Brief an die Sprachlose

Text zum Thema Täuschung

von  Iv0ry

Liebe Herzensfrau,

seit letztes Jahr um diese Zeit, als Dein Schmerz noch rein und unverfälscht durch meine Adern floss, sind sie langsam wieder durch den Briefkastenschlitz gefallen, die Worte.
In homöopatischen Dosen und ohne Aussagen, aber wie verirrte Meisen vor dem Fenster, die im Kreis fliegen, bis ich des morgens das gefrorene Wasser aus ihrer Badeschüssel nehme, haben auch sie sich irgendwann wieder das Gefieder geschüttelt und mein Schweigen mit Dir geteilt.

Ich wünschte ich hätte Worte für Dich, doch jedes, welches ich Dir schicke wird nur ein weiteres Messer sein, das die Stille zerteilt, aber nicht den Schmerz.
Er ist die reglose Decke aus den weichsten Daunen, die die minütlich erdrücken, die Hinrichtung, die nur den Ansprüchen deiner Gefühlsmafia entspricht.

Die Plätzchen, die ich Dir letzte Woche geschickt habe- ich weiß dass sie unangetastet auf einem Teller liegen. Dem Teller, den Du am liebsten an die Wand werfen würdest.
Ich hab Dir extra jene Plätzchen geschickt, die Bissspuren schon in ihren Förmchen haben, so dass der Besuch, der nicht kommen wird, keinen Einlass findet und der garnicht existiert, dem Glauben erliegen wird, dass alles normal ist.

Das ist es ja auch. Normal. Wie es nie sein wollte und wir es nie glauben sollten.

In der Normalität da draussen sitzt er irgendwo, nachts im Dunkeln im Auto und hört Musik, zu der er nur mit uns durch die Nächte tanzen konnte.
Die einzige Musik, die ich noch ertrage aus jener Zeit ist mein Herzschlag.
Dummerweise hat es weitergeschlagen, auch als es nicht mehr in seiner Hand lag.

Die Sprache ist dein Schaffot, also bleibt Dir nur der Blick aus den Kameraaugen und die Musik.
Mein Klavier verendet in einer Ecke, doch bald werde ich kommen dich zu bannen, in deinem Lieblingskleid - noch ist es seins - damit der Schmerz stillsteht - wenigstens für einen Moment.

Danach fliesst der Alkohol, in jenem tiefrottrunken - auf das Kleid, deinen Körper, und zwischen die Ränder der Briefe.

Stunden später fliessen auch Worte. In Deinen Mund.
aus meinem Herzen.

Bis dahin atme ich neben Dir und füttere die Katze.

Die Deine

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