt. Der eine sieht in der Preisgabe dessen, was ihn bewegt, ein Seelenstriptease und der andere eine Möglichkeit, den Keller seines Hauses nicht zu sehr in Anspruch zu nehmen.

Jeder Blick und jeder Winkel spiegelt damit unendliche viele Welten, die nur alle zusammen vielleicht einmal die eine, objektive Welt ergeben.

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Kommentare zu diesem Text


 Sylvia (12.06.08)
Hallo Momo...ja kann ich dir nur schreiben....viele Blicke, Winkel und Meinungen...und jeder sollte seine wahren und andere nicht in seine Winkel drücken.....jeder hat halt andere Blicke...dies ist spannend und interessant und lebenswert...lieben Gruß, Sylvia

 Momo meinte dazu am 12.06.08:
Danke, liebe Silvia, für deinen Kommentar.
Schön, dass du es auch so siehst.
L.G.
Momo
FINNUCANE (44)
(12.06.08)
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 Momo antwortete darauf am 12.06.08:
Ja, aber das wäre dann ja auch schon wieder ein Druck

L.G.
Momo

 Martina (12.06.08)
Das ist ein sehr interessanter Text! Es war schön, die Zeitspanne deiner Erfahrungen zu folgen...Liebe Grüße, Tina
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