IV: An die Schwester

Brief zum Thema Stadt

von  kaltric

Frühjahr 3979, Rardisonan

Geliebte Schwester,
wie ich dir das letzte Mal schrieb, melde ich mich hiermit wieder. Ich hoffe, es geht dir gut. Mit diesem Brief sende ich dir meine neue Anschrift, dorthin kannst du deine Antworten schicken. Wie du siehst, bin ich nun in Rardisonan. Leider alleine, denn Puidor habe ich nicht antreffen können, obwohl ich gut eine Woche in seiner Hütte auf ihn gewartet hatte. Das war vor einem Monat und obwohl ich ihm Briefe mit meinen Plänen hinterlassen hatte, ist er seitdem nicht hier aufgetaucht. Ich hoffe, er meldet sich noch. Wie du auch siehst, ist meine Anschrift die Guigans, die Blutsteine, die aber lange nicht so blutrünstig sind, wie ihr Name vermuten lässt. Lass mich dir erzählen, wie ich hierher kam:
Bei meiner Ankunft in Belané hörte ich bereits, dass man Anwärter suche. Doch hatte ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht das Verlangen, einer zu werden. Mein einziges schwaches Ziel im Geiste war die Besichtigung fremder Länder – und die Abschüttelung des Jochs meines Vaters. Insofern wusste ich eigentlich auch überhaupt nicht, was ich in Rardisonan nun tun sollte. Ich konnte mich gerade noch so dorthin durchschlagen, doch ab Rardisonan selber stand bar aller Mittel da. Ich betrat also die Stadt und hatte die Schwierigkeit, mir Geld oder Nahrung oder Arbeit – oder alles zusammen – zu besorgen. Es war Mittag an dem Tag an dem ich ankam und meine letzten Vorräte hätten nur noch bis zum Abend gereicht. Und Geld hatte ich in meiner maßlosen Dummheit bei meiner Flucht von Daheim nicht genug mitgenommen. Ich verbrachte den ersten Tag mit der Suche nach Arbeit für Geld, Nahrung oder Unterkunft, lernte dabei bereits einen Teil der Gassen und Kanäle der Stadt kennen, vor allem aber die Unfreundlichkeit einiger ihrer Einwohner: teils wurde ich beleidigt, teils trat man gar nach mir. Natürlich machten das nur die wenigsten und vermutlich hatte ich die Falschen gefragt, doch in Ayumäeh wäre mir dies wohl nie geschehen.
Natürlich fand ich den Tag nicht was ich suchte, wie du dir denken kannst, und verbrachte bald die Nacht in einer Scheune, die ich unverschlossen fand – und aus der ich morgens sehr unfreundlich wieder herausgeworfen wurde. Damit begann dieser Tag bereits sehr vielversprechend, doch vor allem sollte es dabei nicht bleiben. Denn mittlerweile stand ich ohne Nahrung da und all meinen Bemühungen zum Trotz sollte ich auch an diesem Tag keinen Erfolg haben.
Du weißt, ich bin verwöhnt, ich gebe es zu, immer etwas zur Verfügung zu haben und nicht viel dafür tun zu müssen, und so waren diese Umstände sehr schnell sehr unangenehm für mich. Es war gerade erst Nachmittag und schon plagte mich aufs Schlimmste der Hunger. Als ich dann auch noch zufällig auf den Marktplatz gelangte, dort ein unermessliches Gedränge herrschte und sich die Gelegenheit ergab... - nun, ich will es nicht ausschreiben, ich schäme mich zutiefst für diese Tat, dass ein Händler – nein, mehrere Händler – sich zuweilen über den Verbleib ihrer Waren wundern mussten. Ich schwor mir aber schnell, es ihnen wieder gut zu tun und mittlerweile arbeite ich auch bereits daran. Wie auch immer, auf diese unredliche Weise schaffte ich es mich für einige Tage durchzuschlagen. Doch dass dies nicht die Lösung sein konnte, war mir schnell klar.
Da sich nach einer Weile immer noch nichts besseres ergab, nicht einmal die kleinste einfache Arbeit für mich und ich nun schon öfter in die Nähe der Guigans gekommen war, tat ich bald den letzten vernünftigen Schritt: Eines Morgens fragte ich am Haupttor der Guigans, wo und wie ich mich einschreiben könne. Der Torwächter wieß mich hinein, wo ich gleich am Eingangshaus in einem kleinen Zimmer dem wachhabenden Hauptmann, einem Jinn namens Gajandó, vorstellig wurde, welchen ich nun stetig sehen soll, denn er leitet auch die Ausbildung.
Der Jinn -  ein dunkler Mann in seinen besten Jahren mit der für die Armee unverkannbaren Mischung aus halblangem Haar und Kinnbart – hielt ein längeres Gespräch mit mir. Warum ich mich melden würde, was ich erwarten würde, wie es wirklich sein würde und was es mir bringen könnte. Letztlich unterschrieb ich, mit dem Ziel, nach der Ausbildung meine Zeit in einer Guigans zu verbringen – etwas anderes wurde nicht angeboten. Mittlerweile bin ich gar nicht mehr so sehr ein Gegner der Kampfkunst wie früher noch. Ich erhielt ein Zimmer, meine Ausrüstung, mehrmals täglich Mahlzeiten und so fort. Dafür musste ich noch gleich am selben Tag an der Ausbildung teilnehmen. Unser Kampfausbilder war und ist ein Caris namens Duimé, der uns seitdem täglich körperliche Betätigung lehrt. Hierbei nahm er auf mich als Anfänger kaum Rücksicht, doch habe ich es irgendwann geschafft, zu den anderen aufzuschließen. Und ich wage zu sagen, dass ich mittlerweile mit zu den Besten in der Ausbildung gehöre. Zumindest hat der Jinn Gajandó mir das gesagt, denn der Caris Duimé ist immer nur hart und fordernd zu uns. Vermutlich gehört das halt zu seinen Aufgaben.
Nun, ich muss jetzt aufhören, wir haben hier einen täglichen Briefdienst, der bald aufbrechen wird. Ich hoffe auf Antwort von dir. Was ist nun in Bezug zu deiner Vermählung? Vielleicht würde ich es schaffen, zu kommen. Und was gibt es weiterhin Neues? Hat sich Vater schon gemeldet? Lass ihn nicht wissen, wo ich bin!

              Dein Falerte

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