Ein Paar Schuhe auf einer Brücke

Kurzgeschichte zum Thema Selbsthass/verletzung/mord

von  RainerMScholz

Dieser Text gehört zum Projekt    "Auf Messers Schneide" - Selbsthass/-mord Lyrik
Die Nacht war still und klar. Sterne glitzerten am Himmel, und leise surrte der Verkehr auf der nahegelegenen Autobahn, hallte von den Häuserwänden wider und verlor sich schließlich, als er die äußeren Bezirke der Stadt erreichte.
Im Grunde, dachte er, war es gar nicht so schlecht gewesen. Es war nicht das, was er sich erhofft hatte, doch stellenweise hatte es dennoch begonnen, interessant zu werden. Tja, aber was machte das schon aus.
Leise vor sich hinsummend spazierte er gedankenverloren durch die Allee, die sich vor ihm erstreckte. Ein leichter Sommerwind ließ die Blätter sich sachte bewegen, ließ sie tanzen, als hätten sie ein eigenes, selbstständiges Leben, das nicht vom Ast, vom Stamm der sie trägt, abhinge.
Sie war sehr schön gewesen, sicher. Doch auch das war jetzt vorbei, eine Erinnerung, ein Bild in seinem Kopf. Es war nicht seine Schuld. Er liebte sie noch immer, dieses zarte Wesen, so zerbrechlich und rein, unschuldig und hilfsbedürftig. Das war jedenfalls die Gedankenkonstruktion, die in seinem Gedächtnis existent war. Und er wusste, das dieses Bild von ihr ein falsches gewesen war. Weshalb diese Imagination selbst jetzt noch Bestand hatte, vermochte er nicht zu sagen. Es war auch nicht wichtig. Sie war da.
Er ging weiter. Allmählich gelangte er an den Fluss, der die Stadt am Leben hält. Das Wasser, das Leben schenkt. Der Strom glitzert erhaben im Mondlicht. Leichte Wellen brechen am Ufer, rollen zurück in die Anonymität des Ganzen, um abermals dem grünen Landstreifen zuzustreben, der die Wasserader einsäumt. Ein Nachtvogel schrie einen Warnruf aus.
Der einsame Spaziergänger setzte seine Reise in der Dunkelheit der Nacht fort.
In Wirklichkeit habe ich nichts verloren, da alles, von dem ich dachte, es sei ein Teil von mir, etwas, ohne das zu leben sich nicht lohne, nie existierte, niemals diese Wichtigkeit besaß, die ich dem beimaß. Denn nichts ist gleichbedeutend mit dem Glanz der Sterne. Nichts kann die Unergründlichkeit eines Menschen, die Unermesslichkeit des Alls, die Unendlichkeit erhellen. Die Unmöglichkeit des Erkennens des "Ich" verstärkt den Schmerz so, wie die Ungeheuerlichkeit des "Du", des Anderen - contre-coeur. Wie eine Realität schaffen, die nicht greifbar zu machen ist? Sehen mit geschlossenen Augen, Hören mit tauben Ohren.
Dieser Gedanke stimmte ihn froh. Er atmete tief ein und sah hinauf in die Nacht. Und lächelte still.
Er kam zur Brücke, die über den Fluss führt. Es ist eine sehr lange Brücke. Eine alte Brücke, die dort das rauschende und gurgelnde Gewässer überspannt. Von hier oben sieht der Fluss nicht mehr so freundlich aus, eher dunkel und trüb, fast ernst. Ein würdevoller Gefährte, der sich nicht darum schert, was Menschen tun oder sagen, stark in seiner bloßen Existenz. Immerwährend.
Er stand nun in der Mitte der Brücke, und sein Blick schweifte über die Stadt. Ein erhabener Anblick - bei Nacht. Denn es war unwesentlich nun, was hinter diesen Mauern vorgehen mochte. Es besaß keinerlei Bedeutung. Er hatte die Mauern seiner Seele eingerissen und sah: Es bedeutet nichts. Es ist gleichgültig.
Er zog seine Schuhe aus, stieg über das Geländer, lächelte und sprang. Es gab kein Geräusch, und der Fluss blieb unbeteiligt, ruhig und schwarz.

© Rainer M. Scholz

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Kommentare zu diesem Text

janna (60)
(14.07.09)
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 RainerMScholz meinte dazu am 15.07.09:
Dank und Gruß,
R.
cannam (35)
(01.08.09)
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 RainerMScholz antwortete darauf am 02.08.09:
Ich war der Meinung, dass der Reiz gerade darin besteht, dass kein offensichtliches Motiv vorhanden ist. Offensichtlich regt das den Leser eher zum Nachdenken an. Wenn auch unter Umständen ohne Ergebnis. Kontemplationsoffen sozusagen.
Grüße,
R.
cannam (35) schrieb daraufhin am 02.08.09:
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 RainerMScholz äußerte darauf am 02.08.09:
verstehe
TeBö94 (23)
(04.08.14)
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