Eine Sache der Ehre

Kurzgeschichte zum Thema Freundschaft

von  püttchen

Jasmin und ich standen am Strand. Jasmin, der Mensch, wie die Blume. Dichte schwarze Haare, die ihr über die schlanken Schultern fielen. Ich hatte so lange nach ihr gesucht. Zwei lange Jahre bin ich ihr gefolgt um sie hier zu treffen. Hier am Strand. Sie hat etwas das mir gehört, das Miststück. Ich will das sie es mir zurück gibt. Bevor der Mond sich verdunkelt hat waren wir einmal Freunde. Wir wuchsen miteinander auf. Eine echte Mädchenfreundschaft. Als wir sieben waren erzählten wir uns all unsere erfundenen Geheimnisse, damit die andere etwas hatte, was sie nicht verraten durfte. Aber jetzt sind wir keine sieben mehr. Kein sieben. Und keine neun. Jetzt scheint der Mond nicht mehr silbrig und bleich. Jetzt tarnt er sich als Nachthimmel. Götter, man kann seine Kraft noch spüren, noch immer führt er die Meere ihren Gang entlang und noch immer dringt er Mensch und Tier ins Herz, wenn er voll ist. Man kann es nicht sehen. Aber man kann es spüren.
Jasmin atmet kaum. Sie hat einen Strohhut tief ins Gesicht gezogen und kaut auf einem Schilfhalm. Sie hat sich kaum verändert. Zumindest nicht sichtbar. Sie ist irgendwie… dunkler… geworden. Ich stehe neben ihr. Ich sehe mir den Sonnenuntergang an und schweige. Seit ich sie getroffen, sie endlich eingeholt habe, haben wir kein Wort miteinander gewechselt. Aber das ist auch gar nicht nötig. Sie kennt mich, sie weiß was ich haben will. Ich trete unruhig auf der Stelle. Betrachte meine vom Wetter gegerbt Jeans und ziehe die Salzluft tief in meine Lunge. Jasmin ist ganz cool. Tut so als wäre ich gar nicht da. Als würde sie meine penetrante, wartende Anwesenheit nicht wahrnehmen. Sie kann mich zwar nicht sehen, aber ich weiß, dass sie mich spürt. Sie hatte als Zwölfjährige einen schrecklichen Unfall bei dem sie ihr Augenlicht verlor. Jasmin ist blind. Sie ist aber nicht nur blind, sie ist auch die Königin der Ignoranz. Ich weiß, dass Jasmin nicht völlig blind ist. Sie wird warten bis die Sonne gänzlich versunken ist und die Nacht ihren schwarzen Mantel über uns legt, damit Gleichheit herrscht. Licht und Dunkelheit, Schemen und Schatten, das ist alles was sie noch sieht. Reicht ja auch. Sie braucht nicht mehr.
Am Horizont ist nur noch ein blutroter Streifen zu erkennen, der das Meer von der Nacht trennt. Es ist bald so weit. Ich zähle Langsam von Hundert rückwärts.

…101… …73… …53… …31… …13… …2… 0.

Jasmin hebt den Kopf. Sie ist so berechenbar. Ich grinse.

"Geh fort. Geh soweit du kannst. Schwöre ab, ich rat es dir."

"Nen Scheiß werd ich tun, Jasmin. Bring zu mir, was zu mir gehört. Ich hab sie verdient. Ich hab zwei Jahre lang gelitten, Jasmin, werd vernünftig, du Blindschleiche."

Jetzt bin ich ganz cool. Hab alles unter Kontrolle. Mein Stimme ist ganz ruhig während ich spreche. Ich hoffe so sehr, bete, dass sie meine Angst nicht riecht. Das sie nicht weiß, dass sie nicht die einzige ist die Schiss hat in dieser verkehrten Welt.

"Lexa, du bist untreu geworden. Schwöre ab. Ich sag es dir. Du wandelst auf vergifteten Pfaden. Schwöre ab."

Sie schob den Strohhut aus dem Gesicht und legte den Kopf in den Nacken. Obwohl am Nachthimmel nur ein paar wenige funkelnde Sterne Licht imitierten leuchten ihre Augen. Weiße schlitze leuchteten wie Furchen unter den Augenbrauen.

"Wenn du sie mir nicht geben willst, werde ich sie mir nehmen."

Ich presste diese Worte hervor ohne auf ihr dämliches „Komm- ins- Licht“- Gewäsch einzugehen. Wer blind ist hat nicht über Licht und Schatten zu urteilen.

Sie drehte sich zu mir. Sie war so ruhig, so ruhig. Zu ruhig. Mit einer lässigen Handbewegung nahm sie den Schilfhalm aus dem Mund und ließ ihn zu Boden segeln. Sie hielt ihre Arme kess vor dem Körper verschränkt. Die weißen Höhlen nun direkt auf mein Gesicht gerichtet. Ein widerliches Gefühl.

"MACH SCHON!"

Jasmin fasste unter ihre gefütterte Cordjacke und holte sie hervor. Ein kleines, zusammengefaltetes Stück Irgendetwas. Das muss sie sein. Die muss ich haben. Das ist meine!


Sie streckte mir ihre mondbleiche Hand entgegen. Ich musterte verunsichert ihr starres Porzellangesicht. Wind kommt auf. Rauscht durch die hohen Schilfgräser und kräuselt die Wasseroberfläche. Meine ungepflegten kurzen Haare streifen mir über die Wangen. Das ist der Moment. Das ist er. Zwei verdammte Jahre.
Ich riss sie ihr aus der Hand. Kann es kaum fassen, was ich da in den Händen halte. Und sie? Ich werfe ihr keinen kurzen Blick zu. Sie lächelt, die feige Schlampe. Vielleicht, weil sies nicht besser weiß. Ich betrachte immer noch das kleine zerfledderte Ding. In meinem Bauch mischen sich Gefühle zu einem explosiven Cocktail. Freude, Glück, Schicksalsbestimmung, Überwältigung. Überwältigung. Das ist es was ich fühle. Aber scheiß auf Gefühle, ich hab sie endlich wieder! Ich streiche mir meinen Fingern über die raue Oberfläche. Sie fühlt sich wunderbar an.

Das erste kurzeitige Hochgefühl legt sich schnell…

"Wieso überlässt du sie mir? Was stimmt nicht damit?"

"Mit deiner Ehre ist alles in Ordnung, ich habe gut darauf aufgepasst, das sage ich dir. Begrabe dein Misstrauen, zu dir soll was zu dir gehört."

"Ach ja?! Und warum hast du sie mir nicht von Anfang an gelassen? Du hast sie mir gestohlen, du elendige Diebin!"

Jasmin senkte den Kopf wieder und schob den Strohhut nach vorne. Ihre schwarzen Haare flattern im Wind.

"Ich  hab sie gebraucht."

Sie zuckte mit den Schultern. Als ob es eine Entschuldigung sein sollte.

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Kommentare zu diesem Text

D_Epperlein (57)
(29.07.09)
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 püttchen meinte dazu am 02.08.09:
Danke Detlef. Esbedeutet mir viel, dass dir meine Geschichte Gut gefällt. Um aber auch ehrlich zu sein, ging es in der Urfassung tatsächlich um eine dingliche Sache. Um eine Karte. Es war als ROmananfang gedacht und dann weider verworfen worden. Mit der Änderung der Sache wollte ich diesem Text einen neuen Sinn geben, der ihn auch alleine gut stehen lässt. ich danke dir für deinen kommentar.
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