Ventilator

Erlebnisgedicht zum Thema Stille

von  loslosch

Es sind die Lilien, die so stinken in der Nacht,
Dass einem schwindlig wird von so viel Leben.
Dahingeschwunden ist die schiere Farbenpracht
Der Götterbotin, die sich hat ergeben
Dem Schicksal faulig-violetter Blütendegen.
Ein starrer Ventilator an der Decke,
Schon lange nicht bewegt. Es ist ein wahrer Segen,
Wenn keine schwangren Wirbel er bezwecke.

Ein Alligator ist der Ventilator. Stille.
Ein Krokodil, weit aufgesperrt sein Rachen.
Doch wehe, wenn sein wahrhaft mörderischer Wille
Sich stürzt auf alles Mobiliar und Sachen
Im ganzen Raum, Berliner Zimmer dieser Zeit.
Wie, glaubst du, kommt man jemals wieder raus
Aus diesem Rattenlabyrinth der Düsterkeit?
Der Helikopter, trägt er uns hinaus?

Aus dem Motorenauge blickt der Ventilator
Auf den Gestank herab, den Nimbus - Leben.
Der zahn- und Rotorblatt-bewehrte Alligator,
Wie kann er uns in freie Lüfte heben?
Das Leben gleicht Defekte aus, muss weitergehen.
Dass es nicht scheitern kann, das ist sein Fluch.
Es kann nicht scheitern, muss sich immer weiterdrehen.
Von allem wird es haben nie genug.


Anm.: Nach einem freien Text von Durs Grünbein, SZ vom 15.6.2007, hier neu in Wechselreimen (alternierende 5- und 6-hebige Jamben).

Zum Vergleich (Originalfassung Durs Grünbein):

Es sind die Lilien, die so stinken in der Nacht,
Daß einem schwindlig wird von so viel Leben.
Wer hat sie aufgeputscht in ihrer Vase?
Warst du das, Chefin, mit geübter Hand?
Die Luft ist dick, von Unheil schwanger,
Der Ventilator an der Decke lange schon defekt.

Der ganze Raum, Berliner Zimmer, liegt betäubt
Unter den Lilienschauern bis hinauf zum Stuck.
Ein Alligator ist der Ventilator, wenn er ruht,
Ein Krokodil, weit aufgesperrt sein Rachen.
Doch wehe, wenn es in Bewegung kommt,
Das Mobiliar und es erbricht sich das Klavier.

Es sind die Lilien... (Und da hilft kein Aspirin.)
Ein Bündel Dolche, die im Wasser faulen.
Bei dieser Hitze wirkt ihr Violett obszön,
Das Schwarz der Blütenstempel unerträglich.
Wie, glaubst du, kommt man jemals wieder raus
Aus diesem Rattenlabyrinth des Sommers?

Wo ist der Helikopter, der uns heimwärts fliegt?
Mit seinen Rotorblättern, Zähnen, Messern.
Aus dem Motorenauge blickt der Ventilator
Auf den Gestank herab, den Nimbus - Leben.
Daß es nicht scheitern kann, das ist sein Fluch.
Es kann und kann nicht scheitern, kann es nicht.


Anmerkung von loslosch:

Originaltext Durs Grünbein. Nur so ist ein kritischer Vergleich möglich.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Kommentare zu diesem Text

Graeculus (69)
(27.12.15)
Dieser Kommentar ist nur für eingeloggte Benutzer lesbar.

 loslosch meinte dazu am 28.12.15:
ich fremdle selbst mit meinem text. grünbein würde nie zugeben, dass aus seinen reimfreien versen mehr herauszuholen ist. allein die götterbotin iris ist eine erweiterung.
Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram