Kritik sowie erläuterte und kommentierte Kurzfassung zu Kants Auffassung eines ewigen Friedens.

Erörterung zum Thema Frieden

von  kaltric

1. Einleitung

Immanuel Kant (1724 - 1804) ist durch seine verschiedensten Werke der Philosophie selbst der Allgemeinheit bestens bekannt. Weniger gut bekannt aber ist seine Schrift zum Frieden von 1795, auch wenn sie oft rezipiert oder kritisiert wurde.

Dieser Artikel möchte das Werk, das schon an sich für ein Werk Kants erstaunlich kurz ist, noch einmal zusammenfassen, erläutern und kritisieren. Gebaut ist der Text wie ein (Friedens-)Vertrag mit Präliminarartikeln, Definitivartikel, Zusätzen und Anhängen, die bei der Reclamausgabe von 1984 / 2008 eine Länge von lediglich 56 Seiten erreicht. Trotzdem schaffte Kant es, seine üblichen langen verschachtelten Sätze zu nutzen, doch in diesem Werk immerhin im wesentlichen verständlich. Dafür ließ er sich aber in den zugehörigen Fußnoten explizit aus.





2. Die Präliminarartikel: Krieg und seine Verhinderung.i

  1.

      Es kann keinen Friedensvertrag geben in dem der Vorbehalt zu einem zukünftigen Krieg enthalten ist. Denn dann wäre es kein Frieden, sondern nur ein Waffenstillstand. Ein Friede dagegen ist ein Ende jeglicher Feindseligkeiten.
  2.

      Staaten sind nicht erwerbbar. Denn sie sind keine Habe, sondern eine Gesellschaft. Der Erwerb eines Staates würde ihn auflösen und damit wäre der Vertrag nichtig.
  3.

      Heere sind aufzulösen. Sie bedrohen Staaten und den Frieden durch ihre Bereitschaft zum Kriege. Auch sind sie Ursache zum Krieg, wenn Kriege nur geführt werden um sie zu unterhalten. Dagegen ist freiwillige Waffenübung für den Notfall erlaubt.
  4.

      Ausländische Schulden sind nicht erlaubt. Denn diese provozieren Kriege oder machen Staaten abhängig. Innere Schulden sind dagegen sehr wohl erlaubt.
  5.

      Keine Regierung darf sich in eine fremde einmischen. Auch nicht, wenn sie innere Probleme hat. Denn selbst Anarchie (im Sinne von Chaos) ist eine Regierungsform.
  6.

      Im Krieg darf man nichts tun, das im Frieden Misstrauen schaffen würde. Terror, Attentate etc. schaffen keine Vertrauen, denn wer solche Mittel im Krieg nutzt würde sie auch im Frieden sicherlich nutzen. Ohne Vertrauen bleibt aber nur der Ausrottungskrieg.

Letztlich definiert Kant 3 Begriffe:

a) Mächte: Es gibt die Heeresmacht, die Bundesmacht und die Geldmacht.

b) Krieg: Dieser ist ein trauriges Notmittel im Naturzustand, in dem es kein Gericht gibt.

c) Gesetze: Es gibt Gebote und Verbote und vielleicht noch das Erlaubnisgesetz der reinen Vernunft.

Mit Punkt b) übernimmt er also die Annahmen von besonders Hobbes, aber auch Rousseau und mit Punkt c) direkte Definitionen von Hobbes, auch wenn er das nicht explizit sagt.





3. Definitivartikel ii

Zunächst weitere Definitionen.

a) Naturzustand: ist der Krieg, unerheblich ob schon ausgebrochen oder nur drohend.

b) Frieden: Wird gestiftet, kann also nicht von selber sein.

c) Bürger: Sind Menschen, die aufeinander einwirken können. Sie unterteilen sich in Staatsbürger, Bürger des Völkerrechts und Weltbürger.

d) Befugnis: ist die Möglichkeit einer Handlung.

e) Freiheit: ist die Befugnis, nur eigenen Gesetzen zu gehorchen.

f) Gleichheit: Bedeutet, dass niemand jemanden zu etwas verpflichten kann, zu dem er nicht auch selber verpflichtet werden kann.

Die Definitivartikel:

1. Die Verfassung kann nur republikanisch sein. In dieser sind alle Menschen frei (bürgerlich frei, wie Rousseau es sagen würde), aber abhängig von einer Gesetzgebung und untereinander gleich. Warum die republikanische? Weil dort der Bürger mit entscheiden kann, ob er den Krieg will. Was ist republikanisch? Nicht nur Demokratien! Bei den Formen unterscheidet Kant zwischen zwei beteiligten Faktoren: Dem Herrscher (Autokratie, Aristokratie und Demokratie) sowie der Regierung (republikanisch oder despotisch). Die Republik besteht somit aus einer Legislative und einer Exekutive, während die Despotie beides vereint. Schon hier steigt er mit diesen Ansichten also in die Fußstapfen von Rousseau, doch übernimmt noch anderes.

So spricht Kant davon, dass in der Demokratie jeder Herr sein will und sich daran nur durch Revolutionen etwas ändern kann, weshalb die Demokratie der Despotie sehr nahe kommt. Er spricht sich also explizit gegen die Demokratie aus; einzig, wenn sie repräsentativ ist, ist sie funktionsfähig. Genau gegen Repräsentation hatte sich ja Rousseau ausgesprochen. Für Kant dagegen ist eine nicht-repräsentative Regierung eine Unform, denn sie würde Legislative und Exekutive vereinen. Gut sei dagegen eine Regierung, die ein kleines Personal aber eine große Repräsentation hat.

2. Es muss föderierte freie Staaten geben, die ein Völkerrecht verbindet. Der Völkerbund bildet hierbei eine Art bürgerlich-ähnliche Verbindung zwischen einzelnen Staaten.

Die menschliche Natur: Sie sieht Kant als bösartig an. Dies erkennt man, wenn man das freie Völkerverhältnis betrachtet. Allerdings hat der Mensch eine schlummernde moralische Veranlagung, die in der Lage ist, das Böse zu überwinden.

Ein Friedensbund: Dies ist etwas, das alle Kriege für immer zu beenden sucht, zum Erhalt der Menschheit und zur Friedenssicherung.

Staaten allein sieht Kant als sinnlos für Sicherheit an, solange es keinen Frieden auch zwischen den Staaten gibt. Dies führt dazu, dass er eine Weltrepublik fordert.

3. Das Weltbürgerrecht soll durch Bedingungen der allgemeinen Hospitalität eingeschränkt sein.

Hospitalität: Dies ist die Wirtbarkeit. Das Recht, bei Ankunft auf fremden Boden nicht feindselig behandelt zu werden. Fremde darf man nur abweisen, also sozusagen aufforden zu gehen, denn es gibt ein allgemeines Besuchsrecht, das allen Menschen auf der Erde zusteht, da diese begrenzt ist und man sich auf ihr dulden und miteinander auskommen muss.

Die Staaten Europas dagegen waren zu seiner Zeit inhospital, denn sie eroberten und bekriegten sich.iii Eroberungen und Kolonien aber würden nur zur Ausbildung neuer Truppe und somit als Zweck neuer Kriege dienen.iv





4. Die Zusätze v

Nach den geschilderten Artikeln führt Kant noch einen Zusatz sowie einen weiteren, ‘geheimen’ Zusatz an.

1. Was ist die Garantie für einen ewigen Frieden? Kant sagt, es ist die Natur. Die Natur läuft mechanischvi, ist zweckmäßig, sie wird vom Menschen auch Schicksal oder Vorsehung genannt und ist eine Schranke für die menschliche Vernunft. Deshalb soll sie die Garantie sein, dass es einen ewigen Frieden geben kann:

a) Sie sorgt für alle Menschen. Selbst in entlegenden Gegenden treibt sie ihnen Lebensnotwendiges zu.

b) Der Krieg trieb die Menschen in alle Gegenden der Erde.vii

c) Der Krieg trieb sie letztlich auch in Staaten.viii

Damit stimmt er also vor allem Hobbes zu. Allerdings behandelt Kant die Natur wie ein Lebewesen, das denkt, das für seine Bestandteile ’sorgt’, die uns Pflichten auferlegt. So kommt er auf 3 Punkte, wie die Natur uns den Frieden garantiert.

a) Durch Zwänge die sie uns auferlegt sorgt sie für Recht.

b) Die Natur will keine großen Staaten, sondern kleinere, denn der große würde irgendwann in Despotie und danach Anarchie enden. Ihre Mittel dazu sind die Sprachen und Religionenix, die die Menschen entzweien.x

c) Der Handelsgeist des Menschen fördert den Frieden.xi

Für Kant wäre damit die Garantie zum Ewigen Frieden gegeben.

2. Der geheime Zusatzartikel: Philosophen sollten vom Staat als Ratgeber herangezogen werden. Allerdings ohne diese direkt zu fragen. Man soll ihnen nur die Möglichkeit der freien Rede geben. Und schon würden sie auch darüber reden. Und diskutieren. Und so zu guten Ergebnissen und Überlegungen kommen, welche der Staat dann nutzen kann. Dagegen dürfte man sie nicht direkt fragen, denn erstens darf das Oberhaupt nicht den Untertan um Rat fragenxii, zweitens würde der Besitz der Gewalt das Urteil trüben.xiii





5. Der Anhang xiv

Letztlich führt Kant noch zwei lange Anhänge auf, in denen er verschiedenes erläutert.

1. Die Misshelligkeit zwischen Moral und Politik.

Moral: Pflicht, Sollen und deshalb auch Können, Ehrlichkeit, Weisheit; theoretische Pflicht.

Politik: Verschlagenheit, Klugheit; praktische Pflicht.

Im Staat herrscht Gewalt und Zwang kollektiv frei zu sein, ähnlich wie bei Rousseau (’Zwang zur Freiheit’). Doch wer die Gewalt hat, wird sich vom Volk (bzw. der Moral) zumindest keine Gesetze vorschreiben lassen. Wobei Kant zu dem Schluss kommt, dass es einen moralischen Politiker (der nach Grundsätzen der Moral herrscht, also dem kategorischen Imperativ) geben darf aber keinen politischen Moralisten (der sich selber eine Moral schmiedet), allüberall aber letztere herrschen, während die ersteren den ewigen Frieden stiften können.

Die moralischen Politiker würden Rechtsverletzungen beschönigen und verewigen, die politischen Moralisten handeln dagegen gegen den Staat aber ‘bessern’ sich. Die Entschuldigungen der moralischen Politiker sind: a) nach der Ausübung einer Tat lässt sich diese leichter rechtfertigen als zuvor, b) die Schuld auf Untertanen schieben, c) sofern sie gewählt wurden, nach ihrer Wahl die Wähler untereinander entzweien.

Kant meint, objektiv betrachtet gäbe es eigentlich keinen Konflikt zwischen Moral und Politik, sehr wohl aber subjektiv betrachtet aus Gründen der jeweiligen Selbstsucht. Er schließt damit, dass die Politik zuerst die Moral konsultieren muss.

2. Einhelligkeit der Politik mit der Moral entsteht durch das öffentliche Recht. Jede Handlung, die sich auf das Recht anderer Menschen bezieht, muss öffentlich sein. Also keine Heimlichtuerei. Damit stimmt Kant nun wieder Hobbes zu.





6. Fazit

Kant führte auf, was für einen Frieden notwendig ist, in welcher Umgebung er gedeihen kann, welche Garantie zur Einhaltung es gibt und wer ihn durchsetzen kann.

Bei letzterem Punkt konnte ich ihm nicht mehr völlig folgen, dem, was ich verstanden habe, stimme ich aber zu. Bei der Garantie sage ich, wie in den Endnoten aufgeführt, dass es überhaupt keine gültige Garantie ist. Die Natur des Menschen führt immer wieder zurück zu Zwist, ebenso wie auch zu Frieden. So einfach kann es sich Kant dort leider nicht machen. Die benötigte Umgebung wäre heutzutage schon fast erreicht. Kriege gibt es aber immer noch, teilweise mit viel fadenscheinigeren Begründungen als noch zuvor, fast alle gar aus wirtschaftlichen Gründen.

Teilweise widerspricht er sich durch seine Begrifflichkeiten auch schon selber. So ist z.B. die Natur Garant für den Frieden aber gleichzeitig der Naturzustand Krieg? Und wenn die Natur für Frieden sorgt, warum gab es ihn das bisher noch nicht?

Krieg ohne Frieden ist nicht zu denken ebensowenig wie Frieden ohne Krieg. Den Krieg wird es immer geben.xv Ein ewiger Frieden widerspricht sich schon selber, da kein Friede ewig sein wird.

Entweder gingen Kants Überlegungen nicht weit genug oder noch schlimmer - und die etwas ungeordnet erscheinende Aufmachung des Textes legt dies nahe - er schrieb den Text ohne große Überlegung und lediglich zu Geldzwecken. Diese These wird auch unterstützt durch die Tatsache, wie schnell das Buch gedruckt wurde, wie sicher sich jeder zu Beginn bereits des Geschäftes war, wie gut der Name Kant die Verkäufe anregte, wie schnell es eine zweite Auflage gab, die erst Ergänzungen enthielt - und so einiges andere.





7. Literatur

I. Kant: Zum ewigen Frieden. Reclam Verlag Stuttgart, 2008.


.

——

Fußnoten:

.

i S. 3ff.

ii S. 10ff.

iii Hier führt er noch eine seltsam lange Fußnote über die Etymologie des Namens China aus. Offensichtlich war Kant bestrebt, die Staaten bei ihren eigenen Namen zu nennen, so auch Nippon (Japan).

iv Dies kann man sehr schön mit Heute vergleichen. Wieviele Kriege werden doch nur um Rohstoffe geführt oder noch schlimmer - allein um die eigene Wirtschaft am Laufen zu halten! Durch Herstellung von Waffen, durch Beseitigung von Kriegsschäden etc.

v S.24ff.

vi Ist das nicht ein gewaltiger Widerspruch zu den Begrifflichkeiten natürlich und mechanisch?

vii Das ist wohl kaum richtig. Menschen wandern seit Urzeiten. Teils aus Abenteuerlust, teils weil der bisherige Platz nicht reichte. Das muss aber bei weitem nicht mit Konflikt einhergehen.

viii An dieser Stelle fügt er eine eine Ausschweifung ein über seine Theorien zu Migration, Geschichte der Menschheit, Sprachen und weiterem.

ix Bei den Religionen sagt er, dass es in Wahrheit eigentlich nur eine einzige gibt und alle andere lediglich Varianten davon sind. Damit beweist er bemerkenswerten Scharfsinn.

x Aber ist dem so? Die Globalisierung scheint zu anderen Ergebnissen zu kommen: bald werden die meisten Sprachen ausgestorben sein und die wenigen überlebenden kann man dann auch zugleich beherrschen. Ob sich die Religionen aber je vereinen, ist fragwürdiger, die Geschichte sagt bisher anderes. Doch viele Religionen waren noch nie ein Hinderniss, wieviele Staaten kennen wir doch, die mehr als eine Religion in ihren Grenzen dulden? Insofern sind also diese beiden Argumente Kants und damit der ganze Punkt nichtig.

xi Das scheint auch nicht zu stimmen. Wieviele Kriege gab es doch bloß allein eben _wegen_ dem Geld? Die USA sind ein perfektes Beispiel dafür. Andere, wie die Niederländer zu Kants Zeiten waren tatsächlich bloße Händler und friedlich, doch auch nur aus Profitgier. Wer sagt, dass ihr Geld nicht die unterstützte, die mit Waffengewalt für mehr Geldquellen sorgten?

Letztlich muss man also sagen, dass Kants Garantien absolut keine Garantie bieten, denn der Mensch versucht immer wieder die Natur zu beherrschen, nicht umgekehrt. Ebenso zweifelhaft ist es auch, dass es je zu einem Ewigen Frieden in diesem zänkischen Menschengeschlecht kommen würde. Vielleicht einen kurzweiligen, doch das ist nur der Waffenstillstand bis zum nächsten Krieg, wie Kant es genannt hätte.

xii Warum sollte er nicht dürfen?

xiii Das ist ein direkter Schlag gegen Platons Philosophenstaat, den ich nur unterstützen kann. Was ich allerdings als Frage aufwerfen muss, ist folgendes: Wenn der Besitz der Gewalt das Urteil trübt, warum sollte dann das Urteil des Herrschers insofern ungetrübt sein, dass er a) den Philosophen überhaupt zuhört und b) auch auf das richtige hört? Das ist doch höchst zweifelhaft, wenn man Kants Urteil annimmt. Damit würde dieser Zusatz auch in sich zusammenfallen.

xiv S. 35ff.

xv Vgl. Dazu den schönen Titel des Buches von J. Haldeman: Der ewige Krieg.

Möchtest Du einen Kommentar abgeben?
Diesen Text kommentieren
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram