Happy End

Erzählung zum Thema Ende

von  Mutter

Kurz vor der Skalitzer stehe ich an einer roten Ampel und versinke in dumpfes Brüten. Denke darüber nach, was gerade passiert ist. Warum mich dieser Scheiß-Kerl verpfeifen musste. Warum ich ihn fertig machen musste. Ob ich eine Wahl hatte.
Hatte ich nicht. Es ist die ganze Kacke von wegen ‚Exempel statuieren’, meinen Ruf wahren. Der Pisser hat versucht, mich umzulegen, umlegen zu lassen. Wenn ich ihm die Hand gereicht hätte, ihm hoch geholfen hätte vom Rollbrett – die nächsten Penner wären schon in den Startlöchern gewesen.
Rede ich mir ein.
Grübele über die ganze Unausweichlichkeit der Sache. Schlage ein, zwei Mal auf das Lenkrad. Noch mal.
Verfickt noch eins. Ich komme mir vor wie eine Katze, die mit Lichtblitzen spielt, dem Schein der Taschenlampe verfolgt. Und entweder rafft sie’s nicht, oder es ist ihr egal.
Ich raff’s nicht.
Wer ist für das Goth-Girl verantwortlich, für die beiden Kurden? Wer wollte, dass ich nach Hamburg gehe, mich dort in seine Gewalt bringen?
Was habe ich gemacht, damit jemand derart viele Hebel in Bewegung setzt, um mich in seine Finger zu bekommen? Ich weiß es nicht, keine Ahnung.
Ich hatte in meinem Leben in genügend Ärsche getreten – welcher davon war es?
Hinter mir hupt es ungeduldig. Mit einem bösen Blick in den Rückspiegel ballere ich den Gang rein und lasse den Wagen anrollen. Aussteigen und dem Kerl hinter mir aufs Maul hauen würde es kurzzeitig besser machen.
Ich bin eher auf der Suche nach langfristigen Lösungen – hat der Kerl Schwein gehabt.

Die nächsten paar Stunden, bis ich zum Bahnhof muss, vertreibe ich mir die Zeit mit schwarzem Kaffee und noch schwärzeren Gedanken. Ich hänge in einer namenlosen Kreuzberger Kneipe rum, die Alka Seltzer auf der Karte stehen hat. Für die typischen Kreuzberger Sonntagmorgen.
Dann mache ich mich auf, um Molly abzuholen.
Ich schaffe es pünktlich auf den Bahnsteig und sehe, wie sie aussteigt. Wie sie auf mich zukommt – als sei sie Teil eines verfickten TV-Commercials. Fehlt noch der Dampf des Zuges, der sie einhüllt, wieder freigibt. Wir fallen uns in die Arme, alles wird gut.
Fuckin’ Happy-End.
Sie verzieht das Gesicht, als sie mich sieht. Halb Lächeln, halb Verachtung. ‚Hast du mich vermisst, Cowboy?’
‚Sicher …’, entgegne ich flach.
Nebeneinander gehen wir auf die Treppe zu.
‚Wann geht dein Flieger?’ will ich wissen.
Sie lacht ihr aufregendes Lachen. ‚Kannst es nicht erwarten, mich loszuwerden, eh?’
Ich zucke mit den Schultern. Keine Antwort ist auch eine Antwort.
‚Hast du mit Collie gesprochen?’ fragte sie dann, als wir auf das Auto zugehen.
Wir steigen ein.
‚Warum?’ frage ich sie mit einem Stirnrunzeln, als ich den Motor anlasse. Die ganze Leipzig-Geschichte macht mich nervös. Will endlich wissen, worum es geht. Will, dass ich das nicht mehr wissen muss. Wenn sie endlich im Flieger sitzt.
Während ich Richtung Alex fahre, denke ich darüber nach, dass Welshie seine Order direkt aus Norn Iron, aus Belfast bekommen hat.
Und ich gerade Fremdenführer für einen weiblichen Hitman von da spiele. Möglicherweise nicht mehr als ein Zufall – „fuckin’ coincidence“, wie Stout sagen würde. Manche Menschen glauben nicht an Zufälle, nicht an solche.
‚Was ist?’ fragte sie nach einer Weile. Denkt vermutlich, mein Schweigen bezieht sich auf sie. Dass ich wieder grummel.
Ich schüttele den Kopf. Nicht jetzt, Hase.
Sie lässt für einen Moment locker. Dreht sich irgendwann im Sitz zu mir um. Wie das Frauen in Beziehungen machen, wenn sie ein ernstes Wort reden wollen.
Ich hebe die Hand, halte sie zurück. Werfe ihr einen kurzen Blick zu, sehe sie an. Zeige ihr, dass ich es ernst meine. Sie nickt, wartet weiter.

Wir nähern uns dem Hotel, als ich endlich sage: ‚Ich habe da ein Problem. Und es hat sich gerade herausgestellt, dass meine Schwierigkeiten mit Belfast zu tun haben. Mehr nicht. Tut mir leid.’
Sie nickt. Akzeptiert meine Entschuldigung. Die letzten paar Stunden in Berlin gehören ihr. Meine Gedanken gehören ihr – ich bin der Passmann.
Kann mir kein Abschweifen, kein Abgelenkt-Sein erlauben. Egal, wie ich den Job hasse.
Kurz darauf habe ich den Wagen geparkt und wir sind im Aufzug auf dem Weg nach oben. Gerade als die Türen klingend aufspringen wollen, berührt sie mich kurz am Arm. Geht vor, und ich erahne noch ihr Lächeln, echt diesmal, was sie kurz hat aufblitzen lassen und das sie jetzt mitnimmt.
Ich stehe unschlüssig kurz im Fahrstuhl, überlege, was gerade passiert. Sehe sie von hinten an. Sie steht vor der Suite, zieht die Karte durch.
Als die Türen sich schließen wollen, schiebe ich meine Schultern nach draußen. Gehe ihr hinterher.
Drinnen steht sie an der Bar, schenkt sich einen Gin Tonic ein. Langsam ziehe ich die Tür hinter mir zu, bleibe am Eingang stehen. Wie es sich für einen guten Kettenhund gehört.
Als müsste ich schnell raus.
‚Und jetzt?’ will ich wissen. Verfluche innerlich, dass meine Stimme merkwürdig rau klingt. Sie lächelt. Nimmt einen Schluck, betrachtet mich.
Ich kenne diesen Blick, benutze ihn oft genug. Evaluierung. Passe ich in ihr Beute-Schema?
Vermutlich – muss mich bloß unterordnen. Ein klein wenig, tut gar nicht weh. Piekst nur ein bisschen.

‚Komm mit mir nach Belfast. Schau nach, ob du eine Spur für dein Problem findest. Morgen.’
Ich betrachte sie eine ganze Weile, wie sie da steht, und denke darüber nach, wie sehr ich sie will. Und verfluche diese ganze Kiste.
Ich habe Collie von Anfang an gesagt, dass das nicht gut geht. Auf mich hört ja keiner.
Ich schüttele den Kopf. Mit einem Lächeln - gehe ebenfalls an die Bar, um mir einen Scotch zu holen.
Komme dicht an ihr vorbei, kann sie riechen, fast schmecken. Müsste die Hand ausstrecken, um sie mir zu nehmen. Wir berühren uns nicht.
Als ich den Drink in der Hand habe, verspüre ich festeren Boden unter den Füßen. Ziehe mich zum Fenster zurück, lehne an der Scheibe.
Molly geht langsam rüber zur Couchecke, setzt sich in einen der Sessel, nicht auf die Couch. Macht mir klar, dass sie nicht erwartet, ich würde nachkommen.
Gut.
‚Hast du einen Namen?’ fragt sie.
Ich nicke. Klar.
Als ich weiter nichts erwidere, seufzt sie. ‚Okay, gib mir alles, was du hast, und ich schaue, was ich tun kann. Ich kenne ein paar Leute, die dir möglicherweise weiterhelfen können. Wie ist das?’
Verlockend ist das. Ich denke denselben Gedanken, den ich bei Stout gedacht habe. Kann ich ihr vertrauen, und wenn, wie sehr? Brauche ich sie, brauche ich überhaupt jemanden? Vielleicht würde sie alles viel einfacher machen. Ist mehr zu Hause, in den echten Schatten. Keine Zwielicht-Pflanze, wie ich das bin.
Ich kann nicht einfach ‚ja’ sagen.
Bei der Army wollten sie mich zu den Kampfschwimmern schicken, und haben das dann bleiben lassen. Da brauchen sie Teamspieler, keine Einzelkämpfer, haben sie gemeint. Wollten mich vom ‚Lone Wolf’-Syndrom kurieren - ich fürchte, sie haben versagt.
Wir schauen uns gegenseitig an, ordnen uns gleich auf mehreren Ebenen ein. Der Killer und sein Passmann. Die Irin und der Exilant. Die Lady und der Stecher.
Ich spüre, dass ich ihr einen Gefallen tun würde, wenn ich sie ließe.
Dass sie jemanden kennt, ist klar. Arbeitet als Auftragskiller, als Mörder. Die kennt Leute, die mein soziales Umfeld wie einen Ponyhof aussehen lassen. Kerle wie die Klebe, wie der Drecksack Dougherty oder kleine Lichter wie ich – das ist Kindergarten für sie.
Entschlossen stürze ich den Rest vom Scotch runter und nicke. Gebe ihr ein paar Details. Nicht alles, aber genug. Setze sie darauf an, lasse sie Witterung aufnehmen. Sie wird mein Spürhund, führt mich zur Beute.
Scharfsinnig genug ist sie, und ich nehme an, sie ist nicht der Typ, der schnell locker lässt.
Zufrieden, dass ich eine Entscheidung getroffen habe, lächelt sie. Erhebt sich dann ebenfalls. Macht ein paar Schritte auf die Tür zu ihrem Zimmer zu, dreht sich um. Wartet.
‚Mein Flieger geht erst um Sechs’, sagt sie dann, als würde das irgendwas erklären. Fordernd mich auf, mit entschlossenem Blick. Mich zu wehren.
Von vorne oder von hinten, soll ich fragen, hat Collie gesagt. Ich will nicht. Nicht richtig.
Bevor ich ihr ins Schlafzimmer folge, hole ich mir einen weiteren Scotch und trinke den ebenfalls in gierigen Schlucken.
Das hier wird kein verficktes Happy-End, das habe ich in den Knochen.
Dann gehe ich ihr nach.

Draußen vor dem Flughafen sehe ich einen Flieger aufsteigen. Keine Ahnung, ob das ihrer ist. Könnte sein. Zu lange stehe ich hier auf dem Parkplatz. Schaffe es nicht, den Seat wieder in Bewegung zu setzen.
Denke, grübele.
Sie hat kein weiteres Mal gefragt, aber ich habe die stumme Frage gespürt. Ob ich nicht mitkommen will. Meine Angelegenheit da oben selber klären. Vielleicht hätte ich das tun sollen. Unabhängig von ihr.
Dinge in die Hand nehmen, mich nicht mehr wie ein verschissener Bauer im Spiel von jemand anderem fühlen.
Ich hämmere beide Handflächen auf das Lenkrad. Bestrafe das Auto statt mich selbst.
Stout hatte angerufen, vor ein paar Stunden. Wollte wissen, wie es weitergeht, ob ich ihn noch brauche, ihn und Toffer. Ich habe mit ihm telefoniert, nackt in der Suite stehend, während sie vorbeikam und mir kurz über den Hintern strich.
Wir hatten uns beide erst angezogen, als wir mussten. Als die Zeit knapp wurde.
Der Sex hatte nicht lange gedauert - Sport-Ficken, hatte meine Ex das genannt.
Sollte mir recht sein, ich war eh nicht in Stimmung für Kerzenschein und rote Seide. Die Stimmung schien danach entspannter zu ein. Hätten wir gleich machen soll, sagte sie lachend, als sie aufstand, um zu Duschen.
Nächstes Mal, fügte sie dann noch hinzu, bevor die Tür zuklappte.
Das Gespräch mit Stout hatte ich kurz gehalten, ihn abgewürgt. Weil ich keine Antwort wusste. Keine Ahnung habe, wie ich jetzt weitermachen soll. Wem ich als nächstes auf die Fresse hauen konnte, um meine Frustration los zu werden.
Weil ich immer noch nicht wusste, wer die Fäden in der Hand hielt. Wofür, zum Teufel.


Anmerkung von Mutter:

So, der Vorhang fällt, das Licht geht an. Pause.

Geht Euch Popcorn, Eiskonfekt oder Softdrinks holen. Oder knutscht 'ne Weile rum.

Aber laßt Euch nicht zu viel Zeit - irgendwann geht's weiter ...

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Kommentare zu diesem Text

Leyla (29)
(23.04.09)
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 Mutter meinte dazu am 23.04.09:
Ach, die sehen sich sicher noch mal wieder, im Leben. Und der zweite Sex ist meist besser als der erste ... ;)

Stümmt - diss 'e' iss zuviel. Fünftes Rad am Wagen, quasi ...

Danke Dir.
Leyla (29) antwortete darauf am 23.04.09:
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Elvarryn (36) schrieb daraufhin am 23.04.09:
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Leyla (29) äußerte darauf am 23.04.09:
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Elvarryn (36) ergänzte dazu am 23.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 23.04.09:
Pffff ... der braucht da gar keine Zeit für - macht der nämlich gleichzeitig, während des Schlägerns.
So einer iss diss ...
Leyla (29) meinte dazu am 23.04.09:
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Elvarryn (36) meinte dazu am 23.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 23.04.09:
Ich glaube, Data-LAB hatte mal einen Text, wo sein Protagonist das geschafft hat ... O.o

Iss aber wieder gelöscht, glaube ich.

*sichversicherngeht*
Leyla (29) meinte dazu am 23.04.09:
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 Mutter meinte dazu am 23.04.09:
Ach ja, hier:  Nothin' for the faint of heart - click me if you dare!

Naja, nich ganz - aber: 'two out of three ain't half bad', sacht Tante Gerda immer. Oder ähnlich. :D
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