II: Amant Emaior und Silön – bis zum Ende der Welt

Roman zum Thema Ende

von  kaltric

Beteiligte: Tól, Omé, Silön, Lían, Raí, Amant Emaior, Galand, Raréon, Tamirús, Bannerträger von Emaior, Dienstmagd, Bürger von Lían, Krieger von Emaior, Kämpfer von Maggin, Bürger von Maggin
Orte: Lían, Burg Raí, Maggin


Eines Tages tauchte ein Fremder in Lían auf, ein Kämpfer aus Luvaun.
„Wir haben euch bereits erwartet“, sprach Tól.
Der Kämpfer drehte sich überrascht von dem Obststand am Marktplatz um und sah Tól an.
„Ihr seid Tól!“ stellte der Kämpfer fest, „die Beschreibung welche man mir gab hielt ich für übertrieben, aber wahrhaftig! Man erkennt euch sofort.“
„Und ihr seid Amant Emaior“, sprach Tól und nickte kurz.
„Begleitet mich bitte in die Versammlungshalle“
Emaior folgte ihm, wenngleich sie sich auch genauso gut auf der Straße hätten unterhalten können, da sie eh keiner der Bürger weiter beachtete.
„Eine beeindruckende Stadt habt ihr da geschaffen, mein Herr!“ meinte Emaior beeindruckt, sobald sie die Versammlungshalle erreicht hatten.
„Wir werden mit unserer Absicht nicht rechtzeitig vorankommen, wenn sich alles so langsam weiter entwickelt“, sprach Tól.
„Wird die Welt wirklich untergehen?“ wollte Emaior wissen.
„Nicht die ganze“, sprach eine warme Stimme vom Eingang zu einem Nebenzimmer aus.
Emaior blickte zum Durchgang und sah dort Omé stehen. Aber er sah nicht die Person, er sah nur ein Wesen reinster Güte und Schönheit. Augenblicklich fing sein Herz an, nur noch für sie zu schlagen; er sollte ihr ergebenster Diener sein.
Er fiel auf seine Knie nieder und hauchte: „Herrin Omé!“
Omé trat gewandt aus der Tür und zu ihrem Gatten. Dann sah sie Emaior mit einem warmen Lächeln an.
„Steh auf, Amant Emaior“, sprach sie und lächelte.
Emaior tat wie ihm geheißen. Leicht unsicher, vor allem aber tief beeindruckt sah er Omé unverwandt an.
„Ihr seid nicht umsonst zu uns gekommen“, sprach nun Tól, der Emaiors Blicke nicht übersehen hatte, „sagt, was trieb euch zu uns?“
Ohne den Blick von Omé zu lassen, antwortete Emaior, als hätte sie gesprochen.
„Ich habe von eurer Geschichte gehört; von einem Reisenden auf der Straße nach Tamilor, wo ich mir Arbeit suchen wollte.“
Emaiors Blick zuckte kurz zu Tól, dann wieder zu Omé.
„Er hielt euch für wahnsinnig und falsche Wahrsager, doch ich wollte mehr wissen und zog nach Arasanh. Dort begegnete ich Anhängern von euch, die mich auf diese eure Stadt verwiesen“, fuhr Emaior fort.
Er sah wieder Tól an.
„So steh ich denn nun hier, bereit euch zu dienen! – und auch euch, edle Omé!“ sprach er und sank wieder vor ihr auf die Knie, stand aber ebenso sofort wieder auf.
Tól nickte ernst.
„Wir haben euch erwartet – helft uns, möglichst viele zu retten“, sprach er.
„Wie sollte ich das tun können?“ fragte Emaior.
„Wir müssen die Gemeinschaft vergrößern“, sprach Tól und faltete die Hände vor dem Körper, „Lurruken wird untergehen. Wir müssen den Menschen Sicherheit bieten – fangt damit in den Bergen an! Dort findet ihr auch Silön.“

Und Amant Emaior zog mit einigen Handwerkern, Baumeistern und Arbeitern zum Ostende des Gebirges, um dort eine Burg zur Sicherung des Landes zu errichten, für den Zeitpunkt, an dem Lurruken nicht mehr sein würde. Vorher aber ging er der Aufgabe nach, jemanden zu finden, welcher die Worte Tól und Omés würde besser verbreiten können, wurden sie doch bisher von Mensch zu Mensch weiter getragen. Er suchte in den Reihen der Gemeinschaft in Lían, doch fand er diese erst auf dem Weg zur Baustelle der Burg: Silön lebte einsiedlerisch in einer Hütte am Südhang der Berge, versteckt in einem kleinen Wäldchen. Emaior fand den Ort zufällig, als er mit seinen Leuten Schutz vor einem Sturm suchen wollte.
Er klopfte.
Jemand rief: „Herein!“
Knarrend öffnete sich die Tür.
„Wer ist da?“ sprach die Stimme.
Silön stand gerade am Feuer des Kamins und rührte in einem Topf; Emaior stand in der Tür.
„Ein Reisender, der Schutz vor dem Sturm sucht – darf man eintreten?“
Silön beäugte ihn misstrauisch, insbesondere seine Waffe.
„Wer seid ihr und wohin reist ihr?“
Emaior tat einen vorsichtigen Schritt in die Hütte – Silöns Hand wanderte zum Kaminsims, wo ein Schürhaken lag, woraufhin Emaior seinen nächsten Schritt wieder zurück tat. Er öffnete den Mund.
„Mein Name lautet Amant Emaior. Ich reise in den Osten der Berge um dort eine Burg für Tól und Omé zu errichten – und mehr Leute vor dem Unglück der nächsten Jahre zu bewahren.“
Bei der Erwähnung von Tól und Omé blickte Silön interessiert auf.
„Tól und Omé schicken euch?“
„Tatsache! – Darf ich nun eintreten?“
Silön blickte ihn abschätzend an. „Sicherlich.“
Die Hütte war einigermaßen groß genug, um Kamin, zwei Tische, ein schmales Bett, einen Haufen seltsamer Gerätschaften auf den Tischen sowie zwei Bücherregale voller schwerer Bücher Platz zu bieten.
„Ihr lebt hier ziemlich abgeschieden“, stellte Emaior fest.
„Meine Forschungen erfordern Abgeschiedenheit“, erwiderte Silön etwas kühl.
„Forschungen? Welcher Art?“
Silön zögerte kurz und schien widerwillig.
„Der Natur und der Gesamtheit vor allen Dingen.“
„Ah, interessant“, murmelte Emaior, doch ihn befriedigte diese Antwort in keiner Weise.
Er versucht den Titel eines Buches, das auf einem der Tische stand, zu erkennen, doch Silön bemerkte dies und verstaute es rasch in einem Regal.
Emaior blickte mit geöffnetem Mund auf, versuchte so zu tun, als sei nichts gewesen, und fuhr fort.
„Habt ihr euch deshalb von Tól und Omé zurück- und hierher gezogen?“
Silön mustere ihn leicht misstrauisch.
„Worauf wollt ihr hinaus? Ich habe sie nicht verraten, ich benötige nur etwas Ruhe!“
Emaior hob abwehrend und beschwichtigend die Hände.
„Ich wollte euch nichts vorwerfen. Es war nur eine Frage. Und Tól und Omé haben mir aufgetragen, nach euch zu suchen.“
„Nach mir?“
Silöns Blick wurde nachdenklich.
„Was wollen meine alten Herren von mir?“
„Darf ich etwas bleiben? Dann erzähle ich es euch.“
„Natürlich“, erwiderte Silön und deutete auf den gefüllten Topf über dem Feuer im Kamin.
„Wollt ihr mir beim Essen Gesellschaft leisten?“
„Gerne doch!“ antwortete Emaior, zog einen Stuhl heran und setzte sich.
Er fuhr fort: „Bevor ich es vergesse – meine Männer und ich lagern in einer Höhle oben am Berg.“
Silön zögerte – nickte – und rührte etwas im Topf um.
Später saßen sie zusammen beim Essen und unterhielten sich über Tól und Omé.
Schließlich aber trennten sie sich am nächsten Tag. Emaior und seine Leute zogen zum künftigen Bauplatz der Burg; Silön packte alle wichtigen Sachen und ging nach Lían. Dort wurde Silön bald wieder hauptsächlich verantwortlich für die Verbreitung der Worte von Tól und Omé. Später schickte man Silön nach Süden, in die südöstlichen Gegenden von Lurruken, von Geistig bis Tambaheim und bis Taiban und Ketaine. Silön war in dieser Zeit oft bei Tól und Omé und führte etliche Gespräche offen auf dem Marktplatz mit ihnen darüber, was der Welt zustoßen würde und wie man möglichst viele Lebewesen retten könnte. Silön wurde in dieser Zeit wieder am wichtigsten für die Sache von Tól und Omé; neben Amant Emaior, welcher in Lían und der fast fertig gestellten Burg Kämpfer ausbildete. Er fand ein paar Waffenkundige immer nützlich, und Tól und Omé verweigerten es ihm nicht. Doch oft wusste man auch nicht, was Silön gerade tat, beschäftigt in der Hütte in den Bergen oder im fernen Süden.
Eines Tages, als Silön und Emaior wieder zeitgleich in Lían weilten, trafen sie erneut zusammen und unterhielten sich.
„Wir müssen die Worte von Tól und Omé aufschreiben und vervielfältigen, um sie leichter verbreiten zu können!“ war Silöns eifrige Ansicht.
„Vor allem müssen wir die Leute warnen und dafür sorgen, dass sie hier Schutz und Zuflucht finden, wenn sie ihre Heimat verlieren“, meinte Emaior.
„Und genau dazu müssen wir doch die Warnungen verbreiten!“
„Und wer soll sie lesen? Keiner meiner Männer kann lesen, und das gewöhnliche Volk erst recht nicht.“
„Wir schicken Leute aus, die es ihnen vortragen“, meinte Silön leicht eingeschnappt.
„Nur ist es fraglich, ob die Leute es ihnen glauben.“
„Dann müssen wir die besten finden.“
Emaior schien der Zeitpunkt gekommen, das Gespräch abzuwandeln.
„Wie geht eure Aufgabe voran?“
„Recht gut, ich bin zurzeit besonders in einer Stadt namens Maggin am Gantrott tätig“, antwortete Silön besser gelaunt.
„Ja, von der Stadt habe ich gehört“, sagte Emaior nachdenklich.
Plötzlich kam ein Diener zu Türe herein und sah zu Emaior.
„Herr, unser Herr Tól will euch sprechen.“
Emaior zog die Augenbrauen hoch. Dann wandte er sich Silön zu.
„Ich muss gehen“, erklärte er, und verließ den Raum.
Tól und Omé erwarteten ihn bereits.
Sie begrüßten sich kurz, dann kam Tól ohne Umschweife zur Sache.
„Amant, ich habe eine weitere Aufgabe für euch.“
„Ja, Herr?“
„Habt ein Auge auf Silön“, sprach Tól und blickte ihn ernst an.
„Herr?“ Emaior blickte verwundert und fragend.
„Tut wie euch geheißen“, sprach Tól und ließ es dabei bewenden, „und nun geht.“
„Herr…“, murmelte Emaior, verbeugte sich, warf einen Blick zu Omé und ging, vor sich hin grübelnd.
Es war im Frühjahr 1997, als Emaior die Burg endlich fertig stellte. Er nannte sie kurz entschlossen Raí, nach dem Sohn von Tól und Omé, welcher zu dieser Zeit oft in der Burg weilte um den Kämpfern bei ihrer Ausbildung zuzusehen. Der Junge schwirrte ständig um Emaior herum und bettelte ihn an, auch eine Ausbildung an den Waffen zu bekommen, was Emaior aber stets ablehnen musste, da der Knabe doch erst neun Jahre zählte. Die fünfzehn jährige Lían dagegen blieb stets bei der Gemeinschaft, immer mitten unter den Bürgern und in Kontakt zu ihnen.
Während all der Zeit ließ Emaior Silön von je ein, zwei seiner Leute beobachten und sich alles berichten. Im Sommer dann bekam er Nachricht aus Maggin. Scheinbar verbreitete Silön eine ganz andere Lehre, nicht die Worte von Tól und Omé, sondern eigene, gegen Tól und Omé gerichtete. Im Süden, in Orten wie Maggin, fand Silön eigene Anhänger und schien gegen Tól und Omé zu spielen. Emaior reiste sofort zurück nach Lían, um Tól und Omé davon zu berichten. Er blieb bis zum Herbst bei ihnen, als auch Silön schließlich wieder nach Lían zurückkehrte. Silön wurde sofort zu den Dreien beordert.
Kaum das Silön die Versammlungshalle betrat, hob Tól anklagend den Finger.
„Silön! – Wir haben von deinem Verrat erfahren!“ sprach Tól mit einem harten Ausdruck in den Augen.
Silön blickte erst unsicher, täuschte dann aber Verwunderung vor.
„Herr? Wovon sprecht ihr?“
„Tut nicht so! Ihr verdreht unsere Worte und versucht gegen uns zu wirken, die Menschen gegen uns aufzuhetzen!“ sprach Tól.
„Herr, ihr missversteht – ich versuche euch nur zu dienen.“ Silön wirkte sichtlich nervös.
„Wir verstehen alles! – geht – verlasst die Stadt und kehrt nie wieder hierher zurück – jeder, der euch zwischen Arsullan und Emaiors Burg begegnet, mag euch niederstrecken!“ sprach Tól, und so ward es.
Vogelfrei verließ Silön die Stadt und musste sich durch die Wildnis schlagen, um nicht von irgendwelchen Reisenden gesteinigt oder schlimmeres zu werden. Bald verließ Silön dann ganz das Gebiet der Anhänger von Tól und Omé.
Wenige Monde später hieß es, dass Silön Maggin erreicht habe und dort plane die Stadt Lían mit Waffengewalt zu nehmen. Emaior überzeugte Tól und Omé schnell davon, Silön zuvorzukommen. Mit seinen ausgebildeten Kriegern aus Stadt Lían und Burg Raí stellte er in letzterer eine kleine Streitmacht zusammen. Sogar lurrukische Soldaten aus Arasanh und Taiban meldeten sich freiwillig, um den Nachbarn beizustehen. Vielleicht zweimal einhundert Kämpfer konnte Emaior zusammenziehen.
Mit den ersten längeren Frühjahrstagen des Jahres 1998 waren Emaior und seine Gefolgschaft bereit, gegen Maggin zu ziehen. Am Morgen des Aufbruchs, als Emaior seinen Truppen voraus zum Burgtor ritt, liefen Raí und Lían zu ihm, welche erst wenige Tage zuvor in der Burg angekommen waren, um dem Aufbruch zusehen zu können.
„Kinder! Bleibt zurück und lasst die Männer durch“, ermahnte sie Emaior.
„Aber… aber Amant…“, fing der kleine Raí an, doch Lían fiel ihm ins Wort.
„Es tut mir Leid, er will unbedingt mit dir mit“, entschuldigte sie ihren kleinen Bruder.
Emaior blickte beide leicht verärgert an. Er hatte keine Zeit für so was.
„Raí, es ist viel zu gefährlich für dich und du bist noch zu jung, um mit uns zu kommen!“
Der Junge wirkte, als wäre er den Tränen oder einem Wutausbruch nahe. Immer wieder öffnete und schloss er den Mund, als würde er stottern, doch ohne ein Wort hervorzubringen. Schließlich schaffte er es doch noch.
„Aber… aber.. bitte!“
„Nein!“ herrschte ihn Emaior barsch an.
„Ihr bleibt hier oder kehrt heim zu euren Eltern!“
Raí hob wütend, doch den Tränen nahe, einen Stein vom Boden auf und schmiss ihn auf Emaior. Der Stein prallte aber wirkungslos an dessen Rüstung ab. Der Junge rannte so denn weinend zu einem Turm der Burg und verschwand dort. Lían und Emaior sahen ihm nach.
„Es tut mir Leid…“, meinte letzterer leise und verunsichert.
Lían sah ihn an.
„Es ist nicht deine Schuld – ich werde ihn beruhigen!“ sprach sie und  verschwand.
Emaior sah ihnen einen kurzen Moment lang traurig nach, bevor er sich zu seinen Männern umdrehte.
„Lasst uns ziehen!“ sagte er mit fester Stimme und laut genug, dass alle ihn hörten, dann ritt er ihnen voran zum Tor heraus.
Zwei Wochen später erreichten sie Maggin.
Maggin war eine kleine aber wehrhafte Stadt. Errichtet von Colite-Stämmen aus Darite, doch nach lurrukischem Stil und mit lurrukischen Baumeistern, lag sie rechteckig angelegt am Südufer des Gantrott, dort, wo der Bauran in den größeren Fluss mündet. Die rechteckige Anlage ermöglichte einfache, rechtwinklige Mauern, hinter denen Straßen und Häuser ebenso rechtwinklig angelegt waren. Nur drei Tore boten Zugang zur Stadt: Eins gen Südwesten, zur Straße Panen-Tambaheim hin, ein weiteres zum kleinen Hafen der Stadt und letztlich eine, von der eine lange Brücke aus über den Gantrott führte, die wohl leider einzige Möglichkeit, die sich Emaior nun bot.
Emaior wusste nicht, was ihn dort erwarten würde. Maggin war stärker in der Hand Lurrukens als beispielsweise Arasanh. Eine kleine Abteilung der Armee Lurrukens war hier in diesem Grenzposten inmitten von Lurrukens Südosten beheimatet. Wie sich schnell herausstellte, als Emaior einen Boten zur Stadt entsandte, und dieser einem Pfeilhagel erlag, war es Silön wohl eindeutig gelungen, eben diese zu überzeugen, zum eigenen Schutze Silöns zu handeln. Emaiors Kämpfer waren lange nicht stark genug die Stadt zu stürmen, so entschloss er sich stattdessen, vor ihr zu lagern, sie zu belagern, und einen Teil seiner Leute über den Fluss zu schicken um die beiden Haupttore zu bewachen, auf dass kein Feind die Stadt würde lebend verlassen können.
Emaior zeigte Hartnäckigkeit, Silön dagegen Ausdauer, als sich bis zum Winter des nächsten Jahres an dieser Lage nichts änderte - bis auf kleinere Verstärkungen für Emaior, welcher mittlerweile zwei von Holzmauern gesicherte Lager hatte errichten lassen.
Gegen Ende des Winters schließlich wollte Emaior endlich eine Entscheidung. Er wusste, das Ende war nicht mehr fern, Tól und Omé hatten es verkündet. So ließ er den lautstärksten seiner Männer eine Herausforderung gegen die Mauern von Maggin rufen. Und Silön willigte ein, ahnte doch auch Silön, dass es bald so weit sein würde. Die Mauern der Stadt Maggin öffneten sich, und heraus strömten Scharen von Kämpfern der Stadt, welche die beiden Lager angriffen.
Amant Emaior und Silön aber trafen sich auf einem kleinen Hügel gegenüber vom Hafen, auf der anderen Seite des Flusses, zwischen Gantrott und Bauron, zum Zweikampf. Ihre Reittiere scharrten unruhig im Boden herum.
„So treffen wir uns denn also wieder“, begrüßte Silön den Gegner.
„Ihr wisst, ich bin hier um euch zu töten!“ entgegnete Emaior.
„Gewisslich wollt ihr das“, antworte Silön und fuhr höhnisch fort, „ebenso, wie eure Herren meinen Tod nur wollen, um keine Hindernisse auf ihrem Weg zur Macht über die Leute dieser Gegend zu haben!“
„Lüge! – Ihr habt immer nur die Unwahrheit gesprochen!“
„So glaubt denn doch, was ihr wollt, Narr, für mich ist es gleich was mit euch in eurer Knechtschaft unter ihren falschen Vorhersagen geschieht.“
Silön wirkte geradezu gelangweilt.
Emaior legte wütend eine Hand auf den Griff seines Schwertes, bereit es zu ziehen…
„Nehmt das zurück! – sonst beginnt euer Ende bereits hier und jetzt!“
„Armer Welpe, der den falschen Herrn anhechelt“, murmelte Silön scheinbar bedauernd.
…und Emaior zog es.
In Silöns Hand tauchte plötzlich ebenso ein Schwert auf und sie bekämpften sich bis aufs Blut. Trotz Silöns bloßer Gelehrsamkeit und Emaiors starkem Kampfeswillen entwickelte sich der Kampf recht ausgeglichen. Wie Schwertschlag auf Schwertschlag der beiden folgte, so bekämpften sich auch ihre Männer zu beiden Seiten des Flusses. Mehrere Stunden dauerte es und niemand schien die Oberhand zu gewinnen, da geschah es.

Auf dem Hügel unterbrachen Silön und Emaior ihren Kampf und blickten zum Himmel.
Unter ihnen, am Fluss, ließen die Krieger die Waffen sinken und sahen ebenso zum Himmel.
In Lían standen Tól und Omé auf einer der neu angelegten Stufen im Berghang und hoben ihren Blick gen Himmel.
Unten in der Stadt unterbrach Lían ihr Gespräch mit den Bürgern und Raí sein fröhliches Versteckspiel mit anderen Kindern der Stadt und beide starrten zum Himmel.
In Stirmen, so sagt man, beobachtete ein Junge namens Raréon ebenso den Himmel.
Überall auf der Welt unterbrach man jegliches derzeitiges Handeln, sah verwundert die anderen an, die bereits zum Himmel sahen und folgte ihren Blicken, mit Schrecken in den Augen.
Und in Tamilor sah Tamirús zu den Sternen empor und sah sein Ende und das eines Zeitalters des Friedens und Wohlstandes gekommen.

Der rote Feuerschein am klaren Himmel wurde schnell immer größer. Schließlich raste er als glühender Feuerball mit brennendem Schweif im Süden immer tiefer und verschwand schließlich außer Sicht. Die nachfolgenden Erschütterungen soll man sogar in Tamilor noch gespürt haben, als einer Dienstmagd beim Putzen ein Kristallkelch zerbrach. Im südlichen Salire dagegen sah man alles besser. Dort beobachtete man, wie nach dem Verschwinden des Balles weit im Süden eine Rauch- und Feuersäule sich zum Himmel erhob. Staub und Asche und sollten noch nach Monden in Salire niedergehen.
Nachdem sich schließlich auch die Feuersäule gelegt hatte, begannen die ersten hohen Flutwellen. Manche waren so hoch, dass eine ganze Stadt unter ihnen begraben und zerstört wurde. Bei all diesen Verheerungen bemerkte aber kaum jemand, wie das Wasser des Meeres allmählich anstieg und von den Küsten nicht mehr aufgehalten ins Landesinnere kroch.
Tól und Omé wussten, was nun zu tun sei. Ihre Gesandten in den umgebenden Regionen und Städten auch.

Auf dem Hügel bei Maggin sahen sich Silön und Emaior an, nachdem sie eine Weile den südlichen Horizont beobachtet hatten. Silön kniff verärgert die Augen zusammen; Emaior wirkte verstört und siegessicher zugleich, hatten Tól und Omé doch immer Recht gehabt.
„Seht!“ rief er erstaunt, als er sah, was beim Fluss geschah.
Auch Silön wandte den Blick dorthin.
Beim Fluss, zumindest auf der Seite, zu der sie Einsicht hatten, waren die Kämpfe mittlerweile vollständig zum Erliegen gekommen. Nachdem beide Armeen eine Zeitlang den Süden beobachtet hatten, begriffen sie endlich, was geschehen war. Die Einheiten Emaiors sahen Tól und Omés Vorhersagen bestätigt und hatten Vertrauen darin, dass ihnen nichts geschehen würde. Silöns Leute dagegen sahen die Vorhersagen ebenfalls bestätigt und befürchteten nun das Schlimmste. Wer weiß schon, was ihnen Tól und Omé noch antun könnten. So beschlossen sie, sich möglichst schnell möglichst weit von Lían zu entfernen.
Als nach und nach mehr Krieger von der Stadt aus Richtung Süden oder Westen flohen, fluchte Silön, sah Emaior kurz böse an und folgte den Flüchtlingen, um möglichst viele wieder zu sammeln und nicht zu verlieren. Emaior ließ sie alle ziehen. Er gesellte sich zu seinen Männern, die den Sieg feierten und bereits teilweise in die Stadt eingezogen waren. Die lurrukischen Einheiten von Silön waren größtenteils geflohen, die wenigen Verbliebenen ergaben sich widerstandslos.
Emaior ritt bis zum Marktplatz, blieb dort stehen und blickte über den Platz. Ein paar der Kämpfer folgten ihm, andere sicherten die Mauern und schlossen das Südwesttor um eine Rückkehr von Silön zu verhindern. Einige der Bewohner von Maggin lugten vorsichtig aus ihren Häusern oder drückten sich in Nebenstraßen.
Als ein Bannerträger bei ihm ankam, erhob Emaior die Stimme.
„Bewohner von Maggin!“ rief er laut genug, dass alle auf dem Platz ihn hören konnten.
„Silön ist vertrieben und in diesem Moment versinkt die Welt in Verwirrung und Unheil! Hiermit erkläre ich diese Stadt als unter dem Schutz von Tól und Omé stehend, welche in Lían weilen und für euer Wohl sorgen!“
Er ließ die Worte kurz verhallen, bevor er sich zu einem seiner Männer namens Galand runter beugte und diesem leise sagte:
„Sichert die Wälle ab und verhindert eine Rückkehr von Silön!“
„Bereits geschehen, Herr!“
Emaior nickte zufrieden.
„Sehr gut.“
In der nächsten Zeit ging Emaior zurück nach Lían um Bericht zu erstatten und wegen dem Feuer nachzufragen. Man schickte ihn zu den Ländern in der Geistebene. Der gewaltige Geist, der große Fluss, der gewaltige Urstrom, wurde zu dieser Zeit Stunde um Stunde stärker vom Meer bedrängt, welches über den Fluss ins Landesinnere drang. Emaior reiste nach Ketaine und Silaine, zwei Städte, zwischen Lían und dem Geist gelegen, und versuchte die Einwohner davon zu überzeugen, die gefährdeten Gebiete doch zu verlassen und mit nach Süden zu kommen, wo sie sicher seien. Die meisten aber waren erst soweit dieses zu tun, wenn ihr Haus bereits bis zum Dach unter Wasser stand.
Silön samt den wenigen verbliebenen Getreuen überquerten derweil den Fluss Panenfiress südlich von Maggin und erreichten nach wenigen Wochen die kleine Stadt Darôn am Fluss Nechdra, wo Silön meinte, weit genug von Lían entfernt zu sein. In dieser Stadt weit am Rande von Lurrukens Grenzmarken nistete sich Silön ein, versprach Schutz und sammelte Leute aus den langsam versinkenden Gebieten im Süden, aus Gegenden wie Tambien.
In diesem Jahr 2000 stieg der Meeresspiegel um etliches. Zahlreiche Küsten verschwanden in den Fluten, viele Hafenstädte versanken, fast ganz Salire und Pakama gingen unter – am größten jedoch waren die Verheerungen in der Geistebene, die bis zu den Schmelzöfen und kurz vor Lían fast völlig verschwand. Das Geistmeer entstand, umspülte die Überreste der Orte und die leblosen Körper derer, die nicht ihr Zuhause verlassen wollten um Schutz in den höher gelegenen Regionen zu suchen.
Lían und die Gegend unter dem Schutz von Tól und Omé erhielten zu dieser Zeit starken Zustrom, unterstützt durch die Bemühungen von Emaior. Lían festigte seinen Einfluss in dieser Gegend immer mehr, da Lurruken allmählich die Macht verlor, lag doch nun gut ein Drittel des Landes unter Wasser. Das Gebiet von Tól und Omé erstreckte sich langsam von Taiban über Lían bis zur Burg Raí und hinab nach Maggin. Im Norden hatte sich unfern des Gebirges eine Küste gebildet, als das Vordringen des Meeres dort endete. Viele der überlebenden geflohenen Einwohner der versunkenen Tiefebene siedelten sich dort an, unterstützt von Tól und Omé. Amant Emaior pendelte durch die Randgebiete von Lían über Maggin bis zur Burg Raí.

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