Hellraiser I

Kurzprosa zum Thema Absurdes

von  RainerMScholz

1 Michael steht bei den anderen, die betrunken, bekifft oder angeschossen sind. Dumpfes Stimmengewirr. Vor zwei Stunden ist er am Bahnhof, Gleis 13, auf einer Bank aufgewacht. Seine Freundin lag neben ihm. Sie war tot. Ihre Augen starrten wässrig in den eisernen Himmel. Die Nadel stak noch in ihrem Arm. Er stand auf, sah auf den verrenkten, verbrauchten, ausgesaugten Leichnam hinunter. Er war sehr still. Ihre Seele - nun im letzten Kreis der Fixerhölle angelangt, danach das Ende. Kalter Wind fegt Zeitungsfetzen über die Schienenstränge. Alles ist grau. Engel singen auch bei Regen. Der Bahnhof schien menschenleer zu sein. Ihre langen schwarzen Haare hingen wirr in ihr kalkbleiches Gesicht. Ein dünnes Blutrinnsal, schon fast getrocknet, zeichnete eine feine Linie vom Mundwinkel bis zum Kinn und auf den schmutzigen ausgetretenen Bahnsteig. Ihre Beine waren x-förmig verrenkt, der rechte Arm lag in ihrem Schoß, der linke angewinkelt auf der Holzbank, so dass sie jetzt fast locker und entspannt wirkt. Michael dreht sich um und geht weg. Er muss Stoff besorgen. Das Paradies wartet. An der Trinkbude stehen fremde Menschen. Ein Tag wie jeder andere. Trinken, damit das Zittern fortgeht. Fortgehen. Einen Schuss setzen. Trinken. Dann, vielleicht, wenn es genug ist: Der goldene Schuss. Ein Stück weiter. Ein Stück Himmel.

2 Die Schrotflinte knallt hart von den Wänden wider. Der korpulente Mann im fortgeschrittenen Alter steht am Fenster einer fremden Stadt aus Stahl und Zement, und er schießt auf die grünen Kühe mit den rosafarbenen Lefzen, die sich dort draußen zu einem neuen Angriff formieren. Eine weitere Salve kracht in die Nacht. In der Ferne sind bereits die Sirenen zu hören. Seine Frau liegt im Bett, ihr Gehirn über das Kopfkissen verteilt, die Beine gespreizt, zwischen denen ein abgebrochenes Tischbein in die Luft ragt. Auf ihre Brust ist ein Zettel genagelt: Ich bin eine fette alte Schlampe! Der Mann steht im Unterhemd am Fenster und schießt in die Nacht. Wieder greifen die fliegenden Kühe an. Sie lachen brüllend. Sie lachen ihn aus. Sie strahlen eine grüne Phosphoreszenz aus, so scheint ihm. Er lacht nun auch. Tränen laufen seine Wangen hinab. Er stellt das Gewehr ab und klatscht in die Hände wie ein kleines Kind, laut schluchzend. Er lädt nach, feuert. Nicht getroffen. Das nächste Mal wird er das Aas erwischen. Und wieder daneben. Die Polizisten treten die Wohnungstür ein und schießen ihm sieben Kugeln in den Rücken, bevor er auch nur den Lauf seines Gewehres heben kann.

3 Hysterisch lachend läuft Simone an den Dachrinnen entlang, die aufgrund des heftigen Regens überzulaufen drohen. Sie ist vollständig nackt. Ihr Körper ist an Gesicht, Brust, und Oberschenkeln von Blutergüssen, Schorf, alten Narben, Riss- und Schnittwunden übersät. Ein dünner Blutfaden läuft aus ihrer Vagina die Innenseite der Beine hinab. Sie wedelt mit den Armen, als wolle sie vom Dach fliegen. Immer wieder nimmt sie Anlauf. Ein neuerlicher, gellender Schrei stoppt sie. Sie kann nichts sehen. Ihr Gesicht ist verschmiert von Regen, Blut und Tränen. Sie schreit. Sie kreischt, dass ihr Vater, die dreckige Sau, sie nie mehr anfassen wird. Sie wünscht ihm den Tod. Er wird sie nie mehr schlagen, nie mehr missbrauchen können. Papa, es hat so weh getan. Simones Vater liegt sieben Stockwerke tiefer auf dem Asphalt, halb in einer Pfütze versunken, der Körper bizarr auseinandergezerrt.. Während er auf dem Bauch liegt, starren seine leeren Augen in den Regenhimmel. Simone tanzt auf dem Dach. Simone ist fünfzehn Jahre alt. Dann tanzt sie noch ein Stück weiter.

4 Im Universum nebenan pulverisiert die Anti-Materie-Maschine eines hoch dotierten verrückten Professors die Menschheit in ihre Atome. Einziger Überlebender: Der Eiserne Kanzler. Er setzt sich auf einen Stein, senkt den Kopf auf die Faust und denkt angestrengt über einen Neubeginn, eine Restauration, ein Was-zusammen-gehört-wie-auch-immer nach. Und: Ich bin ein guter Mensch, ich esse jeden Tag einen Amerikaner. Einzige relevante Überlebende der Apokalypse ist die Katze, die sich in das nächste Universum retten konnte. Bleiben noch acht von neun. Die Katze hat einen Pissfleck auf die Couch gemacht.
               
5 Luzifer, der Herr der Hölle, kommt auf die Erde, weil ihm unten die Zigaretten ausgegangen sind. Er geht in das nächste Tabakwarengeschäft, bestellt eine Stange Roth Händle, knallt schnell die Alte hinter der Theke, sieht sich kurz um, und nachdem er festgestellt hat, dass es gut war, das heißt, dass alles beim alten geblieben ist, steckt er das Wechselgeld ein, scharrt kurz mit seinem Huf, um dann mit einem rauchigen schwefligen Knall wieder zu verschwinden.                                               
Die Erde tut sich auf. Dann ist alles wieder still. Alles geht seinen Gang.

© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text


 Theseusel (23.12.08)
Auch eine Weihnachtsgeschichte(n)!

 RainerMScholz meinte dazu am 23.12.08:
Ja. Weihnachten unter Tage.
Danke und Grüße,
R.
cannam (35)
(30.12.08)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 RainerMScholz antwortete darauf am 31.12.08:
Danke für deinen Kommentar, cannam.
Grüße,
R.
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