Nachtmär

Kurzgeschichte zum Thema Trennung

von  Feuervogel

Sie erwachte mitten in der Nacht. Ihre Augen blickten ins dunkle Zimmer. Nichts als gähnende Leere, nur am Spiegelschrank brach sich das Licht des Mondes. Er stand beinahe in voller Blüte. Durch das gekippte Fenster drangen die dunklen Geräusche der Nacht. Sie setzte sich auf  und atmete die Dunkelheit ein. Ihr war kalt. Es war eine Nacht wie die vorangegangene. Doch die Erinnerung an das goldene Band dämpfte den Schmerz. Aber irgendetwas war heute Nacht doch anders. Sie drehte sich auf die rechte Seite und bemerkte das sie nicht alleine war. Wer lag neben ihr? Sie konnte sich nicht erinnern jemanden in ihr Bett gelassen zu haben. Zaghaft glitt ihre linke Hand zu dem schlafenden Körper. Sie schloß die Augen und fuhr die Konturen des Schlafenden ab. Ihr Herz klopfte wild und ungestüm. Es klopfte so wild und ungestüm, weil es sich an etwas erinnerte. Was war es nur, was ihr so ein Herzrasen verschaffte bei der Berührung des angeblich Fremden? Langsam schob sie ihren Kopf zwischen seine Schultern. Ihre Nase atmete tief den Geruch seines Fleisches ein. Da zerriss ein stechender Schmerz in ihr die nächtliche Ruhe. Sie setzte sich auf, schnappte nach Luft. Ihr Herz stolperte, es setzte beinahe aus. Konnte es wahr sein, das er so selbstverständlich neben ihr zum Liegen gekommen war? Er den sie, seit sie ihn kannte zutiefst vermisst hatte. Wie ist er denn überhaupt hier hereingekommen? Sie konnte sich überhaupt nicht mehr erinnern, wann sie ihn das letzte Mal gesehen hatte. Er schlief vollkommen ruhig neben ihr. Sein Körper hob und senkte sich gleichmäßig im Rhythmus des Atems. Er sah aus wie ein Engel. Aber genau darauf war sie hereingefallen bei ihrer ersten Begegnung. Er war nicht der, für den sie ihn gehalten hatte. Er war ein Wolf im Schafspelz und ist in so mancher Nacht wie ein Werwolf über ihr Herz hergefallen.

Sie bekam Angst. Leise schlich Sie sich aus dem Schlafzimmer. Im Dunkeln setzte sie sich auf das Sofa. Ihren Kater, der neben ihr lag, nahm sie in ihre Arme. Der warme Katzenkörper beruhigte sie etwas. Was passiert denn nun schon wieder? Sie wollte den Schlafenden los werden. Aber wie?  Viele Male hatte sie ihn zurückhaben wollen, hatte ihm ihr Herz offen dargebracht. Er aber spielte nur. Er war und er ist blind geblieben. Er wird sich niemals ändern. Er wird sie niemals verstehen. Dies musste sie unter schrecklichen Schmerzen einsehen und verstehen lernen. Jetzt wollte sie ihn nicht mehr. Es war vorbei. Doch jetzt wo sie sich gegen ihn entschieden hatte, lag er plötzlich neben ihr im Bett. Wie ist dies nur möglich? Sie ekelte sich, erinnerte sie sich an all die gräßlichen Tage die sie mit ihm verbracht hatte. Wie hatte sie sich nur selbst so demütigen können? Sie vernahm Geräusche im Schlafzimmer. Würde er jetzt aufwachen? Würde er jetzt zu ihr kommen? Würde sie wieder schwach werden?Sie bekam Panik. Eine Panik die sie aus der vergangenen Zeit mit ihm nur zu gut kannte. Eine Panik, die sie beinahe an ihrem Verstand hatte zweifeln lassen. Einer Panik, der sie nur entkommen konnte, als sie damals in die Klinik ging. Sie hatte hart an sich gearbeitet, und es war noch nicht überstanden. Jedoch zurück wollte sie nicht mehr. Sie lauschte auf ihr Herz, das wie ein wildes Pferd durch ihre Brust jagte. Was soll ich nur tun? Sie wusste das die Liebe zu ihrem Werwolf noch nicht ganz verblasst war. Vielleicht würde sie auch nie ganz verblasen. Aber jemanden lieben und mit ihm leben, das passt nur in ganz seltenen Fällen. Sie wusste inzwischen, dass sie mit ihm nie würde leben können. Er wäre ihr eindeutiger Untergang. Sie zitterte und überlegte wie sie ihn für immer loswerden könnte.

Vorsichtig schlich sie ins Schlafzimmer zurück. Er hatte sich inzwischen zu ihrer Bettseite hin umgedreht. Sie setzte sich auf den Bettrand und beobachtete ihn. Sie hob ihre Hand und fuhr mit den Fingern sanft über sein Gesicht. Die Berührung schmerzte ihr Herz. Das goldene Band legte sich fester um den Riß, denn ein gebrochenes Herz braucht sehr viel Halt. Sie weinte bei dieser Berührung, hatte sie doch einst geglaubt er sei die große Liebe ihres Lebens. Was ihr davon geblieben war, war ein zerbrochener Traum. Ich habe dich geliebt sang ihr Herz, ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt. Es war ein trauriger schauriger Gesang. Dieser Gesang wurde immer lauter und mächtiger. Er schwang sich durch die Nacht. Er vertrieb das Leben. Dunkel, tief und voller Sehnsucht klang er. Er verdunkelte den Mond. Er ließ die Wölfe heulen. Er weckte die Toten auf. So erwachte auch er. Unverständig der Situation gegenüber, nicht wissend wo er war, räusperte er sich vertraut. Wo bin ich, fragte er und blickte dabei in ihre feuchten, traurigen Augen. Doch sie gab ihm keine Antwort. Nur ihr Herz sang weiter diesen schauigen Gesang. Ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt. Er setzte sich auf. Der Gesang erschreckte ihn. Du bringst mich schon wieder um meine Nachtruhe. Ich will schlafen, stell diesen Krach ab. Aber sie wollte ihr Herz nicht mehr zum Schweigen bringen. Er sollte es ruhig noch einmal hören. Er sollte teilhaben an dem Schmerz den er ihr auf so grausame Weise zugefügt hatte. Sie schauten sich an, und der Gesang war zwischen ihnen und erfüllte die Distanz ihrer Körper. Er steckte sich eine Zigarette an. Sie nahm die Bettdecke und verbarg darunter ihre kalten Füße. Er starrte an die Decke und blies den Rauch in die Nacht. Ihr Herz sang noch immer. Ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt. Es schien ihn nicht zu berühren. Es war ihm egal. Sie wusste das er immer nur an sich gedacht hatte. Dies würde er auch weiterhin tun. Plötzlich verstummte der Gesang und eine Stimme sprach deutlich in die Nacht. Ein Herz hat dich geliebt, und du hast in deiner Blindheit diese Liebe verraten. Ein Herz zerbrach an deiner Härte und Kälte und fand beinahe den Tod. Du hast nie wirklich erkannt, welche Chance dir aus einer anderen Welt damit geboten wurde. Du bist blind gewesen und du bist blind geblieben. An deiner Blindheit wirst du zugrunde gehen. Es wird so sein, wie sie es damals zu dir sagte, als du wissen wolltest in welchem Märchen du eine Rolle spielen würdest. in Rapunzel sagte sie, du wirst der sein, der 7 Jahre blind durch den Dornwald irren wird, bis er nach Hause finden kann. Dies ist kein Fluch, den ein anderer über dich verhängt hat. Diesen Fluch hast du dir selbst auferlegt. Es ist die Schuld deines Lebens. Nachdem die Stimme verstummt war, drückte er die Zigarette aus. Das ist also deine Rache, sprach er. Sie aber wusste, das sie genau das von ihm hatte fern halten wollen. Ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt, ich habe dich geliebt. Sie weinte um ihn. Sie hatte schon so viel um ihn geweint. Jedoch sie hatte begriffen, das sie nun nichts mehr für ihn tun konnte. Es war vorbei, endgültig. Es war sein Leben. Sie hatte ihres endlich wieder gefunden. Sie wollte es nicht mehr verlieren. Es war das was wirklich ihr gehörte. Nur ihr und keinem anderen. Sie hatte ihn losgelassen. Ein letztes Mal noch würde sie ihn berühren. Ein letztes Mal mit ihm Anstoßen. Ein letztes Mal in seine Augen schauen. Ein letztes Mal sich erinnern an all die unerfüllten, nicht gelebten Träume.

Sie verließ noch einmal das Bett. In der Küche öffnete sie eine Flasche Rotwein. Sie füllte zwei Gläser und ging zurück ins Schlafzimmer. Sie gab ihm das eine Glas und stieß mit dem Ihren an das Seine. Ich stoße an auf einen Traum, der ein Albtraum war. Ich stoße an auf eine Liebe, die im Nichts verklungen ist. Ich stoße an auf ein Leben in Freiheit. Sie leerte ihr Glas in einem Zug und stellte es dann neben das Bett. Sie öffnete ihre Arme und schloß sie um seinen Körper. Ein letztes Mal berührte sie ihn und ihr Herz sang noch immer. Als sie ihn so ein letztes Mal in ihren Armen hielt, tanzten erneut die goldenen Funken vor ihren Augen. Wie in einen Strudel tauchte sie hinab in eine Welle von Wärme, Hingabe und Loslassen. Sie wurden fortgerissen in eine andere Zeit, an einen anderen Ort. Das letzte was sie von ihm spüren konnte war der kalte Hauch seines Atems in ihrem Nacken.

Als sie die Augen öffnete, war sie wieder allein. Draußen dämmerte der Tag. Sie hatte ihn geliebt, doch das war nun vorbei. An diesem Morgen schritt sie in die Freiheit. Er war irgendwo außerhalb ihrer Freiheit und irrte wohl schon blind durch den Dornwald. Es war alles nur ein Traum. Lächelnd nahm sie beide Weingläser und trug sie in die Küche....

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