Herr Robert Hallmann.

Kurzgeschichte zum Thema Tod

von  Orion

Im Augenblick seines unspektakulären Ablebens im Krankenhausbett, nach kurzer, schwerer Krankheit, erschien neben Robert Hallmann unverhofft ein unauffälliger Herr mittleren Alters und setzte sich auf die Bettkante.
„Guten Abend, soeben Verstorbener.“
„Oh, guten Abend, Herr …. Ich bin ganz verwirrt. Ich habe plötzlich keine Schmerzen mehr und alles ist so seltsam. Was ist passiert, wer sind Sie?“
„Ich habe keinen Namen, ich habe nur eine Funktion. Ich bin Ihr Begleiter.“
„Was für ein Begleiter? Ich habe Sie hier auf dieser Station noch nie gesehen. Und von „Begleitern“ bis dato noch nichts gehört. Sind Sie Arzt oder Seelsorger oder so etwas?“
„Ich bin Ihr Begleiter.“
Robert Hallmann seufzte. „Egal, ich bin sehr müde. Darf ich mich vorstellen, Herr Begleiter? Mein Name ist Robert Hallmann. Ich bin hier schwerstkranker Patient und nicht zu Scherzen aufgelegt.“
„Richtigerweise sollte es heißen: „war Robert Hallmann“ und „war hier schwerstkranker Patient“, Verstorbener.“
Robert Hallmann versuchte sich aufzurichten, er wurde zornig.
„Es reicht mir jetzt, bitte gehen Sie. Ich bin der Falsche für Ihre dummen Späße.“
„Sind Sie absolut nicht, Verstorbener. Ich mache auch keine Späße mit Ihnen. Ich werde Sie begleiten, dann wird es einfacher für Sie.“
„Bitte gehen Sie doch endlich, ich muss schlafen, lassen Sie mich in Ruhe. Ich bin nicht verstorben, ich lebe noch. Gehen Sie, bitte.“
Robert Hallmann versuchte, den Notrufknopf zu drücken, aber er konnte ihn nicht finden. Wo war er nur? Er hing immer über dem Bett, oder nicht?
„Es beginnt, Verstorbener.“
„Was beginnt, zum Teufel? Reden Sie doch nicht so blöde daher. Erklären Sie mir, was los ist! Und hören Sie auf mit dem „Verstorbener“. Noch rede ich ganz munter mit Ihnen, oder etwa nicht? Und wer redet, der lebt noch. Basta!“
„Welche Farbe hat die Tür Ihres Krankenzimmers, Verstorbener?“
Robert Hallmann versuchte, sich in Richtung Tür zu drehen, aber er wusste nicht mehr, wo sie sich befand. Neben dem Spiegel, erinnerte er sich, aber wo war der Spiegel, wie sah er aus? Verwirrt sah er sich im Zimmer um. Alles war plötzlich so fremd. Was war geschehen?
„Ich weiß es nicht mehr, Herr … Begleiter. Eventuell war sie blau?“
„Nein, Verstorbener. Sie war hellgrün. Soll ich Ihnen eine Erklärung geben?“
„Ja, bitte. Ich bekomme Angst, ich bin so unruhig. Helfen Sie mir, bitte!“
„Ich sagte Ihnen bereits, dass Sie Robert Hallmann waren, es nicht mehr sind. Herr Robert Hallmann ist tot.“
„Aber, wie kann ich mich so lebendig fühlen, mit Ihnen sprechen wenn ich tot sein soll? Was erzählen Sie denn da? Was wollen Sie von mir?“ 
„Es ist die Erinnerung des Robert Hallmann, die sich mit mir unterhält. Man kann sie auch Seele nennen oder Geist oder wie auch sonst noch. Im Augenblick des Todes ist sie noch stark, aber sie verblasst von diesem Augenblick an. Es ist wie ein ganz langsames Auslöschen einer Flamme. Das wird Ihr wirklicher Tod sein, und es ist schrecklich. Darum bin ich bei Ihnen, ich begleite Ihre Seele, lindere Ihren Schmerz und nehme Ihnen die Angst.“
„Um Himmels Willen, wenn das wahr ist, wenn Sie mich nicht angelogen haben, was passiert mit mir? Ich glaube, ich löse mich auf! Etwas zieht an mir! Es wird so dunkel! Hilfe, bitte hilf mir, ich habe schreckliche Angst, es tut so weh, ich werde in Stücke gerissen, bitte hilf mir doch, Begleiter!“
„Komm zu mir, mein Sohn“ sagte der Begleiter. „Ich halte dich fest bis zur völligen Dunkelheit und du wirst keine Angst mehr spüren.“

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