17. Juni: Desde Astroga dos peregrinos de Austria – wir sind am Ziel

Tagebuch

von  Raggiodisole

Illustration zum Text
Wir sind am Ziel
(von Raggiodisole)
Vom Monte do Gozo nach Santiago

Ihr glaubt es nicht, ihr könnt es einfach nicht glauben, weil ich es auch nicht glauben konnte.
Kurz nach 5 Uhr hörte man die ersten Pilger auf dem Gang reden und rumoren. Wir sind gerade mal 5 Kilometer vor Santiago und die ersten Speedys ziehen „kurz nach Mitternacht“ los.
Ich kanns ja geradee noch tolerieren, wenn man unterwegs früher losgeht, weil man vielleicht eine längere Etappe geplant hat oder es nach Mittag schon sehr heiß ist. Aber ein paar Kilometer vor Santiago so früh los zu laufen ist mir völlig unverständlich. Man ist doch spätestens um 7 Uhr in der Stadt und ich glaube kaum, dass die Kathedrale um diese Zeit schon geöffnet ist, vom Pilgerbüro ganz zu schweigen.
Naja, jeder wie er glaubt!

Ich bin kurz nach sieben aus dem Bett und hab mir erstmal eine Kaffee vom Automaten geholt und die Morgenfrische genossen. Um halb 8 hab ich Lukas geweckt, mit Kaffee versorgt und dann sind auch wir losgegangen.
Die Kilometer ziehen sich und in der Stadt gibt es auch heuer nicht viel mehr gelbe Pfeile, die den Pilgern auf den letzten paar hundert Metern den Weg weisen. Aber ich wusste ja schon, wo es lang geht und um 9:30 Uhr stehen wir auf der Praza do Obradoiro  - wir sind am Ziel.
Uwe und Ingrid sind bei uns und wir treffen auch Mutter und Sohn aus Bayern wieder.
Felicidades wünschen wir uns gegenseitig und umarmen uns.
Lukas möchte gleich ins Pilgerbüro und seine Compostela holen. Wir müssen uns anstellen und ich schicke eine sms an zuhause, Gitti, Gabi und Antje.
Dann wollen wir uns erst einmal ein Zimmer besorgen. Zurück in die Herberge möchte ich auch heuer nicht und so probieren wir es gleich mal bei einem der Hotels in der Altstadt.
105,00 € plus Taxe für eine Nacht, die spinnen die Galicier. Aber was muss ich denn auch im zweitbesten Haus der Straße fragen.

Wir suchen uns eine Bar und genehmigen uns erstmal ein gutes Frühstück. Ich suche mir die Telefonnummer von Señora Gomez heraus und rufe sie an. Sie ist completo, aber sie hat eine Freundin, die auch gleich in der Nähe von ihr wohnt und Zimmer vermietet. Wir verabreden uns vor der Casa Manolo und sie bringt uns zu Ines, bei der wir ein schönes, großes und sauberes Zimmer bekommen.
Es reicht gerade  noch zum duschen und umziehen, dann müssen wir uns auf den Weg in die Pilgermesse machen. Unterwegs besorgen wir noch ein Weckerl für Lukas, der schon wieder Hunger hat. Aber das muss erst einmal reichen, wir wollen dann zu Manolo essen gehen.
Die Pilgermesse ist sehr ergreifend. Die Nonne singt wunderschön und auch Lukas scheint irgendwie stolz, als der Priester vorliest: desde Astorga dos peregrinos de Austria. Das sind wir. Leider wird der Botafumeiro nicht geschwungen.
Nach der Messe treffen wir auf der Praza do Obradoiro den netten italienischen Radfahrer. Er heißt Alessandro und kommt aus der Nähe von Rimini. Er will noch weiter ans Cap. Die Linzerin und ihr amerikanischer Freund sind auch da und die drei Damen aus Deutschland, die wir in El Acebo kennen gelernt haben.
Auf dem Weg zu Manolo kaufen wir für Lukas noch Boxershorts, er hatte die Funktionsunterwäsche endgültig satt. Wisst ihr, wie Boxershorts auf Spanisch heißen? Boxers!
Bei Manolo müssen wir nur kurz auf einen Tisch warten. Das Essen ist sehr gut, Lentojas, dann fileta a la plancha y por postre una crema do vanilla. Lecker!
Ein paar Tische weiter sitzen Mister Wang und Mister Wong und wir begrüßen sie, dann gehen wir zurück in unser Zimmer und halten Siesta.
Um 17 Uhr weckt mich Lukas und wir suchen ein Geschäft, wo er ein T-Shirt gesehen hat. Zum Glück liegt eine Bar auf dem Weg und ich komme doch noch zu meinem „Nachmittagskaffee“.
Das T-Shirt wird dann  ein Poloshirt, aber Lukas war zufrieden und wir flanieren noch ein wenig durch die Altstadt und zur Kathedrale, Pilger suchen.
Wir checken auch noch, ob die parada  do autobus no. 5 immer noch auf der großen Praza liegt und Lukas entdeckt einen Burgerking. Ein „Long Chicken Menu“ ersetzt das Abendessen und dann gehen wir nach Hause.
Morgen wollen wir nach Cap Finisterre.

Das Ankommen war diesmal ganz anders für mich.
Lukas hat es nicht gleich realisiert und der Hunger hat ihn ein wenig grantig gemacht.
Eigenartig, die Tage des Gehens gab es überhaupt keine Probleme zwischen uns beiden. Aber jetzt wo wir da sind scheint es, als ob Lukas’ Geduld am Ende ist.
Aber ich denke, es ist auch sein gutes Recht, müde und ausgelaugt zu sein. Nach dieser tollen Leistung. Ich bin stolz auf „meinen Kleinen“
Und was ist schon ein bisschen Grant gegen die vielen schönen Erlebnisse, die wir gemeinsam auf dem Weg hatten.
Und schließlich sagt mein heutiger Spruch:

Lo esencial se puede
ver solo con tu corazón.
                      A. de Saint Exupery

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (27.09.08)
Wer schon nicht pilgert, sollte Deine Tagebuchnotizen davon lesen.
Unterhaltsam und berührend finde ich, wie Du Weggefährten und spanischen Alltag beschreibst. saludos Jorge
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