Du bist kein Arsch!

Kurzgeschichte zum Thema Einsamkeit

von  Seelensprache

"Bewölkt"
"Verhangen", antworte ich.
"Auch gut"
Ich schaue sie an. Sie blickt noch immer nach oben.
"Was wollen Sie?", frage ich genervt. Ich möchte alleine sein.
Sie reagiert nicht.
"Sieht nach Regen aus."
Ich blicke wieder nach oben.
"Auch 'nen Schluck?", fragt sie. Sie wartet meine Antwort nicht ab. Ich beobachte sie. Ihre Lippen legen sich an die Flasche. Kleine Blasen steigen darin auf. Stück für Stück entleert sich der Inhalt in ihren Mund.
"Ich trinke nicht" ist meine Antwort. Sie zuckt nur mit ihren Schultern.
Ich stelle mir vor, wie sie statt der Flasche meinen Schwanz liebkost.
Die Scheinwerfer einer Discothek streifen ihr Gesicht. Es ist hübsch.
"Hab dich noch nie gesehen."
"Sind noch nicht beim Du". Sie sagt nichts.
"Verwundert mich nicht. Werd nicht oft gesehen." fahre ich fort.
Es ist windig. Ihr langes Haar weht vor ihrem Gesicht. Der Flaschenhals hängt nun zwischen ihren Fingern. Ihre Arme baumeln hinab.
"Er ist schön."
Ich schaue wieder hinauf. Für einen kurzen Moment legt eine kräftige Windböhe den Blick auf den Mond frei. Sie hat recht. Ich blicke hinunter. Ein paar Teenager grölen. Eine Flasche zerbricht. Ich stelle mir vor, wie sich ihre Scherben auf dem Boden verteilen.
"Das Leben hat es so gewollt.", sagt sie.
Ich hinterfrage es nicht.
Ich ziehe einen Zug meiner Zigarette. Sie glüht auf. Ihr Rauch durchströmt meinen Mund, legt sich in meine Lungen und steigt dann in einer feinen Wolke auf.
Sie trinkt einen weiteren Schluck.
"Redest wohl nicht viel."
"Nimm's nicht persönlich"
"Na, immerhin sind wir beim Du."
"Wie?"
"Egal"
"Whatever"
Ein Auto verlässt den Parkplatz. Die Fensterscheiben sind heruntergekurbelt. Laute Musik dringt daraus hervor; geschmacklos.
"Ich kann dich verstehen", sagt sie.
"Gratulation"
"Du bist kein Arsch"
"Hab ich nie behauptet"
"Brauchst nix sagen."
Ich schmeiße meine Kippe auf den Boden. Ich trete sie aus.
"Ist dir egal, was?"
"Jep"
"Glaub ich dir nicht"
"Was willst du?", wiederhole ich meine Frage.
"Nichts."
"Glaub ich dir auch nicht."
Sie grinst. Ich muss auch grinsen.
"Oh man, was'n das hier?" Die Situation ist absurd, irreal.
"Hättst dir wohl nicht gedacht, was?"
"Was?"
"Na das hier. Du und ich. Hier oben."
"[...] und doch ganz unten", vervollständige ich ihren Satz, der eigentlich schon zu Ende war.
Sie lächelt. Dann seufzt sie.
"Schön, dass du hier bist"
Ich überlege, wann mir das letzte mal so etwas Nettes gesagt wurde. Nach einem kurzen Moment beschließe ich nicht darüber nachzudenken. Meine Stimmung ist mies genug. Ich antworte nichts.
Plötzlich greift sie nach meinem Arm und flüstert: "Tu's nicht. Ich weiß, dass du's tun willst, weißt du, ich weiß es."
Ich schaue sie an. Sie weint. Ich beobachte ihre Tränen. Langsam bahnen sie sich ihren Weg entlang der zarten Wangen.
Ich stehe einfach dort und blicke sie an. Ich tue nichts. Ich kann nichts tun. Ich fühle nichts. Ich bin erschrocken über meine Kälte. Ich werde jetzt gehen.
Ich versuche etwas zu sagen: "Ich, ich, ich [...]"
Ich drehe mich um. Ich gehe.
Ich höre sie weinen. "Du bist kein Arsch", sagt sie.
Ich bleibe stehen. "Nein, Du bist kein Arsch", sage ich. Dann gehe ich weiter.
Ich gehe die Stufen hinunter. Ich lausche dem Widerhall meiner Schritte. Ich denke nicht. Ich gehe. Ich zähle meine Schritte. Ich gehe vorbei an den Teenagern. Ich halte, als ich die Scherben der zerbrochenen Flasche sehe. Ich beuge mich hinab und nehme eine in meine Hand. Sie ist feucht und glänzt im Licht der Straßenlaterne. So ist das Leben. Ich lege sie wieder auf den Boden. Ich lasse die beleuchteten Straßen hinter mir, schaue nicht zurück.
Niemand schaut gerne zurück auf einen Scherbenhaufen.

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Kommentare zu diesem Text

Traumtänzerin (27)
(14.06.10)
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