So wie letztes Jahr

Geschichte zum Thema Vergangenheit

von  Mutter

Das gleiche Haus, das uns letztes Jahr noch so gemütlich und urig erschien, ist jetzt ungemütlich und kalt. Ich betrachte die harten Holzbänke und halte es einfach nicht mehr aus. Nehme die Jacke und gehe runter zum Strand.
Sandstrand gibt es hier nicht, haben sie uns damals gesagt. Nicht hier im Westen. Hier gibt es nur die grauen Steinstrände, hart und einsam.
Ich stehe da, schaue raus aufs Wasser und suche nach Robben. Oder sind es Seehunde? ‚Seals’ nennen sie sie.
Mit den Seals ist es bisschen wie mit den Sternen. Erst kannst du keinen entdecken, aber wenn du lange genug schaust, taucht erst einer, dann der zweite auf. Und plötzlich siehst du ganz viele.
Früher habe ich die Seals nicht gemocht. Du hast immer darüber gelacht, meintest, sie sehen so putzig aus. Ich hatte Angst vor ihren dunklen Augen. Als würden sie alles sehen. Als würden sie mich kennen.
Jetzt macht mir das nichts mehr. Inzwischen ist mir egal, was sie sehen könnten. In mir drin. Hier gibt es nichts zu sehen, bitte gehen Sie weiter. Nichts zu sehen.

Das Wasser ist bestimmt kalt. Letztes Jahr wollte ich unbedingt ins Wasser, völlig egal wie kalt. Einfach nur so, um mal im Atlantik geschwommen zu sein.
Mich fröstelt, und ich mache die Jacke zu.
Als ich mich umdrehe, um zum kleinen Haus hochzusehen, bläst mir der Wind die Haare ins Gesicht. Ich schaue gerne raus auf Meer, und praktischerweise hat man dann keine Probleme mit den Haaren.
Nur zurückschauen, aufs Land, das darf man nicht.
Das Haus mit seinen weißen Wänden sieht so friedlich aus. ‚Pastoral’ hast du es genannt, letztes Jahr.
Frieden findet sich immer noch im Haus – aber kein weicher, warmer Frieden.
Wir reden nicht mehr miteinander. Schweigen uns an.
Immerhin hat das Streiten aufgehört. Das ist auch eine Art von Frieden.

Manchmal schaffe ich es, mir vorzustellen, ich sei alleine im Haus. Dann macht es mir nichts, das ich dich nur sehen, aber nicht hören kann. Kinder sollte man sehen, aber nicht hören. Sind wir Kinder?
Es tut mir weh, dich nur zu sehen.
Ich wäre viel lieber letztes Jahr hier als dieses. Aber das geht wohl nicht.

Die Seals beobachten mich immer noch. Haben offenbar nichts Besseres zu tun, da draußen im Atlantik. Aber denen macht die Kälte ja auch nichts aus.
Ich verabschiede mich von ihnen und gehe den kleinen Weg zurück zum Haus.

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Kommentare zu diesem Text

kontext (32)
(01.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.01.09:
Oh wie schön, ein Kommentar im/vom kontext ... :D
Die mag ich - da kann man immer wunderbare neue Worte drin finden.

Danke schön.

Und immer. Gerne. :)

*edit: Ja, 'dunkel geläutert', sowas meine ich. Schön. 'Läutern' hat bestimmt auch einen spannenden Ursprung. *guckengeht*
(Antwort korrigiert am 01.01.2009)
kontext (32) antwortete darauf am 15.01.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 15.01.09:
Wie war das mit dem Abonnieren? :D
Na, diesmal bekomme ich ihn ja automatisch angezeigt, quasi Frei-Haus.

Schön.
kontext (32) äußerte darauf am 17.02.09:
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 Mutter ergänzte dazu am 17.02.09:
Ahem, ich fühle mich beobachtet ... O.o

:D

Ja, wegen der Wiederholung. Du fandst das wichtig?
Mmmmmm ... *kopfhinundherwieg*

Ich denk noch mal drüber nach, ja?
kontext (32) meinte dazu am 17.02.09:
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 Mutter meinte dazu am 17.02.09:
*wimmert* "Neinneinneinnein, sonst nichts, wirklich wahr, großes Pfadfinderehrenwort, ich schwöre beim Grab meines Vaters ..."

Ehrlich wahr und nicht gelogen.

Frag den Löwen Hans.

 Mutter meinte dazu am 20.02.09:
So.

Hattest Recht.
Steinwolke (65)
(01.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.01.09:
Mmmh, zwei Fragen, und auf beide habe ich keine befriedigende Antwort parat. Passend zum Neuen Jahr. :D

Das mit den Kindern ist halt so ein Standard-Spruch, der ihm in dem Moment einfällt. Den Berliner Hausmeister vielleicht gerne in Hinterhöfen annageln würden. Wen man nicht sieht, der geht einem nicht so auf die Nerven.
Nein, Kinder haben die beiden keine. Der 'Sind wir Kinder?'-Satz ist so reingerutscht - den muss ich mir vielleicht noch mal vornehmen, überprüfen, ob der so Bestand haben kann.

Zu den Seals: Eigentlich ist die relevante Stelle ja nicht der Schluß, sondern viel früher. Der Erzähler hat ja schon resigniert. ist ja schon alles kaputt. Da macht es ihm dann auch nichts mehr, wenn sie auf sein Gefühlschaos, oder die Leere, oder was auch immer da in ihm drin ist, blicken. Können sie vermutllich immer noch. Nur schert es ihn nicht mehr.

Und das Verabschieden - das kenne ich so gut. Man steht irgendwo, hängt den Gedanken nach, ist ein Stück weit einer unangenehmen Situation entflohen, aber irgendwann muss man zurück. Kann ja nicht ewig da am Strand irgendwo in Connaught stehen. Und dann verabschiedet man sich halt von dem, dem man noch hat. In diesen Fall ein paar dunklen Köpfe im Wasser, die zur Hälfte aus noch dunkleren Augen zu bestehen scheinen. Immerhin haben die ja ein Interesse gezeigt ... :)

Dir auch einen exorbitanten Start ...
Caterina (46)
(01.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.01.09:
Es gibt so einen Kinderfilm, über ein von den Seals geraubtes Kind - 'The Secret of Roan Innish' oder so, glaube ich ...
Der ist wunderschön - aber dass sie Kinder mitnehmen könnten - das glaubt man denen sofort. :)

Danke für Deinen Kommentar ...
cannam (35)
(01.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 01.01.09:
Danke schön ... :)

 Unbegabt (01.01.09)
ganz stark.

ganz ganz ganz, verstehste.

n

 Mutter meinte dazu am 01.01.09:
Vastehe ... :D

Danke danke danke ... Schön.
leeaim (23)
(03.01.09)
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 Mutter meinte dazu am 03.01.09:
Schmerzhaft und melancholisch ist gut ... :)

Danke schön.

 Martina (11.02.09)
In mir macht sich Resignation breit....wenn ich mich in die Lage von diesem Beobachter versetze...Liebe Grüße Tina

 Mutter meinte dazu am 11.02.09:
Ich hoffe, sie geht bald wieder ... ;)

Danke schön ...

 mondenkind (12.02.09)
froestelig, atmosphaerisch und kuehl. nur die sehnsucht, die ist ein bisschen warm, glaube ich.
gefaellt mir sehr gut. lg, nici

 Mutter meinte dazu am 12.02.09:
Manchmal hält die einen sogar beim Schwimmen oben, im kalten Wasser ... :)

Danke schön.
Elvarryn (36)
(15.02.09)
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 Mutter meinte dazu am 17.02.09:
:D

Danke schön - und immer an Cindy Crawford denken. ;)
AugenBlick (32)
(27.03.09)
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AugenBlick (32) meinte dazu am 27.03.09:
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 Mutter meinte dazu am 30.03.09:
Nach dem ersten Kommentar nach der Mail wollte ich schon fragen: 'Und?' :D
Hat sich ja nun erübrigt.

Freut mich sehr, danke schön ...
Leyla (29)
(19.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 19.04.09:
Oh, danke schön ... :)






PS *ganzleiseflüstert*: Das diss hier aber kein Corker-Text iss, weißte ja? O.o





:D
Leyla (29) meinte dazu am 19.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 19.04.09:
Neenee, geht ja um Irland - da iss der dann ganz entspannt ... ;)
Leyla (29) meinte dazu am 19.04.09:
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kontext (32)
(11.05.10)
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 Mutter meinte dazu am 11.05.10:
:)

Du lässt mich auf eine Art lächeln, die ich vermisst habe. Ich liebe es, Deine Kommentare zu lesen, und noch viel lieber habe ich sie unter meinen eigenen Texten.

Schön ist das.
Danke.

 makaba (05.04.16)
Sehr schöne Atmosphäre, die du da verdichtet hast. Gefällt mir gut. Ich würde den letzten Satz wegnehmen. Dann endet es ein wenig trotziger. Die Situation ist schön beschrieben und resignierend gefühlt. Ein Text, ganz nach meinem Geschmack.

Danke für das Drauf-Aufmerksam-Machen.
lg makaba

 Mutter meinte dazu am 06.04.16:
Bitte.
Und danke. :)

Über den letzten Satz denke ich nach ...
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