Der dankbare Bettler

Erzählung

von  ManMan

Der Mann saß am Ende der Fahrtreppe, wie diese Art von sich bewegenden Auf- und Abgängen in Wien genannt wird. Sein schwarzer, von grauen Strähnen durchzogener Vollbart war auffallend gepflegt, fand Verena. Überhaupt ging von diesem Bettler etwas aus, das ihn von anderen absetzte. Nicht nur, dass auch sein Mantel weniger verschmutzt war als die Kleidung eines Bettlers es erwarten ließ, nein, sein Habitus war eben nicht der eines Bettlers, es war eine unerwartete Würde, die er ausstrahlte.
Unversehens hatte sie ihren Schritt verlangsamt. Prompt kam der Pulk Menschen ins Stocken. Verena entschloss sich, stehen zu bleiben. Gerade in diesem Augenblick bückte sich einige Schritte vor ihr eine Frau mittleren Alters, bekleidet mit einem grünen Kostüm und einem ebenso grünen Federhut und warf einige Münzen in den Hut des Bettlers.
Die Menschen kamen von der U-Bahn und drängten sich vorbei, wortlos oder mit Bemerkungen, die Verena nicht verstand, denn mit dem Wienerischen  kam sie nicht zurecht.. Auch die Frau mit dem Federhut sprach Wienerisch. Verena bedauerte, dass sie nicht verstand, was sie sagte..
Die Antwort des Mannes ließ sie jedoch aufhorchen.
„Aber ja!“ beteuerte er, und seine Stimme klang eher wie die eines Norddeutschen. „Ich habe  mich bedankt. Sie müssen es überhört haben!“  Seine Stimme klang demütig, und das stimmte die Frau mit dem Hut gnädig. „Es ist ja auch wohl das mindeste, was ich verlangen kann!“
Sprach’s und rauschte davon.
Während keiner der übrigen Passanten die kleine Szene mitbekommen hatte, war die deutsche Urlauberin empört. Wie selbstgerecht diese Frau war!
Rasch holte sie die Geldbörse aus dem Rucksack und entnahm ihr einen Geldschein. „Bedanken Sie sich aber bitte nicht!“ sagte sie, als sie den Schein dem Bettler reichte. „Das halte ich nicht für angemessen!“
Der Bettler steckte den Schein rasch weg. Sein Gesicht verzog sich.
„Die Dame hatte recht. Wenn mir jemand Geld gibt, kann er auch verlangen, dass ich mich bedanke.“
„Ist das Ihr Ernst?“ Ungläubig zog Verena die Augenbrauen hoch. „Glauben Sie denn, die paar Münzen waren für die Dame ein Opfer?“
„Sie hat mir das Geld aus Liebe gegeben, so wie Sie auch, gnädige Frau. Vielen Dank!“
Jetzt war also doch noch gekommen, was sie sich verbeten hatte! Kopfschüttelnd setzte Verena ihren Weg zum Hotel fort.
Als sie sich später geduscht und umgezogen hatte, beschloss sie, zum Theater kein Taxi zu nehmen. So kam sie erneut an der U-Bahn-Station vom Vormittag vorbei. Aus der Bahnhofskneipe ertönten lärmende Männerstimmen.
Die Außentür war wegen der Hitze geöffnet. Mehrere Männer standen an den Tresen, etwas abseits von ihnen auch der Bettler von vorhin. Vor ihm eine volle Bierflasche. Verena blieb stehen und betrachtete den Mann neugierig.
Welch ein Gesicht! Wie aus Stein gehauen, fand sie, und von solcher Traurigkeit... Mein Gott, durchfuhr es sie mit einem Mal, wie dumm bin ich gewesen. Wenn er sich nicht einmal mehr bedanken darf, was bleibt ihm dann noch?
Kurz entschlossen holte sie einen weiteren Geldschein aus dem Rucksack, drängte sich seitlich an den palavernden Männern vorbei, die sich nicht stören ließen und schob den Schein unter das leere Glas.
Als sie sich mit schnellen Schritten entfernte, spürte sie, dass er ihr nachblickte. Bedankt hat er sich nicht, registrierte sie bei sich.

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Kommentare zu diesem Text


 Martina (27.06.08)
Gern gelesen...Ich gebe auch oft etwas, wenn ich einen Menschen sehe, der da sitzt...
Lg Tina

 ManMan meinte dazu am 27.06.08:
danke für die rückmeldung. mir ist vorallem wichtig, was die person, die etwas gibt, erwartet. lg. manfred

 Martina antwortete darauf am 27.06.08:
Das hab ich mir schon gedacht... =))
Insgeheim hofft mal wohl immer auf ein Danke, aber ich würde es nicht einfordern..ein netter Blick ist absolut ausreichend...Lg Tina
Caterina (46)
(27.06.08)
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 Dieter_Rotmund (10.03.19)
Ordentlich und flüssig geschrieben, aber die Protagonistin ist mir zu selbstgerecht-gütig, da fehlt wenigstens ein Bruch, um die Geschichte spannend zu machen.
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