Ungezügel

Erzählung zum Thema Gier

von  Mutter

Faulig-feuchtes Stroh unter meinen Fingern. Ich kralle mich daran fest, als könnte ich damit etwas fassen. Aber das ist vergebens. Es gibt hier nichts, nichts Fassbares.
Ich höre die Nager laufen, schnell und unbeugsam. Höre die Wachen oben, ihre Stimmen weit entfernt und gefiltert durch das eiserne Kreuzgitter.
Mein Mund verzieht sich zu einem Grinsen, ob vor Wut oder vor Lust weiß ich nicht.
Bald werden sie kommen, um mich zu holen.
Dann dringt seit Tagen der erste echte Lichtstrahl dort oben durch das runde Loch. Nicht der fahle, falsche Schein der Fackeln, so unstet, dass kaum ein Quäntchen davon zu mir reicht.
Aber ich brauche kein Licht, nicht mehr. Zu lange wohne ich schon im Dunkel, trage es wie einen Mantel.

Sie werden die lange Leiter herunterlassen, und sie werden mich rufen. In der Hoffnung, ich käme die Leiter alleine herauf geklettert, zu ihnen ins Licht.
Aber das tue ich nicht, das mache ich nie.
Ich werde hier unten sitzen, und leise lachen, dass ihnen Schauer den Rücken herunter gehen. Und sie werden verhandeln, miteinander, um Nachtwachen und zusätzliche Rationen. Vielleicht werden sie losen.
Und einer von ihnen wird schließlich den langen Weg nach unten antreten. Geblendet vom Licht oben und verschluckt von der Dunkelheit unten, wird er nichts erkennen.
Wird mich nicht sehen, nur hören.

Und wenn er unten angekommen ist und mit der Laterne oder der Fackel ins Dunkle späht, ängstlich, beobachte ich ihn. Spiele mit ihm, locke ihn.
Aber er traut sich nicht von der Leiter weg. Jedes Mal überlegt er, ob er einen Kameraden rufen soll. Aber sie würden über ihn lachen. Werden ihm sagen, dort unten sei nur ein Tier. Sie haben Recht.
Nur ein Tier.
Irgendwann werde ich des Spieles überdrüssig, und ich folge ihm. Folge ihm und seinem erleichterten Atem die Leiter hinauf, ins Licht.

Meine Augen schmerzen. Hilflos versuche ich mich zu schützen. Aber sie haben immer noch Angst vor mir, halten Abstand.
Ich bin ungeduldig, fauche oder springe einen von ihnen an. Sie schlagen mich und zerren an der Kette, die sie mir angelegt haben. Aber das merke ich kaum.
So ungeduldig bin ich, kann es kaum erwarten.
Dass sie mich loslassen - auf einer Lichtung vielleicht, oder in einer kleinen Kammer in einem Turm, in den sie mich bringen.
Dass sie die Kette lösen und mich ermutigen. Ich mich langsam erst, dann schneller vorwärts bewege, wittere, rieche und schmecke, was sie mir als Beute angedeihen lassen, an diesem Tag. Vielleicht ein warmer Fettling, oder die weiche Kehle einer Maid.
Ich liebe es, Haut unter meinen Fingern zu spüren. Sie anzufassen, zu packen. Zu ziehen. Zu drücken, zu würgen. Zu reißen.
Haut zu schmecken, und warmes Blut. Mich zu laben, zu baden - frei.

Viel zu schnell ist alles vorbei. Die Kette kehrt zurück an meinen Hals, und ich muss wieder in mein Loch. Enttäuscht, aber satt. Ich mag das Loch nicht. Aber ich weiß, es dauert nur eine kurze Weile, und sie werden mich wieder holen.
Werden wieder einen herunter schicken. Dabei müssten sie gar nicht - voller Freude würde ich die Leiter erklimmen.
So ungeduldig bin ich.

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Kommentare zu diesem Text


 Isaban (19.01.09)
Huah, bedrückend! Und irgendwie mag man auch gar nicht drüber nachdenken, ob da wirklich eine Bestie gefangen gehalten und ab und an gefüttert wird, oder ob es das Tier in uns ist, das in uns allen schlummert, um ab und an mal losgelassen zu werden, damit es seine Gier befriedigen kann.

Ich glaube, den Part mit den schmerzenden Augen würde ich weglassen, um das Ganze noch ein wenig übertragbarer zu gestalten, der Satz mit dem Mantel ist klasse und sagt alles!

Liebe Grüße,

Sabine

 Mutter meinte dazu am 20.01.09:
Ich bin gestern noch eine ganze Weile um den Text rumgeschlichen, hab' überlegt und noch mal gelesen, und bin dann zu dem Schluß gekommen, dass ich das mit dem Licht nicht rausnehmen kann.

Die Stelle mit dem Mantel, die Du meinst, die ist aktiv und souverän. Da liegt die Macht bei ihm.
Aber die andere Stelle, mit dem Licht, da ist er passiv und verletztlich. Er kommt da aus dem Loch, ist geblendet und eigentlich hilflos. Aber das merkt keiner. Ob die kleinen blutunterlaufenen Augen zusammen gekniffen weil gierig in die Welt schauen oder weil geblendet, merkt keiner. Die Schwäche bleibt also in dem Moment unbeachtet.
Ist für mich noch mal ein ganz anderer Aspekt ...

Gruß, M.

 Emotionsbündel (20.01.09)
...wieder mal absolut packend geschrieben...
Dachte ich anfangs noch an eine Mittelalter-Erzählung, musste ich doch bald feststellen, dass deine Worte auch bis ins Heute reichen. Dunkle Löcher, in denen unter den abartigsten Bedingungen, die dunkle Seite in uns freigelegt und forciert wird, zu welchem Zweck auch immer....sicherlich ungezügelte Gier auf beiden Seiten....
Lieben Gruß, Emotionsbündel

 Mutter antwortete darauf am 20.01.09:
Cool, noch eine Ebene - spannend ... :)
Danke schön für Deinen Kommentar.
Kitten (36)
(20.01.09)
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 Mutter schrieb daraufhin am 20.01.09:
Messer - pfff, ein echter Kerl macht das mit seinen groben Händen ...

'Er besaß die Hände eines Würgers ...' stand mal in einem meiner Lieblingsbücher ... :D
Vetustus (19)
(09.02.09)
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 Mutter äußerte darauf am 10.02.09:
Danke schön - von Dir ist so ein Kommentar besonders ehrend. Freut mich sehr.

Und ja, das ist Absicht - quasi mein Ausreißer ins Poetische ... ;)
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