Krieg der Engel

Kurzprosa zum Thema Gegenwart

von  RainerMScholz

Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Grüngelber Eiterschleim verschliert auf impertinente Weise meine verrunzelte Syphilisseele; draußen vor dem trüben arierblauen Glasaugenfenster schwimmen Silberfischchen in weit aufgerissen gähnenden Plastikgaumenmundhöhlen alter Grau-in-Grau-Männer. Blut kotzen meine Lungenflügel röchelnd und der pure Alkohol fließt mir aus der Nase. Das Licht ist gelb und todblau und es schneit unablässig tote Asche aus einem gestorbenen wächsernen leeren Himmel.
Chris guckt zweifelnd in das eichenschmauszimmer, rülpst einen stinkenden, halbverdauten Hering auf den wimmelnden, madigen, schreienden Kinderfickerteppich und wendet sich angewidert ab, schließt die lautschluckende Polstertür, tritt ins freie Blau und ist in der Hölle der tausend gierig saugenden Mösen verschwunden.
Die Ritter der schimmernden Rüstung Mit-den-blutigen-Kreuzen exekutieren die Verstümmelten, Verwundeten, Schreienden, Wimmernden; die, die vom Metallschwarz auf das granitene Fleisch ejakuliert wurden, schlachten die Überlebenden der letzten grausamen großen Schlacht der Verzweiflung mit barmherzigen Genickschüssen. Der tausendjährige Krieg wird im Zeitgefüge nicht geheilt werden, kann nicht ungeschehen gelogen werden durch Abermillionen Söhne und Töchter nachgeborener Generationen; die Hunde brüllen in den einsamen Vergiß-mich-Wäldern auf eiserne Piken gespießt kopfüber. Wer weiß das?
Gott war blind und besoffen in einer Hafenkaschemme am Toten Meer und lallte gestorbene Welten vor sich hin. Da wandten sich seine Engel ab, Gabriel zuerst, und flohen in das Schwarz des Alls.
Luzifer wusste es vor dem siebten Tag und zog die Einsamkeit der Schmach und Unterdrückung vor. Lieber ein Gott, als durch den Ofen. Besser die Totgeburt, als die Emanation des grauenhaften Sehens, des algebraischen Vergessens und Vertuns all dessen. All das Vergessen um des Überlebens willen: wie schrecklich. Das Himmelreich den Blinden, Tauben, an Seele und Gewissen Geläuterten!
In meinem Körper verrottet die Liebe, länger das Licht zu finden, das aus einer arktischen Korona eruptiert. Die Gefallenen sind tot, verreckten ähnlich dem erbärmlichen Siechen eines von Würmern zerfressenen Gottessohnes, und manchesmal schlimmer, und manchmal durch Schlote, viele, sehr viele. Und das ist die Geschichte. Und das ist alles, was zu berichten bleiben wird. Die Engelsgeschöpfe des Heilsversprechungen mörderisch lügenden Azurhimmels sind die wimmelnden Fliegen auf einem faulenden Aas, das wirr wahnsinnig um sich blickt, machtgeilheischend extrapolierte Erklärungsversuche von sich gibt, sinnlose Berichte verfasst, ungültige Ablässe für die Hölle ausstellt, schließlich unendliche Zahlenketten auf zertrümmerten Unterarmen addiert und so einer grotesken Vergebung harrt, die nie möglich war, nicht sein konnte angesichts der Monstrosität, die das Unendliche endlich machte.
Das ist einen Wodka wert, der die geschlitzte Kehle eines Überlebenden hinabfließt, das Gebet eines Trinkers in der Kälte einer Polarnacht mitten in Berlin.    


© Rainer M. Scholz

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