Der Ruf...

Short Story zum Thema Fantasie

von  Henning

Der Ruf...

Marq war ein typischer Halbwüchsiger. Wie Halbwüchsige nun einmal so sind: Rebellisch gegen alles und Jeden und mit einer extrem starken Bindung zu verschiedenen Gruppen Gleichaltriger.  So war es seit tausenden von Jahren und so wird es wohl auch immer sein, ganz gleich, welcher Schicht diese Person angehört oder welche Bildung sie hat. In diesem Sinne war Marq nicht anders als alle Anderen in seinem Alter. Und dennoch: Marq war schon etwas anders – er war extrem intelligent und aufgeweckt. Er war – obwohl von Natur aus ein eher friedlicher Mensch – ein hervorragender Kämpfer. Ganz erstaunlich waren seine Fähigkeiten mit der Takuba und der Fesselpeitsche – und auch im Speerwurf waren seine Leistungen über die Maßen gut. Er genoss hohes Ansehen in seinem Stamm – und das, obwohl er erst 13 Jahre alt war. Marq war ein T'Aqbar. Und er gehörte zum Stamm der 'Skorpione der Wüste', ein Stamm, der selbst von anderen T'Aqbar extrem respektiert wurde. Die 'Skorpione der Wüste', die, wie fast alle anderen T'Aqbar-Stämme, vor etwa acht Jahren im großen 'Wüstenkrieg', ausgelöst durch eine Revolte gegen den verräterischen Khadir Teckel Ara, die Erg Erir verlassen hatten und wieder in ihre Urheimat, die Wälder von Ish gezogen waren, hatten sich letztes Jahr entschlossen, wieder in die Wüste zurück zu kehren, nachdem der Krieg fast ganz Esran verwüstet hatte und die T'Aqbar nicht mehr verfolgt wurden.

Das Schicksal des grausamen Verräters war unbekannt – auch wenn es verschiedene Gerüchte gab (unter Anderem, dass ihn Bergzwerge aus seinem Fluchtlager in die Katakomben der Berge entführt hätten). Ganz Esran lag in Trümmern – und die überlebenden Einwohner wussten nicht, wie sie ihre Tage verbringen sollten: Trauern, Wiederaufbau der größten Teils zerstörten - ursprünglich herrlichen, denn Esran war einst ein reiches Land! - Häuser, und der mühsamen Suche nach etwas Essbarem beherrschte das Leben der meisten Menschen. Nahezu alle Völker in Esran waren gleicher Maßen betroffen.

Nur die Wüste war nicht zerstört – hauptsächlich deswegen, weil es dort nichts zu zerstören gab. Zelte konnten die T'Aqbar schnell wieder herstellen. Und die meiste bewegliche Habe hatten die Überlebenden ohnehin in Sicherheit gebracht. Aber auch die T'Aqbar waren durch den Krieg arg dezimiert. Die 'Skorpione der Wüste' waren die ersten dieser kriegerischen Stämme, die sich wieder zurück in die Erg Erir wagten – die Wüste, die seit Generationen ihre Heimat gewesen war. Eine Wüste, in der nur und einzig die T'Aqbar ohne fremde Hilfe überleben konnten. Wie, das war ganz allein deren Geheimnis...

Etwa zur gleichen Zeit, etwa zu Beginn der großen Revolte, als der Verräter Teckel floh, verschwand auch der berüchtigte Führer der 'Skorpione der Wüste', Hadji Charles A'Tan Al Curvin Ben Seng Ibn Shejtan, nachdem er seinen Stamm in die Wälder von Ish  in Sicherheit geführt hatte. Offiziell hieß es, er habe sich zur 'Weißen Königin', der legendären Gottkönigin der T'Aqbar begeben wollen – aber selbst unter den T'Aqbar wurde dies bezweifelt – wusste man doch, die Gottkönigin empfing grundsätzlich nur Frauen. Wie dem auch sei, seit dieser Zeit war der gefürchtete T'Aqbarführer ebenfalls verschwunden und Keiner hatte Kunde von seinem Verbleib.

Marq war einer der Heranwachsenden, von denen zwar die Mutter bekannt war, jedoch nicht der Vater. Das war bei den T'Aqbar nicht ungewöhnlich, denn die Frauen hatten bei diesen Wüstenbewohnern ein sehr freies und selbst bestimmtes Leben – sie wählten sich ihre Partner selbst, und selbst, wenn es nur für kurze Zeit und für ihr Vergnügen war. Nichtsdestotrotz gingen Gerüchte um, dass Charles A'Tan sein Vater sei – insbesondere Ähnlichkeiten bei Augen, Nase und Ohren nährten entsprechende Spekulationen. Aber niemand wusste Genaues. Und Marq selber war es gleichgültig, wer sein Vater war. Er hatte ein Selbstbewusstsein vergleichbar dem eines alten, jagderprobten Tigers – unerschütterlich.

Marq war bereits von den Stammesältesten darauf an gesprochen worden – das erste Mondfest in diesem Jahr nahte – und damit auch der übliche Termin für die jährlichen Mannbarkeitsfeste. Das stand Marq nun bevor. Obwohl er es spannend fand, machte er sich deswegen keine großen Sorgen. Er war unter den Heranwachsenden der beste Schwertkämpfer, der beste Speerwerfer und der beste Drom'Hadar-Reiter. Er würde alle Tests mit Leichtigkeit bestehen. Nur bei einer Sache musste er sich anstrengen: Noch vor Beginn der Feierlichkeiten wurde von allen Aspiranten erwartet, eine besondere, eine herausragende Tat zu begehen. Marq hielt nichts davon, bei einem anderen Stamm ein Drom'Hadar zu stehlen – die übliche Tat, die einfallslose Jugendliche den Stammesältesten vorbrachten. Er fand das langweilig. Zumal ihm die Tiere, wenn er es denn wollte, ohnehin auf Fingerschnippsen nach liefen.
Nein, es musste wirklich etwas Besonderes sein. Etwas, das vollkommen neu war und was noch nie ein Mannbarkeitsaspirant zuvor geboten hatte. Nur so etwas war seiner auch würdig!

Marq sattelte sein Drom'Hadar – eigentlich gehörte es seiner Mutter, wie alle bewegliche Habe im oder beim Zelt der Kleinfamilie, aber sie hatte es ihm 'unbegrenzt' geliehen, was soviel war wie ein inoffizielles Geschenk. Da er noch kein Mann war, durfte er bei den T'Aqbar kein eigenes Drom'Hadar besitzen. Er legte den großen, prachtvoll verzierten und aus dunklem Leder gefertigten Hörnersattel auf den Fettbuckel des Tieres und schnallte ihn fest. Dann befestigte er die drei wichtigsten Utensilien eines Wüstenbewohners an jedem der drei langen Sattelhörner, die wie Stachel in die Luft ragten: 'Seine' Takuba (auch die wurde von seiner Mutter 'verwaltet', bis er ein Mann war, aber er benötigte sie, wenn er allein in die Wüste ritt, so entschied er), ein altes, aber gut gepflegtes, gerades Schwert, an der linken Seite, den Ziegenlederbeutel mit Wasser in der Mitte und einen weiteren Beutel mit Trockenfleisch rechts. Und dann kam sein 'Schatz': Eingewickelt in ein großes Stück altes Fell war sein 'Schlüssel'. Dieser 'Schlüssel' war eigentlich eine perfekt runde, hoch polierte Glaskugel – aber sie hatte eine merkwürdige Eigenschaft: Bei vollkommener Dunkelheit konnte man im Inneren dieser Kugel interessante farbige Lichter sehen, die magische Muster bildeten. Auch seine Mutter wusste nicht, warum diese magische Kugel 'Schlüssel' genannt wurde. Sie hatte Marq nur erzählt, dass sie dieses Kleinod von einem ihrer Liebhaber bekommen habe. Und da sie dafür keine Verwendung mehr hatte, hatte sie es ihrem Sohn geschenkt. Dieser 'Schatz' kam in eine kleine Mulde im hinteren Teil des Sattels und wurde sorgsam fest geschnallt.

Marq ritt bereits seit mehreren Stunden – er hatte seiner Mutter eine geschriebene Nachricht hinterlassen, dass er auf Visionssuche sei (eine übliche Sitte bei zum Mann werdenden jungen T'Aqbar) – und der Mond schien prachtvoll hell, obwohl er erst halb 'voll' war. Marq näherte sich jetzt der Grenze des ihm bekannten Gebiets. Westlich lag das Gebiet der 'Djinns' – der Wüstengeister, die die ansonsten so mutigen T'Aqbar fürchteten wie nichts sonst. Nach kurzem Überlegen entschied sich Marq, seine Nervosität zu überwinden und in genau dieses Gebiet zu reiten. Es würde ihm garantiert Keiner folgen – und sein Drom'Hadar würde ihn mit Sicherheit rechtzeitig vor jeder echten Gefahr warnen. Während er langsam durch die immer größer werdenden Felsen ritt, erinnerte er sich einiger der Geschichten, die man über diese Gegend und seine geisterhaften Bewohner an den Lagerfeuern zu erzählen pflegte. Die Djinns seien unsichtbare Geister Verstorbener, die Lebende verschleppen und ihnen die Lebensenergie aussaugen, um sichtbar zu werden und wieder, wenn auch nur für kurze Zeit, wie Lebende zu fühlen. Er wusste nicht, wie viel davon wahr war, aber was er wusste, war, das viele der alten Erzählungen übertrieben waren und viele der Begebenheiten mit Bildern der Furcht ausgeschmückt worden waren.

Hoch oben an einem der Felsen sah er ein merkwürdiges Symbol und lenkte sein Reittier dort hin. Dort an gekommen, bemerkte er, dass das Symbol, welches er gesehen hatte, nur die rechte Hälfte einer ähnlichen Entsprechung auf der linken Seite war – dort befand  sich ein fast gleichartiges Symbol, und die Öffnung zwischen den beiden Felssäulen wurde von einem steinernen Bogen überspannt. In diesen Bogen waren altertümliche Zeichen eingraviert.

Marq brauchte lange, um den kurzen Text zu verstehen. Aber es gelang ihm schlussendlich. Die Zeichen hatten große Ähnlichkeit mit altertümlichem Tifinagh, der Schrift der T'Aqbar. Die Bedeutung des Satzes war etwa: 'Nur mit dem richtigen Schlüssel wirst Du dieses Tor öffnen können'. Obwohl die Zusammenstellung der Wörter klar war, ergab der Satz keinen Sinn, denn dieser Steinbogen und die beiden Säulen enthielten kein Tor, welches den Zugang versperrte – jeder konnte hier hindurchreiten oder -gehen. Und dahinter war auch nichts, was sich zu verbergen oder zu beschützen lohnte – nur ein etwa kreisrunder großer Platz, frei von den üblichen Felsen ringsherum, halbwegs eben. Aber es war absolut nichts, was Menschenhand hätte bearbeitet haben können, zu sehen – weder auf dem Boden des sandigen Platzes noch an oder auf den Felsen, die diesen Platz einrahmten. Eigentlich sogar weniger als nichts. Marq runzelte die Stirn – bis ihm plötzlich eine Idee kam. Was wäre, wenn sein 'Schatz' genau  dieser 'Schlüssel' wäre? Er nestelte das Bündel vom Sattel und gab das übliche Kommando an sein Drom'Hadar: „Chchchch!“ - worauf das Tier zuerst die Vorderläufe einknickte und sich dann völlig hinsetzte. Marq stieg ab und stellte sich vor das 'Tor'. Er wickelte die Glaskugel aus und nahm sie in die Hand. Er wusste absolut nicht, was er jetzt machen sollte. Er starrte auf die Kugel, dann auf die Öffnung des Steinbogens. Nichts passierte. Er stellte sich mit der Kugel direkt unter den Bogen – wieder nichts. Dann kam ihm eine Idee. Er erinnerte sich, dass die interessanten farbigen Muster nur bei Dunkelheit in der Kugel zu sehen waren, wenn man diese in beide Hände nahm. Er warf das große, alte Fell, in das die Kugel zuvor ein gewickelt war, über sich, so dass kaum noch Licht zu sehen war und nahm die Kugel in beide Hände. Eine Zeit lang tat sich nichts, aber Marq bewies Geduld. Nach ein paar Augenblicken waren winzige farbige Funken in der Glaskugel zu sehen, die sich bewegten. Es wurde immer mehr farbige Leuchtpunkte, die in der durchsichtigen Kugel unregelmäßig zu rotieren begannen. Nach kurzer Zeit begannen sich merkwürdig zackige Linien zwischen den Leuchtpunkten zu entwickeln, die flackerten wie Blitze. Marq wartete weiterhin. Als die ganze Kugel erfüllt war von farbigen Leuchtpunkten und Blitzen, erstarrte die Bewegung urplötzlich und Marq hörte ein seltsames Geräusch durch die Felldecke – ein Zwischending zwischen Summen und Knistern. Er nahm das Fell vom  Kopf und blinzelte, schaute und blinzelte nochmals. Zwischen Steinbogen und Steinsäulen befand sich jetzt eine wabernde schwarze Fläche, wie glänzende schwarze Tinte, die in Bewegung ist.

Marq verstand! Dies war das Tor – und jetzt war es offen!! Er band das Drom'Hadar an einen Felsen, raffte schnell sein geringes Gepäck an sich (wer weiß, was ihn auf der anderen Seite erwartete?) und schritt langsam auf die schwarze, wabernde Fläche zu. Ein kurzes Zögern nur – dann war er durch. Welche Überraschung erwartete ihn! Auch hier ein kreisrunder Platz – in seinem Rücken das Tor, dessen schwarzes Wabern mit einem knisternden Geräusch erlosch, als er sich umdrehte, und den Blick auf das frei gab, was sich hinter dem Tor befand.

Um den kreisrunden Platz befanden sich Gebäude – hunderte von Gebäuden, in unterschiedlichsten Farben, aber alle in hellen Pastelltönen. Kein Gebäude hatte mehr als drei Stockwerke und alle waren sehr großzügig gebaut. Was sofort auffiel: Die Stadt war absolut menschenleer – und dennoch war alles exquisit erhalten. Kein Zeichen von Verfall war fest zu stellen. Marq war jemand von schnellen Entschlüssen. Er schritt voran, geradeaus, auf ein großes, prachtvolles Gebäude zu, welches irgendwie 'wichtig' aussah. Er stieg die breite, kurze Treppe hinan, stieß die schwere Holz-Doppeltür auf und trat in eine riesige Halle. Am anderen Ende der Halle war eine Art 'Empore' und darauf stand ein thronartiger schwerer Stuhl und ein flacher Tisch. Marq sah sich staunend um – und begriff: Er hatte eine der so genannten 'verborgenen Städte' der Djinns betreten! Die Städte, die 'da waren und doch nicht da waren', am gleichen Ort wie in der wirklichen Welt und dennoch völlig woanders. Und – wenn das richtig war – kein Sterblicher hatte eine solche Stadt jemals zuvor betreten!!

Er näherte sich vorsichtig - obwohl er bisher keinen Djinn gesehen hatte, aber man konnte ja nie wissen! - der Empore und stieg langsam die flachen Stufen hinauf. Auf dem niedrigen Tisch lagen zwei Gegenstände – ein schweres, ledergebundenes Buch und eine prachtvolle, überaus reich verzierte, merkwürdig kurze und breite Takuba in einer düsteren, aber reich verzierten, Lederscheide. Er hob das Schwert an und wunderte sich über das hohe Gewicht. Er zog die Klinge ein kurzes Stück heraus – und erschrak: Das Metall war extrem dunkel und schien das Licht zu verschlucken. Nur mit Mühe konnte er eine holzartige Maserung auf der Klingenoberfläche erkennen. Eine Damaszener-Klinge! Er hatte Gerüchte von einer besonderen Schmiedetechnik gehört, die extrem harte und dennoch elastische Klingen produzieren sollte. Aber solche Klingen waren normaler Weise hellgrau-silbrig. Diese hier dagegen war fast völlig schwarz! Und sie glänzte nicht. Er nahm das prachtvolle Buch und die juwelenbesetzte Takuba mit der schwarzen Klinge an sich und verließ das Gebäude wieder – so vorsichtig, wie er es betreten hatte. Aber keiner hielt ihn auf. Diese Stadt, so perfekt wie sie war, hatte offenbar keinerlei Bewohner.

Auf die gleiche Weise, wie er die Stadt betreten hatte, verließ Marq sie auch wieder. Der Tag war bereits zur Neige gegangen – er hatte einen ganzen Tag in der Stadt verbracht! Und dies, obwohl sein eigenes Empfinden höchstens einige Augenblicke registriert hatte! Anscheinend hatte Zeit in den 'verborgenen Städten' eine gänzlich andere Bedeutung. Er gab seinem Drom'Hadar zu trinken, aß und trank selber etwas, verstaute seine Sachen und seine 'Beute' und machte sich danach auf den Rückweg.

Der Morgen graute bereits, als er im Zeltlager seines Stammes anlangte. Er brachte sein Reittier zu den anderen, sattelte ab und brachte sein Gepäck, zusammen mit seiner neuen 'Beute', in das Zelt, das er mit seiner Mutter teilte. Obwohl er sich bemühte, leise zu sein, wachte sie von dem Rascheln, das er verursachte, auf.

„Nun, prachtvoller Spross meiner Lenden, wo hast Du mein Drom'Hadar ausgeführt?“

„Geehrte Mutter, Du wirst es nicht glauben! Meine Visionssuche führte mich in eine der 'Verborgenen Städte!“

„Geliebter Sohn, obwohl ich weiß, dass Du stets die Wahrheit sprichst, kann ich es wirklich kaum glauben. Meinst Du nicht, dass Du diese Stadt in einer Vision gesehen hast?“
„Nein Mutter – ich habe die Stadt wirklich betreten! Der 'Schlüssel' – Du erinnerst Dich, die magische Kugel! - hat mir Zugang verschafft!“

„Bei Alamut! Und die Djinns haben Dich nicht an gegriffen?“

„Es befand sich offenbar kein lebendes Wesen, weder Mensch noch Djinn, in dieser Stadt. Sieh! Ich habe etwas mit gebracht!“

Und Marq wickelte die beiden Sachen aus, die er erbeutet hatte. Sie zündete eine Öllampe an und nahm das Schwert in die Hand. Als sie auf den Knauf der Takuba schaute, erbleichte sie.
Obwohl Marq dies schwer im schlechten Licht erkennen konnte, machte ihn die plötzliche Stille aufmerksam.

„Was ist, geehrte Mutter?“

Es dauerte einige Augenblicke, bevor ihre Antwort kam. Keuchend und stoßweise.

„Mein werter Sohn! Es ist die Takuba Deines Vaters! Jetzt kann – ja, jetzt MUSS ich es Dir sagen: Charles A'Tan, der düstere Führer unseres Stammes, der vor wenigen Jahren unter rätselhaften Umständen verschwand und mit dem ich nur eine einzige Nacht das Lager teilte, hatte dieses Schwert in seiner Jugend geschmiedet! Es war sein erstes Werkstück – er brachte den schwarzen Damaszener-Stahl nach Esran. Dieser Stahl, diese Klinge schneidet alles – auch die magisch gehärteten Rüstungen der Lugarer und geht durch die Klingen der Esranischen Garde wie durch Butter! Schau – hier, das Zeichen im Knauf! Hattest Du es noch nicht gesehen?“

„Ich habe es noch nicht so genau an geschaut, liebe Mutter!“

„Dann schau jetzt! Du erkennst deutlich unser Stammeszeichen, den Skorpion! Und auf der anderen Seite, dieses merkwürdige, verschlungene Symbol, das ist das magische Zeichen von Charles A'Tan! - Sohn...“ während sie dies sagte, nahm sie eine der eisernen Zeltstangen, die in jedem Zelt als Ersatz lagen und strecke sie weit von sich. „Führe einen Streich mit dieser neuen Takuba gegen diese dicke eiserne Stange, mein Sohn!“

„Aber ich möchte die schöne Klinge nicht beschädigen!“

„Tu es!“

Und Marq tat, wie ihm geheißen – und fiel fast vornüber, weil der Widerstand, den er von der Eisenstange erwartete, fast nicht existent war. Mit offenem Mund stand er da. Seine Mutter zeigte ihm die glatte Schnittstelle der Eisenstange.

„Siehst Du?! Es ist eine fürchterliche Waffe.“

„Wahr, Mutter. Und schau, was ich noch mit gebracht habe!“ Er hielt ihr das Buch entgegen. Ihr Gesichtsausdruck zeigte Bedenken.

„Das sieht wie ein Magie-Buch aus, mein werter Sohn. Bitte, sei vorsichtig damit!“

„Was kann schon passieren?“ Er öffnete das Buch.

„Es befinden sich zwei unterschiedliche Schriftarten hier darinnen. Altes Tifinagh, sowie Mythanisch – so, wie Du es mich gelehrt hast!“

„Hier steht: 'Wenn dieses Buch Dir sein größtes Geheimnis enthüllen soll, dann lies bei Nacht den unten stehenden Satz drei mal, jedes Mal lauter – das letzte Mal geschrien! Und Du wirst das Geheimnis dieses Buches kennen lernen – und auch sonst jede Unterstützung bekommen, die Du zu erträumen wagst!' - Klingt doch viel versprechend!“

„Sohn, bitte lass es lieber! Mit Magie ist nicht zu spaßen!“

„Warum? Wir wollen doch beide wissen, was es mit diesem Buch auf sich hat, oder nicht? Und Unterstützung können wir auch gebrauchen!“

„Bahl...“

„Marq – nicht!“

„...saga menjir Mhjin!“

„NICHT!“

Aber Marq war wie in Trance...

„Bahl saga menjir Mhjin!

- Bahl saga menjir Mhjin!



... und es tat sich der Boden auf, - eine braune Masse quoll aus dem Nichts, - dicke Blasen wuchsen und platzten mit einem garstigen Geräusch und gaben Übelkeit erregende Ausdünstungen frei...


Anmerkung von Henning:

Diese Kurzgeschichte ist im Bereich der Fantasie-Welt des Fantasy-Clubs FOLLOW angesiedelt.

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Kommentare zu diesem Text


 Dieter_Rotmund (12.04.09)
Ich sehe das jetzt mal als Satire zu den Legionen von blassen Teenagern, die über ihrem Fantasy-Warhammer-Computer-Online-Spiel zum Soziopath werden.
Stilistisch könnte noch einges gefeilt werden, z.B. " Marq war jemand von schnellen Entschlüssen" - das ist doch etwas arg sperrig und gespreizt.

 Henning meinte dazu am 12.04.09:
Das kannst Du sehen wie Du möchtest - beabsichtigt war es jedenfalls nicht. Diese Geschichte ist auch nur dann völlig zu verstehen, wenn man ein bisschen über die sehr komplexe Fantasie-Welt Magira weiß.
Durchaus beabsichtigt war die 'sperrige Formulierung'. So manch präzise Ausdrucksweise erscheint 'modernen Menschen', die mit sprachlicher Einfachheit aufwachsen, 'sperrig' oder 'kompliziert'. Ich entschuldige mich gern für meine Geburt im vorigen Jahrhundert, aber ändern kann und will ich das nicht (weder die Geburt noch die Formulierung).
DAS hingegen war satirisch gemeint...

 Dieter_Rotmund antwortete darauf am 14.04.09:
Ich finde es zwar etwas dreist, mir mehr oder weniger deutlich zu unterstellen, ich sei in "sprachlicher Einfachheit" aufgewachsen, aber ich bin ja nicht aus Zucker.
Verständnis habe ich dafür, daß du gewisse Stilmittel einsetzten willst; wie aber meine Vorrednerin schon treffend sagte: Es ist nicht ausgereift.

Und der Tat kenne ich mich in der komplexen Fantasie-Welt "Magira" nicht aus mir macht schon die komplexe Real-Welt "Süddeutschland" genug zu schaffen!

Nun gut, ich bleibe dabei, daß "Der Ruf" im Grunde den aktuellen jugendlichen Eskapismus thematisiert...

 Henning schrieb daraufhin am 15.04.09:
Schön, dass Du 'nicht aus Zucker' bist - das hilft definitiv im Regen...
Aber wenn Du Dir den 'Schuh', den die Generalisierung mit der 'Einfachheit der Sprache' bedeutete, persönlich anziehen möchtest, dann ist das letzten Endes Dein Problem, - dann mache mich bitte nicht für Deine emotionales Regungen darauf verantwortlich. Meine Antwort war allgemein gehalten und diente der Erläuterung eines Stilmittels. Du hast das Recht, zu äußern, was Dir nicht gefällt - die Bemerkung mit dem 'dreist' darf ich jedoch aus diesem Grund verbal reflektieren. In Deinem Alter (habe mal kurz in Dein Profil gespickt) sollte man gelernt haben, Generalisierungen von persönlich Adressiertem zu unterscheiden. Ich denke, damit ist speziell dieses Kleinkapitel abgehandelt.
Ich bleibe jeden Falls dabei, bestimmte 'moderne' Sprachformen ganz bewusst nicht zu verwenden - ganz einfach, weil ich ganz bestimmte 'altmodische' Formulierungen/Begriffe als aussagekräftiger, präziser oder einfach ästhetischer empfinde - je nach Situation. Du kannst mir glauben, dass ich lange genug schreibe, um eine solche Formulierung nicht unabsichtlich zu verwenden.
Zum Abschluss noch ein Zitat (Du kannst mir gern helfen - ich habe vergessen, von welchem Schriftsteller): "Es ist nicht Aufgabe des Künstlers, sich verständlich zu machen - es ist Aufgabe des Publikums, ihn zu verstehen!" In diesem Sinne, freundliches Händeschütteln...
Angelika Dirksen (62)
(12.04.09)
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 Henning äußerte darauf am 15.04.09:
Nun, immerhin - Du hast es als spannend empfunden. Ich habe aus dem Bekanntenkreis eine recht konträre Meinung - zumindest, was den Anfang der Story angeht - erhalten. Jener Leser fand es recht langatmig. Er kam aus dem 'erlauchten Kreise' der Leute der Fantasiewelt Magira. Da kann man einmal sehen, wie unterschiedlich die Leute Literatur empfinden...
:-)
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