Peace Lines

Erzählung zum Thema Vergangenheit

von  Mutter

Wir gehen hinten raus, in eine von den typischen angelsächsischen Gassen. Es herrscht immer gleiche Symmetrie: Haus - Garten - Gasse - Garten - Haus.
Hinten findet man verwitterten Holztüren und Mauern, in denen oben Glasscherben einbetoniert sind. Vorne die zu oft über-gestrichenen Metallzäune und sauber gestutzten Hecken.
Passend zu den Menschen: Freundlich, zuvorkommend – aber einen echten Zugang bekommt man selten.
Nach ein paar Schritten öffnet Dale Drummond eine von den Türen und wir schlüpfen durch die schmale Pforte in den Garten. Winziger Geräteschuppen und eine schlaffe Wäscheleine bilden die Kulisse. Neben ein paar Blumentöpfen liegt ein Fußball - wenn das Dannys ist, verrottet der seit Jahren dort.
Drummond schließt die Hintertür auf und lässt mich in seine Küche.
‚Single Malt?’
‚Tee’, sage ich und mache eine Kopfbewegung in Richtung Wasserkocher. Er nickt.
Ich ziehe mir einen der weiß-gestrichenen Küchenstühle ran, drehe ihn um und setze mich. Die Unterarme auf die Lehne gestützt.
Während er Wasser aufsetzt und den Pott fertigmacht, betrachte ich ihn. Er ist alt geworden. Wir sind alle nicht mehr die Jüngsten. Hüpfer wie Danny profitieren von den Jahren – werden besser, stärker, härter. Der Rest von uns wird grauer, fetter, langsamer.
Drummond ist vor allem grau geworden.
‚Einen für die Kanne’, sage ich, als er zwei Beutel vorbereitet. Unsicher schaut er sich um, sagt: ‚Oh, richtig.’
Packt noch einen dritten von den runden Barrys-Beuteln in die Teekanne aus Porzellan.
‚Was hast du getrieben, all die Jahre?’ will er wissen und kommt zu mir an den Tisch.
Versucht, mich einzuschätzen - während wir dem Knacken des Wasserkochers lauschen, Zeit überbrücken.
Ich zucke mit den Schultern. ‚Dies und das.’
Die ehrliche Antwort wäre gewesen: Knochen gebrochen, Geld eingetrieben und generell für viel Geld ein ziemliches Arschloch gewesen. Ich bin nicht sicher, ob er das hören will.
Er sieht nicht hoch, als er fortfährt. ‚Die Zeiten haben sich geändert, Corker. Die Mauern sind durchlässig geworden. Es gibt zu viel Grau.’
Ich nicke, kann noch folgen. Ahne, dass das die Einleitung ist. Das hors d’oeuvre für was genau?
‚Sie schlagen dir nicht mehr den Schädel ein, wenn du im falschen Pub im falschen Viertel mit dem falschen Akzent ein Bier bestellst, verstehst du?’
Der Wasserkocher klickt. Er geht, um den Tee aufzugießen. Über die Schulter spricht er weiter: ‚Nach außen hin sind die Troubles vorbei. Es ist friedlich geworden – an der Oberfläche. Darunter brodelt es noch genauso wie früher.’
Er kommt mit der Teekanne zurück. ‚Schlimmer, vielleicht.’
Sieht mich lange direkt an. Als würde er mich hypnotisieren wollen. Ich nicke.
‚Ich meine, nur weil endlich Frieden ist, hören die Scheißkerle nicht auf, Scheißkerle zu sein. Du weißt wahrscheinlich am Besten, was ich meine.’
Er lacht nervös. Ich reagiere nicht auf die Spitze. Stehe ich drüber - ich habe keine Illusionen, was die Frage betrifft, ob ich ein Scheißkerl bin.
‚Bist du noch aktiv?’ frage ich.
Drummond hat früher als hub gearbeitet, als Informations-Dealer. Beide Seiten hatten ihn benutzt, mit ihm Geschäfte gemacht. Ihn dafür in Ruhe gelassen. Meistens war er schlau genug gewesen, sich nicht so weit aus dem Fenster zu lehne, dass er Gefahr lief, herauszufallen. Bis auf ein einziges Mal. Aber außer dem guten alten Corker wusste niemand davon. Ahnte niemand, dass Drummond für einen Riesen-Haufen Scheiße verantwortlich war. Und Dale hatte keine Ahnung, dass ich darüber Bescheid wusste.
Ein Schulterzucken. Soll heißen: Noch im Geschäft, ein bisschen Kohle lässt sich machen. Eigentlich interessiert die Braune Ziege niemanden mehr.
Wir warten ein paar Minuten - als bräuchten wir den Tee, um uns weiter zu unterhalten.

Sorgfältig gießt er die goldbraune Flüssigkeit ein und lehnt sich nach vorne. ‚Warum bist du hier, Corker? Was willst du?’ fragt er eindringlich.
Wird langsam ungeduldig. Seine Augen haben sich zu Schlitzen verengt - als könne er mich zu einer Antwort zwingen.
Ich nehme einen kleinen Schluck von dem zu heißen Tee, vorsichtig, um mir nicht die Lippen zu verbrennen.
Endlich erwidere ich: ‚Antworten, Dale. Antworten auf verfickte Fragen, die mir nachts den verfickten Schlaf rauben.’
Meine Stimme ist schärfer geworden. Als ich mich nach vorne lehne und ihn fixiere, weicht er unwillkürlich zurück. Er ist eine Kobra – aber ich bin sein Mungo!
Entspannter fahre ich fort: ‚Irgendwer pisst mir ins Bier, Dale. Ich will wissen, nach wem es schmeckt.’
Mit einem Kopfschütteln sehe ich zum Fenster, in den tristen Garten, und fahre mir mit den Fingern durch die kurzen Haare. Ich habe keinen Bock mehr auf die Scheiße. Habe keine Lust mehr, mich mit Geistern herumzuschlagen. Ihren Spuren nach Hamburg oder Belfast zu folgen.
Ich will meine Ruhe. Aber die kriege ich nicht. Jedenfalls nicht geschenkt. Die muss ich mir erarbeiten.
Mit einem Ruck drehe ich den Kopf zu ihm zurück. Er zuckt zusammen. Sieht erschrocken aus, als ich mir in die Jackentasche greife.
Mit einem beruhigenden Kopfschütteln schiebe ich ihm einen Zettel rüber, auf dem zwei Namen stehen. Wortlos nimmt er ihn und schaut drauf.
Er sieht zu mir hoch, schüttelt den Kopf. Fragt: ‚Soll ich was für dich rausfinden? Mich umhören?’
Ich überlege kurz, ob ich sein Angebot annehmen soll. Verneine. Er wird ohnehin Fragen stellen, die Ohren offenhalten. Dass ich hier bin, irritiert ihn. Wäre mich lieber los - ich nehme an, das gilt auch für andere.
Dale wird mich finden, wenn er was weiß. Bis dahin markiere ich lieber den starken Mann. Den Einzelgänger. Hier Schwäche zu zeigen – das kann ich nicht gebrauchen. Nicht jetzt.
‚Kannst du mir eine Waffe besorgen?’ will ich wissen.
Er nickt ohne zu zögern. Klar kann er. ‚Was brauchst du? Wie groß’
Ich antworte nicht, habe keine Ahnung. Ist zu lange her, dass ich mir um so was einen Kopf gemacht habe.
‚9 Millis? Browning? Oder eine Glock?’ schlägt er vor.
Wahrscheinlich wäre das clever. Gibt es zuhauf, sind schwer zu verfolgen - No-Names halt. Aber das ist mir zu sehr Mainstream. Ich will was anderes. Muss an den Rohbau im Wedding denken, an das Zerren des Windes da oben.
‚Kannst du mir eine Desert Eagle besorgen?’
Er zieht die Augenbrauen hoch. Wahrscheinlich entspricht das nicht gerade seiner Vorstellung von unkompliziert. Von simpel.
Er nickt. Geht – alles eine Frage des Preises, schätze ich.
Ich gebe ihm den Rest. ‚Zehn Zoll, Dale. Nicht sechs - okay?’
Diesmal sieht er erschrocken aus. Die Eagle ist mit dem Zehn-Zoll-Lauf ein echtes Monster. Lässt sich ungefähr so gut verstecken wie ein britischer Challenger-Panzer in einem Nachtclub.
Scheiße, ich will das Ding nicht schmuggeln, ich will beeindrucken. Wenn ich jemandem die Knarre an die Rübe halte, will ich, dass der genauso guckt wie Dale gerade.
Noch ein Nicken. Gedanklich addiert er bereits die Kröten zusammen. ‚Wie viel Munition?’
Kurzes Nachdenken.
Ich antworte: ‚Besorg mir ´ne Box. Das müsste reichen. Will keinen Krieg anfangen.’
Er sieht nicht aus, als ob er mir glaubt.
Wir tauschen noch kurz die Handynummern aus. Ich verabschiede mich - lasse ihn und den kalt gewordenen Tee in seiner Reihenhaushälfte zurück.


Anmerkung von Mutter:

*edit: So, nach dem Arztbesuch mal ein bisschen was geändert - iss aber vorerst nur Makulatur. Nötig wäre eher ein Wechsel des Lebenswandels ... :)
Immerhin.

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Kommentare zu diesem Text

AnnaKarenina (31)
(18.06.09)
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 Mutter meinte dazu am 18.06.09:
Zu den Fehlern und den Kommata: Ich habe ja auch ein rigoroses Training hinter mir. Großes Dankeschön an meine Ausbilderin ... :D

Und auch sonst: Danke. :)
Vokalanästhesie (44)
(18.06.09)
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 Mutter antwortete darauf am 18.06.09:
Stiche gibt's nicht ... :)

Und Hinweise nehme ich gerne und extrem dankbar an - weiß, wie viel Arbeit das konstruktive Kommentieren kostet, und weiß, wie viel mir Eure Hinweise bringen ...
Ohne das Kitten, den E., die AK 47, Leyla, jetzt Dich und andere wäre der Corker auch noch ganz woanders. ;)

Danke schön. Iss gesaved und wird zusammen mit dem Patienten in den OP gerollt ... :)

 RainerMScholz (03.11.09)
Mal wieder im Waffenkatalog geblättert, hm? Vielleicht sollte man auch noch ein Paar Worte zu den Troubles einfügen, wenn das nicht zu weit führt.
Grüße,
R.

 Mutter schrieb daraufhin am 04.11.09:
Ich glaube, der Corker stapelt die auf'm Klo ...

Gun-Porn.
Hmmm, erinnert mich an 'Jackie Brown' ... :D

*edit: Ja, Troubles - das Thema taucht natürlich in der ganzen Nord-Irland-Sektion immer wieder auf, bin halt vorsichtig, weil ich's auch nicht übertreiben will. Wahrscheinlich muss ich am Ende einfach noch mal schauen, welche Infos wo und wie dicht gestreut sind.
Und ob's reicht. Oder zuviel ist.
(Antwort korrigiert am 04.11.2009)
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