Portfolio

Erzählung zum Thema Abhängigkeit

von  Mutter

Nichts davon passiert. Ich spüre seinen Atem an meinem rechten Ohr – der Pitbull hält sich zurück. Ist noch nicht von der Kette gelassen.
‚Wollen wir nicht in mein Büro gehen? Um die Angelegenheit zu besprechen?’ fragt eine Stimme mit slawischem Akzent von hinten.
Langsam nicke ich und drehe mich um – wie in Zeitlupe. Will dem Agent keinen Grund geben, mich zu zerfleischen.
Offensichtlich hat die Löwenmähne mich angesprochen. Er steht mit ausgebreiteten Armen da, zeigt auf eine Tür nach hinten raus. Vorsichtig gehe ich um meinen neuen Freund herum, betrachte mich ein letztes Mal in der Brille. Scheiße, sehe ich gut aus. Er bekommt ein Lächeln für seine Mühe.
‚Arme hoch’, ringt er sich ab. Ich hebe die Arme, er tastet mich ab. Findet nichts – die Desert Eagle habe ich im Spülkasten auf dem Flur-Klo in der Pension deponiert.
Agent Smith nickt.
Der Graubart im Rollkragen geht voran, öffnet die Tür. Wartet nicht auf mich. Die Silbermähne breitet noch mal die Hände aus, mit einem Schulterzucken gehe ich durch die schmale Tür. Eine enge Treppe nach oben, über einen Flur. Wir betreten ein Büro – spartanisch eingerichtet, erinnert es an den Arbeitsplatz eines Baustellenleiters.
Linoleumboden, billiger Schreibtisch aus Pressholz, Stapel von Papieren und vier Kantinenstühle.
Der Graubart lässt die Tür für uns offen, stellt sich neben den Schreibtisch an eins der milchig verschmutzten Fenster.
Ich folge ihm und lehne mich an die Wand links, die Arme vor dem Oberkörper verschränkt. Der Silberschopf kommt hinter mir rein und schließt zu meiner Überraschung die Tür. Bevor einer der beiden Soldaten uns folgen kann.
Er geht zum Schreibtisch, räumt einen Stapel Papier zur Seite und setzt sich. Faltet seine Hände und mustert mich. Lange, ohne ein Wort.
Macht eine Handbewegung, diesmal in Richtung der Stühle, die zu meiner Linken stehen.
Reflexartig will ich den Kopf schütteln – ich stehe lieber. Denke dann an das letzte Mal, als ich in einem Büro den Sitzplatz verweigert hatte. Da hatten sie mich erst mit Benzin übergossen und hinterher halb tot geprügelt.
Ich ziehe mir einen der Stühle heran und setze mich.
Die Silbermähne lächelt. ‚Mister Corker. Wie schön, dass Sie kommen konnten.’
‚Die Freude ist ganz meinerseits.’
Richtig. Ich bin fuckin’ ecstatic, um exakt zu sein. Aus dem Häuschen.
‚Wo ist Izzy?’ will ich wissen.
Die Silbermähne zieht die buschigen, schimmernden Augenbrauen nach oben und sieht seine rechte Hand, den Graubart, an.
Der räuspert sich. ‚Mister Lomax ist auf dem Weg. Machen Sie sich keine Sorgen.’
Ich lächle. Sorgen machen gehört nicht zu meinem Portfolio - wissen die Jungs noch nicht.
‚Wissen Sie, wer ich bin?’ fragt die Silberlocke unvermittelt.
Aufmerksam mustere ich ihn einen Moment, schaue, ob bei mir irgendwelche Glocken klingeln. Schüttele den Kopf.
‚Haben Sie in Ihrer Zeit hier oben jemals von Metriç gehört, Mister Corker?’
Holy fuckin’ shit, schießt es mir durch den Kopf. Metriç – the metric tonne, wie ihn die Jungs nannten.
Ich schiebe die Unterlippe nach vorne, mache einen ablehnenden Fischmund und schüttele ein weiteres Mal bedauernd den Kopf. ‚Tut mir Leid – nie gehört. War schon eine ganze Weile nicht mehr hier.’
Metriç lächelt milde. ‚So lange können Sie nicht weg gewesen sein, dass Sie mir nie begegnet wären. Wie dem auch sei …’ Er spreizt die Finger ab als sei dieser Punkt unerheblich, ‚Jedenfalls habe ich von Ihnen gehört. Jede Menge.’
Ich  nicke, spare mir die clevere Entgegnung, die mir auf der Zunge liegt.
‚Meine Jungs haben von Ihren Bemühungen um die Bento-Brüder gehört. Hierin liegt das Problem: Unsere Interessen überschneiden sich.’
‚Ich bin ganz Ohr.’
Er nickt. ‚Soweit wir wissen, wollen Sie Informationen von den Brüdern. Wenn Sie haben, was Sie wollen, sind die beiden für sie nutzlos. Richtig?’
Ich lege den Kopf schief – Zustimmung oder nicht, kann er sich aussuchen.
‚Ich gehe davon aus, dass die beiden Brüder in keinem guten Zustand sein werden, wenn Sie mit ihnen durch sind, Mister Corker. Wie gesagt, ich habe einiges über Sie gehört.’
Selbe Kopfhaltung. Rede weiter, alter Mann.
‚Der Konflikt liegt darin, dass die beiden mir eine Menge Geld schulden. Geld, das sie mir nicht bezahlen können, wenn sie von Ihnen in der Irischen See versenkt wurden.’
‚Atlantik’, korrigiere ich ihn tonlos.
Er nickt. ‚Atlantik. Sicher.’ Er fährt fort, mit gespreizten Fingern wie ein Mormonen-Prediger, der gewissenhaft die Vorteile der Bigamie erläutert: ‚Ich verliere nicht gerne Geld. Nicht an die Bento-Brüder. Verständlich, oder?’
Diesmal bekommt er ein Nicken. Eine vernünftige Position.
‚Damit stehe ich vor der Wahl: Ich hindere Sie daran, die beiden Brüder aus dem Verkehr zu ziehen, um mein Geld zu schützen.’
‚Oder?’ Ich tue ihm den Gefallen zu antworten.
‚Die andere Möglichkeit ist eine Kooperation – ein joint venture, wie man wohl sagen würde.’
‚Wie sähe diese Zusammenarbeit aus?’
‚Sie bekommen von uns jede Hilfe, die Sie brauchen, um die Jungs aufzutreiben. Extrahieren, sagen wir mal, die Informationen, die Sie brauchen. Übergeben die beiden an uns – in einem Zustand, der es mir erlaubt, an mein Geld zu kommen.’
‚Was passiert, wenn die Gesundheit der beiden weniger als zufriedenstellend ist? Für Sie?’
Als Antwort bekomme ich ein Lächeln und weit geöffnete Arme. Er begrüßt mich und meine jugendliche Tollheit mit unendlicher Güte. Richtig, wise-ass.
‚Sie sind Profi, Corker. Ich bin mir sicher, Sie kommen an alle Informationen dieser Welt, ohne meine Ware stark zu beschädigen.’
Ich nicke. Er hat meinen Lebenslauf gelesen.
‚Was habe ich davon?’ will ich wissen.
‚Wie gesagt – wir liefern Ihnen alle Informationen, die Ihnen noch fehlen. Viel wird das nicht sein.’ Die Silbermähne lächelt gönnerhaft, ich bilde mir ein Zwinkern ein. Will er einen Deal machen oder mir einen blasen? Herrgott …
Er fährt fort: ‚Zusätzlich biete ich Ihnen einen Finderlohn von zweitausend Pfund.’
‚Dreitausend Euro. Der Kurs ist beschissen’, antworte ich ohne zu zögern. Muss ich nicht drüber nachdenken – der Deal ist gut. Verbessert meine Position. Selbst wenn ich mich dafür mit Metriç einlassen muss. Dem irren Albaner, wie sie ihn im Süden nannten. Was er von mir will, gehört zu meinem Portfolio, kein Problem.
Ich mache mein Ding, kassiere die Kohle, überlasse ihm die beiden Penner, damit er ihnen das Fell über die Ohren ziehen kann - alles ist gut. Bingo, no sweat.
‚Dann sind wir uns einig?’
Ich bestätige mit einem Nicken.
Zeitgleich stehen wir auf, er kommt um den Tisch herum und bietet mir seine Hand an. Kräftig und trocken, versucht nicht, mir wehzutun. Guter Handschlag, um einen Deal zu besiegeln.
‚Mister Bardha wird Sie nach unten begleiten. Wir bleiben über Lomax in Kontakt und melden uns bei Ihnen.’
Der Graubart bringt mich die Treppe runter in das Wettbüro. Dort wartet bereits der kleine Izzy.
‚Hey Corker – alles klar?’
‚Sicher.’
‚Siehst Du, ich hab’s dir gesagt – nur ein Gespräch.’
‚Richtig.’
Izzy will noch was sagen. Die erhobene Hand des Graubarts bringt ihn zum Schweigen.
Mein Blick fällt auf einen weiteren Neuankömmling. Jung, geleckt, starrt mich überheblich an. Aggressiv. Im Knast würde ich ihm mit dem Blick keine halbe Stunde geben. Schätze, er gehört zu Metriç – der Penner benimmt sich, als hätte er in seinem Leben noch keine Angst gehabt. Ich lecke mir provokativ mit der Zunge über die Zähne, als ich an ihm vorbeigehe. Willst du mein Stück Seife sein, du Pisser? Er verzieht wütend das Gesicht. Ein Blick auf den Graubart stoppt weitere Aggressionen.
‚Sie hören von uns’, sagt Metriçs rechte Hand, als er mir die Tür nach draußen aufhält. Er spricht absolut akzentfrei, hat eine angenehme Stimme. Es ist dieselbe, die mich heute Morgen angerufen hat.
‚In Ordnung’, sage ich und trete nach draußen. Hinter mir klappt die mit Postern zugeklebte Tür zu.
Sieht nicht aus, als würde ich einen Lift zurück zur Pension bekommen. Egal – die Sonne scheint. Mit einem Blick nach links und rechts orientiere ich mich, mache mich auf den Weg in Richtung Shankill Road.

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Kommentare zu diesem Text

Alegra (41)
(10.11.09)
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 Mutter meinte dazu am 11.11.09:
Ja, das ist er wohl. :)

Zum Portfolio: Danke für den Hinweis, werde mal schauen, ob ich es ein bis zweimal eleminieren kann.

*edit: Hab jetzt mal das mittlere rausgeschmissen. Die anderen beiden braucht's, fürchte ich ...
(Antwort korrigiert am 11.11.2009)

 RainerMScholz (30.05.10)
Über die Zähne geleckt - wegen der Seife. Super.
Grüße,
R.

 Mutter antwortete darauf am 30.05.10:
:D

Danke ...
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