Aufstieg

Roman zum Thema Kälte

von  Mutter

An einem der Abende setzte sich Savena mit ihrer Schüssel heißer Suppe zu Turan und betrachtete ihn einen Moment. Als er aufsah und sie anlächelte, sagte sie unvermittelt in seiner Sprache: ‚Ihr wusstet von dem Kontrakt, oder?‘
Er schien nicht im Mindesten überrascht, dass sie Märkisch sprach.
Turan antwortete nicht sofort, sondern schien die Möglichkeiten sorgfältig abzuwägen. Endlich nickte er und sah sie dabei aufmerksam an. Savena lächelte und fuhr fort: ‚Meine Mutter fand Eure Darstellung nicht besonders überzeugend, aber mich habt Ihr getäuscht.‘
Turan zuckte mit den Schultern und lächelte ebenfalls. ‚Eure Mutter ist offensichtlich klüger als Ihr oder ich. Aber ich freue mich, dass sie Euch nicht von der Reise abgehalten hat.‘
‚Oh nein, Mutter war diejenige, die sagte, man könne Euch vertrauen.‘
Bei diesen Worten sah Turan sie wieder prüfend an. Fast so, als sei er auf der Suche nach Hohn oder Spott in ihren Worten, aber Savena hatte es ernst gemeint. Offenbar beruhigt, wandte er sich wieder seiner Suppe zu.
‚Wo werdet Ihr hingehen, wenn Ihr über den Rücken seid?‘ fragte er nach einer Weile.
‚Nach Purassur. Ich will zu meinem Onkel.‘
‚Ihr solltet in Eiken keine Schwierigkeiten haben, ein Schiff den Fluss hinunter nach Purassur zu bekommen. Auf dem Amenoh gibt es keine Blockaden.‘
‚Wieso wolltet Ihr, dass ich mit Euch reise?‘
Diesmal schien Turan von ihrer Frage überrascht, und sah auf seine Suppe, bevor er zögernd antwortete: ‚Zwei Leute bedeuten zwanzig Münzen mehr, und kaum zusätzliche Arbeit. Also habe ich Euch etwas vorgespielt.‘ Er zuckte mit den Schultern, als sei mit diesem reuigen Eingeständnis ihre Frage ausreichend beantwortet.
Savena legte den Kopf leicht schief und lächelte hart. Turan schien zu verstehen, was sie dachte, denn er lächelte nicht zurück.
Sie glaubte ihm nicht. Seine lahme Erklärung über das Geld hatte nichts mit seinen wirklichen Beweggründen zu tun. Wenn er tatsächlich besondere Motive besaß, sie mit auf diese Reise zu nehmen, tat sie gut daran, herauszufinden, welche das waren.
Die junge Magierin stand auf und verabschiedete sich kühl. Als sie zu Bragos ging, konnte sie Turans Blick noch auf sich spüren, aber als sie sich umdrehte, saß er bereits wieder tief über seine Schale gebeugt.

Sie befanden sich inzwischen in den Bergen und der weiche, schlängelnde Weg war einem steilen, harten Pfad gewichen, auf dem sie nur noch hintereinander gehen konnten. Der weite Ausblick war ihnen längst durch tief hängenden Dunst versperrt und Savena bekam das Gefühl, die ihr bekannte Welt komplett hinter sich gelassen zu haben.
Als die ersten Schneeflocken vom Wolken verhangenen Himmel herabrieselten, blieb Savena einen Augenblick stehen, so verwundert war sie. Obwohl die Kälte ihr ständiger Begleiter geworden war, sie keinen schmerzenden Atemzug ohne sie tun konnte, hatte sie völlig vergessen, dass sie geradewegs auf dem Weg in den Winter waren. Auf dem Weg in den Schnee.
Sie lächelte, als die kleinen Flocken scheinbar widerstrebend zu Boden sanken.
Es dauerte nicht lange und es hörte auf zu schneien, aber Turan versprach ihnen bald mehr davon. Durch die dichte Wolkendecke waren die Temperaturen etwas gestiegen und Savena fühlte, wie sich ihre Stimmung wieder etwas aufbesserte.
Wenig später war ihre gute Laune allerdings wieder verflogen: Sie hatten einen geschützten Einschnitt in der Bergflanke verlassen und bewegten sich jetzt auf einem Kamm parallel zum Großen Rücken. Ein scharfer Wind, der ihnen Schnee und kleine Hagelkörner ins Gesicht blies, machte das Atmen schwer. Die ganze Gruppe bewegte sich langsam und wie trunken in den Wind gelehnt vorwärts.
Nach einer Weile sammelte Turan sie alle an einer Biegung des kleinen Pfades, wo sie einigermaßen geschützt waren.
‚Das wird nur noch schlimmer. Ab jetzt müsst Ihr auf jeden Schritt achten, um nicht hinunter geblasen zu werden. Bis wir übers Fellhorn sind.‘
Keiner der anderen sagte etwas, aber mehrere nickten stumm.
‚Ich hoffe, dass es noch einmal abflaut, und wir zügig über den Pass rutschen können, aber wenn nicht, müssen wir uns jeden Schritt nach oben erkämpfen.‘
Wieder nickten einige, und kurz darauf brachen sie erneut auf.
Es wurde früh dunkel und so suchte Turan beizeiten einen Platz, der sie einigermaßen vor dem unnachgiebigen Wind schützen würde. Sie hatten tagsüber einiges an Strauchwerk und einzelnen Ästen eingesammelt, so dass sie wenigstens Feuer machen konnten, um eine Suppe zu kochen. Aber kurz nachdem sie gegessen hatten, ging ihnen der Brennstoff aus. Verfroren rollten sie sich in ihre Decken und versuchten, zu schlafen.
Savena sah mit einem letzten Blick auf das graue Gesicht des Vaters, der vergeblich versuchte, mit seinem Körper seinen zitternden Sohn abzudecken.
Sie hatte in den vergangenen Nächten immer wieder versucht, näher an Bragos zu schlafen, damit sie sich gegenseitig wärmen konnten. Immer wieder war er von ihr abgerückt. Inzwischen hatte sie sein Bedürfnis nach Anstand erfolgreich überwunden. Sie wünschte sich einen weiteren Körper neben sich auf der anderen Seite, konnte sich dazu aber keinen der anderen vorstellen.
Plötzlich dachte sie an Ingiano, und an die Wärme, die er verströmte, und auf einmal schien der Gedanke an ihn nicht mehr so schrecklich zu sein. Aber bevor die Bilder von goldener Wärme sich festsetzen konnten, sah sie wieder die Dunkelheit, die durch den Jungen gefahren war, vor sich. Sah den eingefallenen Brustkorb, und Bragos ausdrucksloses Gesicht.
Er hatte am Tag danach erklärt, dass sie offenbar sehr wohl in der Lage war, sich zu beschützen. Sie wusste, dass er es anders gemeint hatte, aber für sie hatte es wie beißender Spott geklungen, und sie hatte sich erneut furchtbar gefühlt.
Es dauerte lange, aber endlich schlief sie ein.
Mehrmals in der Nacht wurde sie wach, und jedes Mal dauerte es länger, bis sie einschlief, aber am Morgen schien die Kälte etwas gemindert zu sein.
Als sie sich verwundert aufsetzte, bemerkte sie, dass sie zum Teil unter einer Schneeschicht begraben war. Es hatte dicke Flocken geschneit in der Nacht, und es fiel noch weiterer Schnee. Nach und nach regten sich auch die anderen, und hastig wurde das Frühstück eingenommen, bevor sie sich wieder auf den Weg machten. Der Vater hatte sichtlich Mühe, wieder auf die Beine zu kommen und nur ermuntert durch seinen Sohn schaffte er es, seinen Rucksack zu schultern und den anderen zu folgen.

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Kommentare zu diesem Text

Elvarryn (36)
(22.05.09)
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 Mutter meinte dazu am 22.05.09:
Von oben kann man auch weiter sehen ... ;)

Danke.
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