Treibgut

Erzählung zum Thema Schmerz

von  Mutter

Der mit der Zigarette nimmt einen langen Zug und bläst mir den Rauch entgegen. Ich bin mir im Klaren darüber, dass die Klebe vermutlich wenig Spaß daran hat, sein eigenes Büro von einer lebenden Fackel verwüsten zu lassen, aber ich habe noch weniger Lust darauf, genau diese Fackel zu spielen.
Entwaffnend hebe ich die Hände, als will ich sagen: Ihr habt gewonnen Jungs, der Stich geht an euch.
Aber es klickt noch nicht, in meinem Kopf. Das ergibt alles keinen Sinn. Woher hatten sie gewusst, dass ich kommen würde? Und warum waren sie bereit, so äußerst rigoros mit mir umzuspringen?
Wer hatte ihnen gesteckt, was ich in Hamburg will? Nur Welsh und Collie hatten von den neuen Informationen und meinem Trip gewusst.
‚Du bist Corker?’ will die Klebe wissen.
Ich nicke – die Frage ist ohnehin akademisch.
‚Jemand hat mir geflüstert, dass du kommst. Dass du hier in mein Büro spazierst und mir und den Jungs unschöne Dinge antust.’
Er nickt in Richtung des gefällten Hengstes. Der mit dem leeren Becher geht vorsichtig an mir vorbei. Will nicht, dass ich ihn anspringe, ihn umarme, so als Zwillingsfackel.
Stöhnend steht der Hengst mit Hilfe des Becher-Manns wieder auf. Groggy wankt er, stützt sich an der Wand ab. Ob sie ihm vorher von dem Teil des Planes erzählt haben, wo er meinen Ellenbogen frisst? Vermutlich nicht, und wahrscheinlich würde er jetzt seinen Ärger an mir auslassen wollen.
Ich seufze, weiß, was da auf mich zukommt. Hohes Fieber wird in Kürze vermutlich das Geringste meiner Probleme sein.
‚Alles in Ordnung, Olaf?’ will die Klebe wissen. Ich nehme an, der Pumper nickt, drehe mich allerdings nicht um.
‚Dann mal los’, meint der Boss, und ich schlucke trocken, bevor mich der erste hammerharte Schlag im Nacken trifft.
Die Beine knicken unter mir weg, ich falle mit den Knien voran auf den Teppich. James Brown. Bevor ich mich wie ein Fötus zusammen rollen kann,  explodiert ein Tritt in meinen Rippen. Der erste von vielen.
Olaf verdunkelt die Sonne über mir und es hagelt Schläge auf mein Gesicht, die Schultern, dazwischen immer wieder Kracher auf meine Rippen. Ich wehre mich nicht – das ist ohnehin zwecklos. Hoffe nur, dass bald die Lichter ausgehen. Hebe die Arme, um den Kopf zu schützen, aber sie schlagen dort hin, wo ich gerade nicht bin.
Als der Raum nach einem besonders heftigen Schlag auf die Schläfe zur Seite wegkippt und wohlige Dunkelheit mein Gesichtsfeld einhüllt, muss ich grinsen. Jetzt ist es vorbei.
Jetzt können sie machen, was sie wollen –mir egal. Wenn sie mich totschlagen, merk ich das nicht mal. Das ist mein letzter Gedanke, bevor ich den engen Tunnel runtergehe, ins Schwarze.

Sie haben mich nicht totgeschlagen. Nicht ganz. Hustend komme ich zu mir, die Wange auf kalten Asphalt gepresst. Nachdem ich etwas Blut gespuckt habe, versuche ich Arme und Beine zu bewegen, mich aufzustützen. Lasse es sofort wieder sein. Pulsierend heißer Schmerz zieht sich meine gesamte Seite hoch. Mehrere Rippen scheinen gebrochen oder zumindest angebrochen.
Jedes Husten führt zu einem erneuten Auflodern meiner Nerven, und kurz bedauere ich, dass sie es nicht zu Ende gebracht haben. Dass sie mich nur zur Hälfte in die Hölle geprügelt haben.
Das matte Neonlicht von der Straße vorne sticht mir in die Augen, macht, dass ich kotzen will. Ich schließe das eine Auge – das andere ist schon zu.
Zugeschwollen, wahrscheinlich mit einem fetten Hämatom. Vorsichtig bewege ich die Zunge über die Zähne, stöhne, als ich die aufgeplatzte Haut an den Lippen berühre. Aber die Zähne scheinen noch alle da zu sein, auch wenn sich ein paar etwas locker anfühlen. Macht nichts, auf Steak habe ich gerade eh keinen Appetit. Das gibt sich in ein paar Wochen wieder, mit so was habe ich Erfahrung. Ich spucke erneut aus.

Mehrmals stemme ich mich hoch, aber Schwindel und Übelkeit sorgen jedes Mal dafür, dass ich wieder auf der Straße lande. Einmal kann ich mich nicht rechtzeitig abfangen, der Schmerz ist zu groß. Mein Kopf tickt auf.
Ich bin wieder weg.

Komme erneut zu mir, spucke wieder Blut. Schiebe mich auf dem Boden etwas zurecht, so dass ich den Straßeneingang sehen kann. Liege in einer Gasse, kaum zwanzig Meter von der Straße weg. Kratzt aber keine Sau, wenn da so’n Penner rumliegt. Gibt’s in Hamburg öfter, nehme ich an. Besonders abends.
Ich habe keine Ahnung, wie spät es ist, aber die Sonne ist bereits weg, weit nach Einbruch der Dunkelheit muss es sein.
Nachdem ich noch eine Weile den singenden Drähten aus Schmerz in meinem Körper zuhöre und ab und zu stöhne, wie um Luft aus einem Ventil zu drücken, fange ich wieder an mit dem Bewegen.
Den einen Arm unter den Körper ziehen, Zähne zusammen beißen. Den unerbittlichen Schmerz ignorieren, die Welle der Übelkeit, die durch die Gasse schwappt.
Dann den anderen Arm, wieder stöhnen. Nur kurz die Augen zumachen, wirklich nur ganz kurz.

Sekunden oder Minuten später, ich weiß es nicht, mache ich sie wieder auf. Gut, die Arme sind noch da, wo ich sie hingepackt habe. Weiter geht’s.
Ich drücke mich vorsichtig hoch, akzeptiere einfach keine weiteren Signale aus der Körpermitte, blocke den Schmerz weg. Schiebe mich halb hoch, näher zur Wand. Mit einem Arm stütze ich mich an den Ziegeln ab, nehme einen Fuß zur Hilfe, um mich langsam in die Senkrechte zu drücken. Den anderen Fuß kann ich nur nachziehen, da ist irgendwas im Knie böse verdreht. Wenn ich auch nur mit den Zehen zucke, wird mir Schwarz vor Augen.
Kurz darauf lehne ich an der Wand, atme konzentriert ein und aus. Atme den akkumulierten Schmerz langsam weg. Mehr kann ich nicht tun, ohne wieder hinzufallen.

Eine halbe Ewigkeit später bin ich vorne an der Straße angekommen. Reeperbahn vielleicht, Pauli auf jeden Fall. Taumele langsam vorwärts, muss immer wieder innehalten, um den Schwindel zu bekämpfen. Vielleicht bin ich zwischendurch auch kurz weg, manchmal finde ich mich auf allen Vieren wieder.
Krieche dann ein Stück, wuchte mich wieder hoch. Die Leuchtreklamen schmieren sich bei jeder Kopfbewegung schmerzhaft über die Netzhaut, und immer wieder rempelt mich jemand an. Kassiere Flüche, leichte Stöße und Bier auf der Jacke.
Ich halte inne, keuche, den Kopf gebeugt, um nicht wieder zu fallen. Sammele Kraft für das nächste Stück, eine Parkplatz-Einfahrt. Da gibt es keine Wand zum Abstützen, da muss ich so rüber.
Hänge mich an eine Gruppe Betrunkener, die sind mein Pace-Car. Muss die Zähne zusammenbeißen, der Schmerz nimmt mich völlig ein, er füllt jede Faser meines Körpers, lässt keinen Platz mehr für mich, für irgendwas.
An der nächsten Ecke halte ich inne, rutsche mit der Schulter an der Mauer runter, hocke einfach da. Schließe die Augen und betrachte das Feuerwerk, das meine Nervenbahnen in mir entzündet haben. Muss mich übergeben.

Endlos bewege ich mich durch die Stadt. Kein Ziel vor Augen, immer nur der nächste Schritt. Zwischendurch drohende Bewusstlosigkeit und dann tatsächliche Ohnmacht.
Irgendwann packt mich eine Hand grob an der Jacke, ich kann nicht erkennen ob Passant, Bulle oder Bouncer. Reflexartig packe ich die Hand, verdrehe das Gelenk und schiebe den Besitzer mit dem Gesicht in eine Häuserwand.
Keuche heftig auf - das hat mir mindestens so wehgetan wie ihm.
Offensichtlich kein Bulle -  die Hand kommt nicht wieder.

Zwischendurch stelle ich mir vor, ich sei Surfer. Tauche ein in die Wellen der Agonie, reite sie, komme obenauf wieder raus. Aber das ist reine Illusion, die Wellen brechen sich an mir, drohen mich umzuwerfen.
Ich muss weiter.

Verschwommene Gesichter, eine Hand am Arm, die ich nicht abschütteln kann. Ich wanke, gleich fällt der Titan endgültig. Ich weiß, wenn ich jetzt zu Boden gehe, komme ich nicht mehr hoch. Bin fertig, komplett durch, da braucht’s dann auch keinen Ringrichter mehr.
Irgendwer hält mich aufrecht, ich höre hallende Stimmen, die ich nicht verstehen kann. Als würde jemand durch einen Müllschlucker nach mir rufen.
Ich drehe den Kopf, versuche zu sehen, wer da spricht. Hätte ich nicht tun sollen, die Straße kippt plötzlich wieder zur Seite.
Knie und Hände tun mir weh, aufgeschrammt vom Asphalt. Hände helfen mir auf, bekämpfen die gedrehte Welt, stellen meine kleine Glaskugel wieder richtig herum hin.
Ich schüttele den Kopf, und lasse mich leicht in der Brandung treiben. Die Flut wird mich zum Strand bringen, ganz bestimmt. Das macht sie immer mit Treibgut.


Anmerkung von Mutter:

Teil II von VI

*edit: *flöt*Danke schön, liebe AK ... :)

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(11.02.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 11.02.09:
:)

Schön ...

Das mag ich.
kontext (32)
(11.02.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter antwortete darauf am 12.02.09:
Ach ja, ganz oben ... :D

Wie bereits geschrieben - wo iss'n ganz oben? Also schon rüber? Zu denen mit dem Salz inner Butter aber noch nicht, oder?
kontext (32) schrieb daraufhin am 14.02.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.
Steinwolke (65)
(18.02.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter äußerte darauf am 20.02.09:
Danke schön, auch für die anderen Kommentare - sehe das Ganze ja ohnehin immer ein wenig als unfertig an, insofern bilden all diese Sachen auch den bearbeitungsprozess, bzw. gehen auch in weitere Sachen ein ... :)

 RainerMScholz (02.03.09)
"Dass sie mich nur für tot hier haben liegen lassen." - left for dead klingt irgendwie besser, ich weiß nicht, was da los ist mit dem Deutschen.
Die Namensgebung ist super.
Pace-car?
Grüße,
R.

 Mutter ergänzte dazu am 02.03.09:
Arrrgs, ja, ich fürchte, dass könnte so ein re-übersetzter Satz sein. Da geht bestimmt noch was anderes ... danke.

Pace-Car iss das Auto beim Rennen, was vorne weg fährt und den Speed bestimmt, z.B. wenn's 'nen Unfall gab ...
Leyla (29)
(16.04.09)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 17.04.09:
Habe ich im Wedding auch verwendet? Im Rohbau?
Aber nicht mehr als schon einmal oder? *bittebitte*

:D

Ich schmeiß mal eine davon um ...

Und beide Male: Ja. :)

*edit: D'oh, wir SIND ja in Hamburg! :)
Du verwirrst mich ...
(Antwort korrigiert am 17.04.2009)
Leyla (29) meinte dazu am 17.04.09:
Diese Antwort ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 17.04.09:
Eins habe ich bereits liqudiert ...

Search'n'destroy!
*tschacktschak*

:D
(Antwort korrigiert am 17.04.2009)
CurzonDax (27)
(13.07.11)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 Mutter meinte dazu am 13.07.11:
Cooler Kommentar ... danke schön dafür. :)
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram