auf deine Schulter

Gedicht

von  Erebus

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Auf deine Schulter lege ich Vergessen.
Du sollst mir eine Hoffnung halten,
es sei ein Rest noch unbemessen,
der möge uns im Licht gestalten. 

Auf deine Schulter lege ich die Lüge,
dass etwas sei, was nie geschieht.
Ich bin so frei, denn ich verfüge
nur über das, was mich vermied.

Auf deinen Schultern ruht die Welt,
in der ich nicht und alles bin.
Wir wurden beide herbestellt,
doch du alleine trägst den Sinn.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (18.09.08)
Formschön und von leiser, getragener Melodie, wie es dem Inhalt entspricht, handwerklich fein gemacht. Der Kreuzreim passt gut zu den Schilderungen der wechselseitigen Beziehung, auch die weichen, durchgehend weiblichen, ausschleichenden Kadenzen der ersten Strophe zum angesprochenen Vergessen.
Durch jede Wiederholung des "auf deine Schultern" wird dort anscheinend mehr Verantwortung abgeladen.
In S2 sind dann abwechselnd weibliche und männliche Kadenzen zu sehen, wird auf diese Weise die Übergabe bildlich gemacht, in S3 gibt es dann nur noch männliche Kadenzen, wurde die Verantwortung - hier gleich für die ganze Welt - auf den Schultern des LD abgeladen, LI zieht sich -alle Hoffnung auf das LD setzend - aus der Verantwortung zurück.

Mit V4 hadere ich noch, weiß diesen Vers weder inhaltlich noch im Satzgefüge richtig unterzubringen, all die anderen Verse jedoch berühren mich auf eine sanfte, weiche und dennoch erschreckende Weise.


Auf deine Schulter lege ich Vergessen.
Du sollst mir eine Hoffnung halten,
es sei ein Rest noch unbemessen,
der möge uns im Licht gestalten.

Auf deine Schulter lege ich die Lüge,
dass etwas sei, was nie geschieht.
Ich bin so frei, denn ich verfüge
nur über das, was mich vermied.

Auf deinen Schultern ruht die Welt,
in der ich nicht und alles bin.
Wir wurden beide herbestellt,
doch du alleine trägst den Sinn.


Ganz gleich, ob man hier nun einen Dialog mit Gott annimmt, ob man eine neue Liebe in die Verse hineininte4rpretiert, die dem LI eine neue Welt, einen neuen Halt bieten soll, obschon es selbst keine Zukunft sieht/sehen kann, es ist fühlbar und fast zu gut nachzuvollziehen.

Auf deine Schulter lege ich Vergessen.
Du sollst mir eine Hoffnung halten,
es sei ein Rest noch unbemessen,
der möge uns im Licht gestalten.


LI will an einen Himmel glauben, im metaphorischen oder im wörtlichen Sinne, will glauben, dass es (das Leben) weitergeht, nur schöner, besser, als zuvor, will keine Angst vor der Leere haben müssen, will lieber in Licht blicken als in gar nichts.

Auf deine Schulter lege ich die Lüge,
dass etwas sei, was nie geschieht.
Ich bin so frei, denn ich verfüge
nur über das, was mich vermied.


Ob man hier nun Liebe, ungenutzte Liebe in die beiden letzten Verse hineininterpretiert und die Hoffnung, doch noch einmal geliebt zu werden, obwohl zuvor keine Gegenliebe kam oder ob es um Zeit, um Leben, um ungenutzte Ressourcen geht oder Glauben an sich - im Prinzip würde jede dieser Deutungsmöglichkeiten funktionieren.

Auf deinen Schultern ruht die Welt,
in der ich nicht und alles bin.
Wir wurden beide herbestellt,
doch du alleine trägst den Sinn.


Und das hier ist für mich die wirklich faszinierendste Strophe, nicht nur, weil sie so etwas wie eine Liebeserklärung sein könnte, die Erklärung eines Menschen an einen anderen, dass jener der Sinn seines Lebens sei, was sehr romantisch und ein bisschen erschreckend wirkt, genau so könnte es sowohl die Ansprache eines Menschen an Gott sein, auf dessen Schultern er die Welt ruhen sieht, einer Welt, in der Teil und Ganzes ist, winzige Ameise und Universum im Sinne des Glaubens - als auch das, was Gott im Umkehrschluss einem Menschen sagen könnte - eben dass auf den eigenen Schultern (nicht auf denen einer fiktiven höheren Gewalt) die Welt ruht und dass jeder seinen eigenen Sinn schaffen und tragen muss.

Liebe Grüße,
Sabine
(Kommentar korrigiert am 18.09.2008)

 Erebus meinte dazu am 19.09.08:
Liebe Sabine,

den Text dieses Gedichtes habe ich plötzlich vorgefunden, so, wie es bisweilen geht, wenn man sich eigentlich seit Tagen mit ganz Anderem herumschlägt.
Du schreibst von "weiblichen, ausschleichenden Kadenzen" in S1, was ich in zweierlei Hinsicht bemerkenswert finde. Zum einen, weil ich einen Moment lang haderte, drei Strophen in ganz unterschiedlichem Kadenzenbau stehen zu lassen, zum anderen, weil sich die weiblichen Kadenzen ja tatsächlich zum Ende des Gedichtes "herausschleichen".
Auch der Umstand, das S1V1 und S2V1 jeweils eine Hebung mehr haben und dadurch wie Überschriften oder Themen wirken, während der erste Vers der beschließende 3. Strophe sich fest in die männliche Umgebung einfügt.
oh, und wahrlich schön finde ich "Formschön und von leiser, getragener Melodie, wie es dem Inhalt entspricht, handwerklich fein gemacht." - "es ist fühlbar und fast zu gut nachzuvollziehen" - du weißt, dass du damit meinen Nerv triffst? Ich meine, was meinen Anspruch an Gedichte betrifft.

Dass du mit S3V4 nicht grün wirst, kann ich mir schon vorstellen.
Sicherlich wäre ein ganz eigenverantwortendes LI angenehmer, idealer und dem Zeitgeist der Selbstfindung angemessener. Jedoch habe ich dem ganz bewusst nicht entsprochen. Denn das entspricht nicht meinem Erkenntnisstand.
Hier definiert sich ein LI über ein LD, und dass ist unabänderlich der Fall in dieser Welt, in der das LI nicht mutterseelenalleine stehen will/kann.
Der Adressat, das LD, ob Gott, Liebster/Liebste, ob Wurstbudenverkäufer, oder Mutter, hilft dem LI, nicht alles zu verlieren, woran es sich ausmacht.
Aber diese Beziehung beruht auf dem Umstand, dass das LI Vergessenheit findet, dass es also alles, was an Erfahrungen und Wissen in ihm ist, ablegt.
Und sie beruht deshalb auf der Lüge, denn diese liegt darin, neue Ziele zu definieren, die jeder Erkenntnis spotten. Unabdingbar sind es diese beiden Komponenten, die LI zu LD tragen, und damit eine ganze Welt auf die Schultern des LD ablegen.
Dann natürlich wird das nicht funktionieren. So werden keine Lichtgestalt entstehen, was sowieso eine eher diffuse Angelegenheit ist.
Du sprichst von einer erschreckenden Weise, in der dich die Verse berühren. Aber wo liegt der Schrecken? Darin, etwas zu tun, über das man sich eigentlich erheben muss? Das könnte ich allerdings gut nachvollziehen. Denn eigentlich beschreibt das Gedicht etwas, das daran erinnert, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen zu wollen, weil man Angst hat, zu versinken.
LI will nicht mehr an den Himmel glauben, aber es will LD den Glauben auch nicht nehmen. Es handelt sich, so besehen, um eine Art parasitäre Beziehung zum LD. Denn im Gefühl der Abhängigkeit überlässt es LD eine Last, die darin besteht, die eigene Erkenntnis zu verleugnen und die Lüge zu bewahrheiten.
So will LI Trost und Bergung finden. Es "will keine Angst vor der Leere haben" und missbraucht zu diesem Zwecke das LD. Das ist ein kümmerlicher Sinn, und den trägt das LD alleine. Aber anders vermag LI nicht zu bestehen. Oder doch?

Ich bedanke mich für deine sehr eingehende Beschäftigung mit den wenigen Versen, denen ich eigentlich gar keine besondere Anmutung zutraute.

Liebe Grüße an dich

Uli

 Isaban antwortete darauf am 19.09.08:
Erschreckend, weil das LI dem LD so viel Verantwortung aufbürdet. Wäre ich das LD, so wäre mir Angst und Bange, so ein Vertrauen enttäuschen, solche hohen Erwartungen nicht erfüllen, die Last nicht für den anderen mittragen zu können und ich wüsste auch nicht, ob ich es wollte, ob ich so eine Beziehung, Freundschaft, Liebe, Herrschaft über einen anderen wollte, der sich so ganz und gar aus der Hand gibt und nur noch für und über mich lebt.
So etwas gesteht man hilflosen Säuglingen zu, bis sie dem dann schließlich entwachsen und auf eigenen Füßen eigene Wege gehen. Aber es sieht ja nicht so aus, als wäre LI ein neugeborenes Baby, ebenfalls sieht es nicht so aus, als wollte LI diesen "Bequemlichkeiten" jemals entwachsen. Da müsste LD schon deutlich entsprechende Veranlagung haben, um so einen "Vertrag" einzugehen, wobei mich jene Seite auch schon wieder erschreckt.

Liebe Grüße,
Sabine

 Erebus schrieb daraufhin am 22.09.08:
Hallo Sabine,

ich habe nun lange versucht, diesem "erschreckend" nachzufühlen, doch ich kann es nicht finden.

Hier liegt nach meinem Empfinden eine ganz unterschiedliche Beurteilung oder ein anderes Verständnis vor. Denn, auch wenn ich das Wort vom nicht ganz "eigenverantwortenden" LI benutze, so wäre eine Fokussierung auf den Begriff der Verantwortung falsch.

Mag sein, ich kann es nicht richtig erläutern, dafür stehen jedoch die Verse selbst.
In deiner näheren Spezifikation führst du an: "als wäre LI ein neugeborenes Baby" - genau hier liegt unsere entgegengesetzte Auffassung.
Es geht hier nicht um die Auslieferung des LI an das LD, sondern darum, das das LD das "Baby" ist - im übertragenen Sinne. Es stellte eine Bereicherung, einen Hoffnungsträger, eine Unschuld dar, die dem LI abhanden gekommen ist.
LI weiss um das Scheitern, den Untergang, den Verlust allen "Babytums" und lässt dieses "falsche" LD dennoch zu, widerspricht ihm nicht. Es versucht alle Erfahrung zu vergessen und mit der Lüge des verdrängten Besserwissens LD bestehen zu lassen, vielleicht als einzige Kraft, die dem eigenen Scheitern entgegensteht.

So habe ich das intendiert. Das es nicht aufgeht ist schade, aber nicht zu ändern.
Ein LI, das sich derart definiert, also in vollem Bewusstsein dessen, was es macht, kann das überhaupt Verantwortung abgeben? Das wäre doch absolut schizophren .. mag sein, das so etwas vorkommt, dann allerdings in unbewussten Denkstrukturen.

Für mich ist der Ansatz nicht schlüssig, der dich erschrecken lässt. Hier geht es doch um Argumentationen vor dem Innersten Ich, nicht vor denen in einer öffentlichen Verhandlung, in der ein günstiges Strafmaß erreicht werden soll. Wenn hier eine Schuld eingestanden wird, dann hätte das nach meinem Empfinden Raskolnikowsche Dimensionen - wobei dieser aber in Unkenntnis der späteren Verwicklung handelte. Das kann LI für sich nicht zur Entschuldigung vorbringen.

Hat das LI zu diesem Bewusstsein gefunden: dass es das LD durch Vergessen und Lüge bestehen lässt, um selbst bestehen zu können - wie könnte daraus denn die Übertragung der Verantwortung auf das LD vonstatten gehen? Ich sehe das nicht. Es ist ein schuldhaftes Tun, nämlich dann, wenn sich auch das LD ein Scheitern eingestehen müsste und dem LI seine Unwahrheit vorhielte.

Nochmals zu meiner Intention: LI wird konfrontiert mit Unschuld, Schönheit, Jugend, ja, Naivität. Es lebt in dem Bewusstsein, dass alles das nur vorübergehend ist, scheitern wird, vergeht. Aber es verdrängt den Gedanken an die Vergänglichkeit und belässt das LD in seiner Art. Scheinbar lässt es also Hoffnung zu - diese Verse sind im Konjunktiv verfasst - das geht aber nur in Form einer "Lüge", eines Selbstbetruges. Es ist sich dessen bewusst, und hat also keinerlei Veranlassung, Verantwortung an das LD zu übertragen, auch wenn es die Verantwortung gegenüber dem eigenen Erkenntnisstand nicht zu hundert Prozent wahrnimmt.
Dann nämlich dürfte es an diesen Hoffnungsfunken keinerlei Teilhabe wünschen.

Aber: das LD trägt den Sinn, nicht das LI. LI sieht das Gewicht auf den Schultern des LD, das möglicherweise daran zerbrechen wird, so wie LI vor ihm. LI kann LD nicht von diesem Gewicht befreien, ihm nichts abnehmen, will nicht aufklären und zerstören. Im Gegenteil, es will selbst - durch Lüge und Vergessen - in den Genuss der positiven Kräfte kommen, deren Flüchtigkeit es nur zu gut kennt.
Erschreckendes finde ich darin nicht, besser gesagt, will ich darin nicht sehen, und ich finde dieses Attribut zu moralisierend. Mir ging es hier nicht um Übertragung von Verantwortung, Auslieferung oder Manipulation. Ich hoffe, ich konnte das einigermaßen klar machen.
Liebe Grüße an dich

Uli

 styraxx (18.09.08)
Ein wunderschönes Gedicht. Inhalt und Form perfekt in Einklang gebracht, sehr menschlich - ein Bekenntnis.
Alles andere ist schon gesagt. Gerne gelesen, meine Empfehlung.

Liebe Grüsse c.

 Erebus äußerte darauf am 19.09.08:
Hallo c.,

ja, du bringst es auf den Punkt: ein Bekenntnis.

Ich bedanke mich für die präzise Sektion, das freut mich wirklich.
Und auch: dass Form und Inhalt auch in deinem Sinne zusammenkommen.

Herzlichen Dank und liebe Grüße

Uli
Caterina (46)
(18.09.08)
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 Erebus ergänzte dazu am 19.09.08:
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Liebe caterina,

merkwürdig, dass dir dieser Text so fern bleibt. Für abstrakt hielt ich ihn nicht, allerdings auch nicht für emotional.
Dein Versuch: "das lyrische ich bedarf einer seinsbestägigung und legt diese, ohne anspruch auf wahrheit, an des lyrischen du schulter." fällt irgendwie in eine Kluft, die ich nicht sah. Eigentlich beschreibst du genau, was ich aussagen wollte, bis auf die wertenden Tendenzen. Das ist Stoff zum Grübeln!
Denn hier wollte ich nichts "ins Licht geknetet" und keine Hoffnung erzeugen, das sollte eine eine reine Standortbestimmung des LI sein, geodätisch, aber nicht verwurzelnd.

"ein Bekenntnis."
Nicht mehr und nicht weniger, jedoch: vielleicht nur ein Zustand? Darin läge dann möglicherweise Hoffnung - aber wen interessiert schon Frohsinn?

Ich bedanke mich für deinen Kommentar
Liebe Grüße an dich

Uli
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