Der Morgen danach

Erzählung zum Thema Nähe

von  Mutter

Ich wache auf und sehe neben mich. Irina ist schon aufgestanden. Oh Scheiße, der Morgen danach. Der Morgen nach einem One-Night-Stand. Gibt’s was Unangenehmeres?
Man trifft sich im Flur, in der Küche. Wirft sich kurze Blicke zu, unsicher. Denkt an die Vertrautheit und die Nähe der letzten Nacht. Da war alles so einfach. So unkompliziert. Als hätte ich schon hundert Mal mit Irina geschlafen.
Es war wunderschön.
Das Bad ist leer. Also wartet sie in der Küche auf mich, hat vermutlich schon Frühstück gemacht. Ich wasche mir das Gesicht, betrachte mich im Spiegel. Gut sehe ich nicht aus – dafür war die Nacht zu kurz. Die Haare strubbelig, leichte Ringe unter den Augen.
Mein Mund schmeckt Scheiße - wie gerne hätte ich jetzt meine Zahnbürste. Die habe ich aber nicht immer dabei.
Nachdem ich mir den Mund gründlich ausgespült habe, versuche ich mir die Zähne mit dem Finger und etwas Zahnpasta zu putzen. Bringt vermutlich nicht viel, aber ich fühle mich ein kleines Bisschen weniger eklig.
Endlich bin ich soweit, in die Küche zu gehen, ihr unter die Augen zu treten.

Sie steht am Herd, sieht nur kurz zu mir rüber. Lächelt mich mit ihrem Irina-Lächeln an, konzentriert sich dann wieder auf den Milchtopf. ‚Setz dich’, sagt sie und macht eine Bewegung mit dem Kopf zum gedeckten Tisch. ‚Der Kaffee ist gleich fertig. Nur die Brötchen brauchen noch einen Moment.’
Als beide Kaffeeschalen gehäuft voll mit Milchschaum sind, balanciert sie sie zum Tisch rüber und stellt eine davon vor mir ab. Sie leckt sich mit einem scheuen Lächeln ihren Finger ab und dreht sich dann wieder zum Herd. Ich würde am Liebsten gleich wieder mit ihr zurück ins Bett. Vielleicht überspringen wir  so auch die unangenehmen Momente.
Sie füllt die heißen Brötchen in eine hässliche Schale mit Streifenmuster und setzt sie und sich dann endlich zu mir an den Tisch.
Guckt mich an, ganz lange.
Ich schaue weg, über den Tisch, und mache so ein Verlegenheitsding mit meinen Lippen. Keine Ahnung, wie das aussieht – habe gerade keinen Spiegel zur Hand.
‚Hast du gut geschlafen?’ will sie wissen.
Ob ich gut geschlafen habe? Wie ist die denn drauf? Ich habe die halbe Nacht mit einer unglaublich tollen Frau im Bett verbracht – und sie will wissen, wie ich geschlafen habe? Stimmt nicht ganz – ich habe die ganze Nacht mit dieser Frau im Bett verbracht, aber nur die halbe haben wir wie die Karnickel gevögelt.
Ich muss grinsen. Sie lächelt zurück.
‚Das war schön’, sagt sie dann und legt den Kopf ein bisschen schief. Niedlich sieht sie aus.
Ich nicke, schaffe es nicht so richtig, was Echtes zu sagen. Sehe mich stattdessen verlegen auf dem Tisch um - mal schauen, was für Käsesorten sie so im Angebot hat.
Irina lacht leise, greift nach der Brötchenschüssel und hält sie mir hin.
Dankbar nehme ich mir eins, froh, etwas zu tun zu haben.
Aber es könnte schlimmer sein. Es ist fast angenehm, mit ihr da zu sitzen. Als würden wir beide dieses Frühstück tatsächlich genießen.

Und dann plötzlich muss ich an Julia denken. Zum ersten mal, seit Irina mich von der Blindside erwischt hat. Nein, das stimmt nicht ganz – ein, zwei Mal habe ich gestern Nacht kurz an sie gedacht, es aber immer geschafft, diese Gedanken schnell zu verdrängen. Jetzt schaffe ich das nicht.
Zu viele Morgen habe ich genauso mit Julia verbracht. Alles ist so vertraut, eine helle Küche, frische Brötchen, der Geruch nach Kaffee.
Nur, dass ich bei Julia eine eigene Zahnbürste habe und vermutlich geduscht hätte. An frischen Klamotten von mir mangelt es bei ihr auch nicht.
Und dass jetzt Julia an Irinas Stelle wäre.
Irgendwie bricht plötzlich alles über mir zusammen. Die wunderschöne Irina, die da so malerisch am Tisch sitzt, die geile letzte Nacht, das Bild von Julia, wie sie fröhlich mit mir Konversation macht, während ich nur brumme – ich fange an zu weinen.
Keine Ahnung, warum. Aber es tut so verflucht weh, plötzlich. Alles.
Ich sehe Irina an, die vor meinen Augen verschwimmt, bis ich mir mit dem Ärmel übers Gesicht wische.
Sie beobachtet mich ganz aufmerksam, mit ihren dunklen Augen, und lächelt ein Lächeln, das kaum zu sehen ist. So ganz fein spielt es um ihre Lippen, und sie schüttelt fast unmerklich den Kopf.
Langsam streckt sie die Hand aus und streichelt mir über die Wange. Ich mache die Augen zu – vielleicht hören die dann endlich auf zu heulen. Spüre ihre kühlen Finger auf meiner Haut, wie sie mit den Tränen spielen. Sie wegwischen.
Und schmiege mich in diese Hand. So gut es geht, ohne vom Stuhl zu fallen.

Als es ihr zu anstrengend wird, den Arm auszustrecken und ich keine Anstalten mache, mich von ihrer Hand zu lösen, rutscht sie näher heran. Ich könnte ewig so dasitzen. Sie einfach nur auf meinem Gesicht spüren.
Aber sie zieht ihre Hand vorsichtig weg und legt ihren Arm um meine Schulter. Zieht mich zu sich heran, drückt mit der anderen meinen Kopf sanft an sich heran.
Ich liege mit dem Gesicht auf ihrem weichen Hemd, so, wie ich vorher in der Hand gelegen habe, und fühle mich genauso geborgen. Kann ich hier jetzt bleiben?
Möglicherweise habe ich mir gestern Nacht etwas von ihr eingefangen, ein bisschen zu viel russische Seele. Nah genug gekommen sind wir uns ja.

Der Rest des Frühstücks verläuft in geordneten Bahnen. Ich schmiere mir ein Brötchen, weine ein bisschen, packe Scheibenkäse drauf, heule mich wieder ein bisschen an ihrem Hemd aus, esse ein paar Bissen Brötchen.
Gott, was bin ich für ein Jammerlappen. Ich komme mir vor wie Juri, nur ohne die coolen Seiten.
Aber Irina scheint das nicht zu stören. Irgendwie hat sie sich halt Arbeit mit nach Hause genommen. Ihr Frühstückstisch statt Theke, und ich bin der Penner, ser sich nicht in den Griff kriegt. Der nur dasitzt, und dauernd heulen muss. Das Scheiß-Brötchen schmeckt schon ganz salzig.
Es macht ihr nichts aus. Egal wie nass ihr Hemd schon ist, wie lahm der Arm. Niemals steht sie auf, schüttelt vehement den Kopf und tritt mir kräftig in den Arsch. Vielleicht könnte ich das ganz gut gebrauchen. Macht Irina aber nicht. Steht vermutlich nicht in ihrem Vertrag.
Irgendwann ist dann wieder gut. Ich fange mich, höre auf zu flennen und kann sogar mein Brötchen zu Ende essen.
Unser Kaffee ist kalt, aber immerhin kann ich mal eins ihrer Lächeln erwidern. Und mich bei ihr bedanken. Ganz leise, mit brüchiger Stimme, aber immerhin bekomme ich das Maul auf. Muss man mir hoch anrechnen, finde ich.
Für die letzte Nacht, für das Frühstück, für gerade eben. Sie nickt nur. Keine Ursache, quasi. Manches davon hat ihr ja vielleicht auch Spaß gemacht.

Ich mag nicht gehen, mag sie nicht loslassen. Immer wieder muss ich sie anfassen, umarmen, sogar küssen. Als würde ich einfach hinfallen, wenn es nicht täte. Nicht in regelmäßigen Abständen meine Erdung zu mir erneuern würde.
Und ich komme nicht aus der Tür. Weiß, dass ich schon länger geblieben bin, als gut für uns beide ist, aber ich packe es einfach nicht. Und sie hilft mir nicht.
Lässt mir alle Zeit der Welt. Die kann ich gerade aber gar nicht gebrauchen.
Herr Gott, Irina, gehe ich dir nicht langsam auf die Nerven? Komm, schmeiß mich raus.
Endlich schließe ich die Augen und springe. In der Tür sehen wir uns endlos lange an, sie mich mit ihren wunderbar dunklen Augen, ich sie mit meinen wässrigen, von tiefen Ringen eingerahmten.
Aber sagen kann ich immer noch nichts. Versuch es ein, zwei Mal, alles erstickt schon im Ansatz. Irina beugt sich nur nach vorne und küsst meine Lippen. Als würde sie sie versiegeln. Als würde es nichts machen, dass sie verschlossen sind, und wie unbarmherzige Schwellenhüter mich gefangen halten.
Benommen gehe ich die Treppe hinunter.


Anmerkung von Mutter:

Bah, habe das Kleingedruckte von dem Projekt nich gesehen - dass gehört da natürlich Null rein, weil die vorgegeben Worte nich drin vorkommen ... :/

Kann das aber selber irgendwie nich rausnehmen - vielleicht jemand anderes? :D

Ansonsten - naja, heute war ein blöder Tag. Dazu passen dann wohl auch blöde Dinge, die man macht ... :)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Steinwolke (65)
(23.01.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 27.01.09:
Danke schön ...

Und ja, ich probier' mal ... :D
Kitten (36)
(23.01.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter antwortete darauf am 27.01.09:
Dann wirst Du mit dem Rest der Texte vermutlich auch nicht viel anfangen können ... ;)

Gabi ist eher Anta- als Protagonist und Juri im Grunde nicht mehr als Brokkoli - eine Beilage. ;)
Kitten (36) schrieb daraufhin am 27.01.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter äußerte darauf am 27.01.09:
:)
janna (60)
(23.01.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter ergänzte dazu am 27.01.09:
Mmmh, wobei wir in der Literatur öfter weinen als im echten Leben. Scheint mir. Liegt vielleicht daran, dass man es bei geschlossenem Buchdeckel nicht so schnell sieht. :)

Danke Dir.
wupperzeit (58)
(29.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 30.05.09:
Vielleicht hat er auch was gefunden, was er gesucht hat, aber nicht genau wusste, wo er es suchen sollten?
Fündig, jedenfalls ...

Danke.
parkplatzbison (29)
(30.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 30.05.09:
Okay, dann denk mal ... :)

Danke.
Caterina (46)
(30.05.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 30.05.09:
Cooler letzter Satz ... :D
Auch wenn die Zensur den hier entwas zerschießt - ich habe ihn ja unzerstümmelt in der Mail.

Ja, wahrscheinlich iss Irina eine von den Guten ...

 Isaban (30.05.09)
Rmpft - die perfekte Frau. Muss das Weib unbedingt toll aussehen, eine Bombe im Bett und ein Ausbund an Verständnis sein - und nebenher auch noch die Brötchen selber backen?

Ich habe den Text eigentlich gerne und mit Vergnügen gelesen, konnte und mochte mich dem Geschehen nicht entziehen - und erst, als ich am Ende angelangt war, stieß mir diese Glätte, diese Perfektion auf. Mann, hat sich die Frau zurückgenommen. Muss ja ne Traumfrau sein, wenn sie so gar nix von sich gibt, außer freundlich schweigender Verständnissinnigkeit. Ich glaube, alle Frauen, die ich kenne, hätten zumindest mal kurz an ihrem Make-up gezweifelt oder zumindest einen verwunderten Blick losgeschossen, bevor sie in die Florence-Nightingale-Rolle schlüpfen - oder zumindest nachdrücklich die Türe hinter ihm geschlossen, wenn sie schon zu höflich sind, eine Bemerkung über unerwartete Stimmungsschwankungen nach der Stippvisite loszulassen.

Nee, so ganz echt kommt das alles nicht rüber, da fehlt der menschliche Haken an der Sache. Aber wer weiß, vielleicht taucht der ja im nächsten Teil auf.

Liebe Grüße,

Sabine

 Mutter meinte dazu am 30.05.09:
Na, ich sehe das Gott sei Dank etwas differenzierter ... :)

Die Brötchen sind aus der Tüte - Backofen auf, Brötchen rein, Brötchen raus, fertig. Klingt jetzt für mich nicht gerade nach der perfekten russischen Hausfrau ...

Und dann, ja und dann? Dann ist diese Dame fast stumm - die sagt nämlich fast nie etwas. Die guckt nur, mit großen traurigen Augen, furchtbar melancholisch, dass man manchmal weinen möchte, nur wenn man ihrer ansichtig wird.

Ich weiß ja nicht, wie das anderen Männern geht, aber mir wären das zu wenig Worte.
Für eine Traumfrau. Ich weiß, uns wird gerne unterstellt, wir schweigen lieber, lassen Dinge ungesagt, etc. Aber deswegen zu unterstellen, die absolute Traumfrau würde einfach mal gar nichts sagen - das ist dann doch etwas zu plakativ. ;)

 Isaban meinte dazu am 30.05.09:
Moment. Im Text steht nix von der Tüte, aus der die Brötchen stammen.
Dafür lässt sich aber sehr leicht rauslesen, dass der Protagonist all das verständnissvolle Schweigen toll (und praktisch) findet.
Darüber, wie du es findest, habe ich nicht spekuliert, lediglich das von mir Gelesene reflektiert, hm? Ich habe auch weder dir, noch "euch" was unterstellt, sondern eine eher ironische Bemerkung gemacht, nämlich diese hier:

Muss ja ne Traumfrau sein, wenn sie so gar nix von sich gibt, außer freundlich schweigender Verständnissinnigkeit.

Um es nochmal anders auszudrücken: Die Szene wirkt nicht echt, die Frau scheint eher einem Traum als der Realität zu entstammen, für mich funktioniert der Text aus diesem Grunde nicht richtig; der Schilderung der Dame fehlt Tiefe.

 Mutter meinte dazu am 30.05.09:
Vom Backen auch nichts ... ;)

Dass der Protagonist in seiner derzeitigen, angeschlagen Verfassung Irina möglicherweise als Traumfrau definiert, mag schon sein. Immerhin bezeichnet er sie ja auch als 'Ikone' - ist ja schon ein wenig ein Hinweis darauf.

Darüber muss man aber wohl kaum ironisch auslassen - könnte ja auch die Schreckschraube aus Nummer Acht sein, die er da hochstilisiert.
Wichtig wäre für diese Ironie ja nur, wie die Figur der Irina objektiv erscheint. Und da würde ich einfach mal widersprechen, dass sie auch nur annähernd Qualitäten einer Traumfrau besitzt.
Wenn es nicht um objektiv, sondern nur um subjektiv geht - *schulterzuck*
Ganz klar ist der Jakob nicht - 'leicht verdreht' könnte man dem allemal unterstellen.

Insofern finde ich den Vorwurf der verzerrten Wahrnehmung einfach nicht wirklich hilfreich ...
Aber muss ja auch nicht.
Trotzdem zur Kenntnis genommen.

 Isaban meinte dazu am 30.05.09:
Welchen Vorwurf der verzerrten Wahrnehmung?
Ich benutze einfach noch mal die Quote-Funktion.

Um es nochmal anders auszudrücken: Die Szene wirkt nicht echt, die Frau scheint eher einem Traum als der Realität zu entstammen, für mich funktioniert der Text aus diesem Grunde nicht richtig; der Schilderung der Dame fehlt Tiefe.

Das ist Textkritik, weder Kritik an deiner, noch an der Einstellung des Protagonisten. Es geht bei meiner Rückmeldung darum, wie die Figur der Irina in diesem Text dargestellt wird - und was mir daran nicht gefällt, nämlich dass ihr keinerlei Tiefe verliehen wurde. Kannst du nun als Anregung sehen, das Ganze noch einmal zu überdenken - oder eben auch nicht. Fertig.
Kindermund (26)
(01.06.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 01.06.09:
Ein bisschen? :)
Oh je - ob das reicht?

Danke schön ...
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram