Gesten reichen

Text zum Thema Freundschaft

von  Sylvia

Ich weiß nicht, wie sie nach Deutschland kamen, was sie erlebten und wann ihre Flucht begann. Ebenso kenne ich weder ihre Hobbys, noch Interessen, doch sie haben sechs Kinder, die sie lieben, das spürt jeder.
Unsere Söhne sind seit der Grundschule miteinander befreundet. Yasin ist einen Kopf kleiner als Leon. Seine dunkelbraunen Augen besitzen fast immer einen traurigen Schatten. Nur wenn er lacht, von Herzen lacht, dann schimmert der Schalk und das Glück in ihnen wieder. Es ist eine Freude, dies zu beobachten. Vor allem, weil er zwei Grübchen besitzt, um die ich ihn beneide.

Zwischen seinen Eltern und mir ist im Laufe der Jahre eine Art respektvolle Bekanntschaft gewachsen. Sie ziehen mich immer gleich in ihre Wohnung, wenn ich Yasin nach Hause bringe oder abhole. Herzlich umarmen sie Leon, den es nicht stört. (Vermutlich wehrt er sich nur bei mir.)
Unsere Unterhaltungen beschränken sich auf Wortfetzen mit Hand- und Fußzeichen. Das muss auf Außenstehende schon sehr lustig wirken. Die Kinder erbarmen sich allerdings und übersetzen. Leon spricht sogar ein wenig Afghanisch.

Irgendwann erklärte Yasin, er würde gerne mit uns schwimmen fahren, doch seine Eltern verboten das und ob ich nicht mal mit ihnen sprechen könnte? Immerhin erlaubten sie ihm, bei uns zu übernachten, argumentierte er. Ich versicherte ihm, bei Gelegenheit das Thema anzusprechen.
Es war so um die Weihnachtszeit, als ich beschloss, seine Eltern darum zu bitten, mir Yasin anzuvertrauen. Ich fuhr hin, wurde wieder in die Wohnung gezogen und stand vor einem Weihnachtsbaum. Irritiert beäugte ich den geschmückten Baum, während die Eltern mich anstrahlten.
»Gefällt dir der Christusbaum?«, übersetzte Yasin die Frage seiner Eltern lachend.
»Hab nie einen schöneren gesehen«, flüsterte ich.
All meine vorherigen Gedanken waren futsch. Diese Geste, dieses Verständnis ohne zu verstehen. Der Vater zwinkerte mir zu.
»Yasin hat eine Badehose eingepackt, doch er muss ein T-Shirt tragen«, übersetzte die Tochter.
Sprachlos nickte ich und nahm die Jungs mit ins Auto. Als wir losfuhren, sprang das Radio an. Wir hörten die Nachrichten und der Moderator berichtete von einer Bombe, die in Afghanistan ein Wohnhaus wegsprengte. Achtzehn tote Kinder, Frauen und Männer.
Betroffen schaute ich in den Rückspiegel, wobei mir Yasins verletzter Blick begegnete.

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Kommentare zu diesem Text

steyk. (55)
(06.10.08)
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 Sylvia meinte dazu am 07.10.08:
Hallo Stefan...schön, das es dir gut geht...lächel...
Dein Kommentar ist schon sehr wahr...wir sind alle Menschen, "nur" Menschen und sollten dies nicht vergessen...
Lieben Gruß nach Berlin
Sylvia
Symphonie (73) antwortete darauf am 13.11.08:
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merlinpetrus (33)
(07.09.09)
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 Sylvia schrieb daraufhin am 07.09.09:
Huhu Phuchsy..

dein Kommentar erfreut mich sehr....
zumal du etwas sehr durchschauendes für die Überschrift gefunden hast....so ähnlich denke ich auch...eine Bitte und ein Danke über Gesten, die nachhaltig wirken....

Es ist ein sehr persönlicher Text von mir, und es freut mich, dass er so wahr genommen wird, wie ich ihn meine....wobei diese Situationen mit dem Weihnachtsbaum und den Nachrichten mich tief berührt hat...(ist auch wirklich so geschehen)

Lieben Dank
Sylvia
yodafan (47)
(09.09.09)
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 Sylvia äußerte darauf am 09.09.09:
Rolf, dein Kommentar berührt mich auch gerade....vielen Dank

LG Sylvia
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