Warum der Satz "wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten" falsch ist.

Text zum Thema Politik

von  autoralexanderschwarz

Wer kennt ihn nicht, jenen gerne und häufig verwendeten Satz, der nicht nur das beruhigende Credo eingefleischter Überwachungslobbyisten, sondern zumeist auch der finale rhetorische Kinnhaken zahlreicher Talkshowpolitiker ist, bevor Illner oder Maischberger das Rundenende einläuten. Ein Satz, der immer dann fällt, wenn die Sendezeit knapp und Entgegnungen unmöglich werden.

„Wer nichts zu verbergen hat, hat ja auch nichts zu befürchten“,

auf den ersten Blick ein einfacher Satz,

ähnlich egoistisch gedacht, wie jenes

„unterm Strich zähl ich“

und Millionen beruhigte Bundesbürger lehnen sich wieder in ihrem Fernsehsessel zurück, weil man ihnen ja, zumindest juristisch, nichts vorwerfen kann.


Liebe beruhigte Bundesbürger:

Dieser Satz ist falsch, eine Lüge, die entweder aus Kurzsichtigkeit oder zur bewussten Täuschung ausgesprochen wird.

Die möglichen Einwände sind zahlreich und es ist nur einer, der hier repräsentativ angeführt werden soll.

Selbst wenn da keine Solidarität mit potentiellen Verbrechern, Mördern und Terroristen ist, selbst wenn man anerkennt, dass die staatliche Willkür in Deutschland in engen Grenzen gehalten wird, und auch wenn man glaubt, dass es da ja noch das Bundesverfassungsgericht gibt, das die Sache schon für einen regeln wird, selbst wenn man ein überzeugter, ein vermeintlich „guter“ Staatsbürger, vielleicht sogar Patriot ist:

Dieser Satz ist falsch!

Etwas, das man befürchtet liegt immer in der Zukunft, es ist ein kommendes Ereignis, das man fürchten muss, niemals ein vergangenes.

Jede Generation wird sich der Mittel, die sie vorfindet bedienen und sie wird sie, zu ihren eigenen Zwecken verwenden.

Jede Regierung wägt ab, wo sie die Grenze zwischen Freiheit und Sicherheit ziehen muss und will, doch wie weit lässt sich Politik überhaupt prognostizieren?

Selbst wenn man mahnende Hinweise wie das Verschwinden des Mittelstandes, die Kluft zwischen Arm und Reich, die globalen Folgen der WeltFinanzWirtschaftsundKreditkrise, die zunehmende Radikalisierung des politischen Betriebs und der gewählten Parteien übersieht, kann man nicht leugnen, dass ein politisches System niemals für die Ewigkeit errichtet ist, selbst wenn es stabil und beruhigend widerstandsfähig erscheint.

Allein darum schon ist dieser Satz falsch, weil keiner der ihn ausspricht die Zukunft kennt.

Hierbei wird oft suggeriert es sei schwer zwischen richtig und falsch abzuwägen, die grausamsten Verbrechen dienen als Rechtfertigung für neue Überwachungsstrategien.

In Wahrheit ist es ganz einfach:

Es ist richtig einen Lkw-fahrenden Mörder per Mautsystem zu überführen, wenn man denn die Möglichkeit dazu hat.

Es ist falsch, dass diese Möglichkeit überhaupt existiert.

Jegliches Bürgerrecht, das in friedlichen, in demokratischen Zeiten aus Trägheit, Desinteresse oder gutem Glauben bereitwillig durch die Aktenvernichter geschickt wird, kann in einer anderen, einer dystopischen Zeit zur Fessel für eine entmündigte Gesellschaft werden.

Man überlege nur, dass mit der heutigen Technik die Geschwister Scholl identifiziert und verhaftet worden wären, bevor das erste Flugblatt den universitären Grund berührt hätte,

bedenke, dass Anne Frank wohl niemals einen Satz in ihr Tagebuch geschrieben hätte, wenn der Hauseingang videoüberwacht gewesen wäre.

Herbert Frahm wäre damals vom deutschen Unrechtsregime verhaftet worden, lange bevor er Willy Brandt wurde,

niemand, absolut niemand hätte die Mauer überwunden,

die Deutschland einmal teilte.

Darum lautet die Wahrheit:

Jeder hat etwas zu befürchten, selbst der, der nichts zu verbergen hat, wenn seine Rechte und seine Freiheiten beschränkt werden. 

Vielleicht ist es einmal das gewohnte, das bisherige Leben, das in der Zukunft nur bestehen kann, wenn es verborgen und verteidigt wird, vielleicht werden Gedanken von Gestern morgen rückwirkend zum Verbrechen erklärt.

Vielleicht geschieht dies auch alles nicht, allein die Möglichkeit besteht und es ist viel einfacher etwas festzuhalten und zu verteidigen, als es im Nachhinein reuig und gegen neue Widerstände zu suchen.

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Kommentare zu diesem Text

Schmetterlingshai (26)
(26.07.09)
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 autoralexanderschwarz meinte dazu am 26.07.09:
Danke für Deinen Kommentar. Freut mich, dass Du das so siehst wie ich und es ist traurig, dass dieser Satz ungeachtet seiner offensichtlichen Falschheit wieder und wieder in die Köpfe der Menschen gehämmert wird.
stimulanzia (48)
(30.08.09)
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BBA (43) antwortete darauf am 30.09.09:
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BBA (43)
(30.09.09)
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