20. Juni: Adiós Santiago, volvemos otra vez

Tagebuch

von  Raggiodisole

Aus Wiedersehen Santiago, wir kommen wieder

Was für eine Nacht. Die Jugend von ganz Santiago hat sich offensichtlich unter unserem Zimmerfenster getroffen und gefeiert. Nach Mitternacht war an Schlaf nicht mehr zu denken. Bis drei Uhr morgens wälze ich mich im Bett herum und dann reißt mir der Geduldsfaden: ich steh auf, reiß das Fenster auf und schimpfe runter auf die Gasse, was das Zeug hält. Deutsch und Spanisch gemischt, doch das scheint die Burschen wenig zu beeindrucken. Sie rühren sich keinen Zentimeter weg und werden auch nicht wesentlich leiser in ihrer Unterhaltung. Ich bin sauer, richtig sauer. Und ich vergesse meine gute Kinderstube und greife zu drastischen Mitteln. Im Badezimmer stand nämlich ein Kübel, den füllte ich mit Wasser und das hab ich den Herren – nach einer kurzen verbalen Warnung auf Spanisch- geradewegs vor die Füße gegossen. Platsch, das hat gewirkt. Sie suchen das Weite und ich kann endlich einschlafen.
Ja, ich weiß, das war nicht gerade die feine englische Art, aber ich konnte einfach nicht anders, ich bin ein müder Pilger und ich hab ein Recht auf Schlaf!!! Und ich hab dann immerhin noch ein paar Stunden schlafen können, bevor die Müllabfuhr mich wieder lautstark geweckt hat.
Um ½ 8 Uhr steh ich dann auf und mach einen Spaziergang. Gleich ums Eck bei unserem Haus ist eine Bar, die schon auf hat. Ich streiche kurzerhand den Spaziergang und bin natürlich sofort hinein, um mit caffè con leche meine Müdigkeit zu bekämpfen. Die drei deutschen Damen sind auch da und frühstücken, sie wohnen auch bei der Señora. Vom Wirt erfahren wir auch den Grund für die nächtliche Fiesta. Abschlussprüfungen an den Schulen, so was ähnliches wie bei uns die Matura. Und er zeigt uns auch ganz stolz das Zeugnis seines Sohnes.
Der Kaffe hat mich halbwegs munter gemacht und für die kurze Nacht entschädigt, ich mache noch eine kleinen Spaziergang über den nahe gelegenen Markt und wecke dann Lukas. Wir packen unsere Rücksäcke und gehen frühstücken.
Ein letztes Mal schlendern wir die Gassen der Altstadt entlang Richtung Kathedrale, wir wollen noch zur Pilgermesse, bevor wir zum Flughafen fahren.
Heute hängt der Botafumeiro und wir stellen uns ganz vorne bei den Säulen hin, es ist auch schon ziemlich voll. Da entdecken wir vis a vis Alessandro, der einen Rundgang durch die Kirche macht und fleißig fotografiert. Er kommt zu uns herüber und bleibt auch zur Messe.
Als am Ende die Orgel ertönt und der Botafumeiro geschwungen wird, bin ich wieder den Tränen nahe und auch Lukas ist sichtlich gerührt. Nach dem Gottesdienst verabschieden wir uns von Alessandro und dann müssen wir uns sputen, die mochilas holen und zum Busbahnhof fahren. Der Bus zum Flughafen geht um 14:20 Uhr, den müssen wir unbedingt erwischen.
Es klappt auch alles wunderbar und wir treffen noch Mister Wang und Mister Wong, die auch auf einen Bus warten. Sie wollen nach Fatima. Wir tauschen email-Adressen und machen noch schnell Fotos. Dann müssen wir los.
Kurz ist die Busfahrt zum Flughafen und voll Wehmut schauen wir aus dem Fenster. Wir sehen schon die Abbiegespur zum Flughafen als der Bus an einer Haltestelle stehenbleibt und ein paar Pilger aussteigen. Sie holen ihre Rucksäcke aus dem Gepäckraum und der Bus fährt wieder los. Plötzlich übertönt ein lautes Klopfgeräusch das Brummen des Motors und wir sehen die Pilger an der Haltestelle wild gestikulieren und schreien. Auch der Busfahrer bemerkt das Geräusch und bleibt stehen, da er offensichtlich auch die verzweifelt winkenden Pilger bemerkt hat. Und dann wird auch der Grund des Geschreis klar. Einer der Pilger ist beim Versuch seinen Rucksack auszuladen nicht mehr rechtzeitig aus dem Gepäckraum gekommen. Wir konnten uns das Lachen über dieses Missgeschick nicht verkneifen.
Am Flughafen angekommen ließen wir unsere Rucksäcke einfolieren und stellten uns beim Check-in- Schalter an. Dann holten wir uns eine Kleinigkeit zu essen und beobachteten die Leute. Auch heuer konnte ich die Hektik nicht ertragen und wir sind ziemlich als letzte an Bord gegangen. Beide Flüge verliefen problemlos und wir landeten fast pünktlich in Schwechat, wo uns mein Mann und unser zweiter Sohn abholten.
Diesmal gab es kein großes Empfangskomitee, aber wir sind ja auch still und heimlich auf den Weg gegangen und viele haben gar nicht gewusst, dass wir unterwegs sind.
Unterwegs sind auch unsere Seelen noch, aber wir wissen, dass es dauert, bis man endgültig zuhause angekommen ist.

Mein letzter Spruch auf diesem Pilgerweg:

Vive como te gusta
sin hacer daño al projimo.

Rodjard Kipling

Lebe so wie es dir gefällt,
ohne einen anderen zu verletzen

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Kommentare zu diesem Text


 Jorge (24.10.08)
Für mich,der hier in Spanien lebt, sind deine Tagebuchnotizen wohltuuend, vom radikalen Wasserargument gegen nächtliche Schreihälse bis zur Erinnerung an liebe Freunde auf deinem Weg.
Hasta pronto saludos Jorge

 Raggiodisole meinte dazu am 25.10.08:
muchas gracias Jorge, für deinen Besuch und die Empfehlung.
ich hab lange überlegt, ob ich die Sache mit dem Wasser wirklich reinnehmen soll ... hab hinterher ja doch irgendwie ein schlechtes Gewissen den Burschen gegenüber gehabt ... aber damals wusste ich mir einfach nicht mehr anders zu helfen ...
und eines ist klar, ich liebe die Spanier ( wie überhaupt die Südländer) und fühle mich in deinem Land sehr wohl ...
wünsch dir ein schönes Wochenende
Regina
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