Höllenfahrer

Kurzgeschichte zum Thema Leben/Tod

von  RainerMScholz

Dieser Text gehört zum Projekt    "Auf Messers Schneide" - Selbsthass/-mord Lyrik
Illustration zum Text
(von RainerMScholz)
Was geschieht bei einer Fahrt mit sehr hoher Geschwindigkeit über Land, in stockfinsterer Nacht, wenn der Himmel von unheilschwangeren Wolken gesättigt ist, kein Stern leise strahlt, kein Hoffnungsschimmer eins fernen Mondes auf die schwarze Asphaltspur fällt, der die irrwitzige Fahrt ins Nirgendwo nur um den Flügelschlag eines Engels begleiten könnte?
Wilde Augenpaare spähen verschreckt zwischen rauen Baumstämmen hervor, ertappt vom Scheinwerferkegel des blechernen Gefährts, Augen, die zu den seltsamen Wesen des Waldes gehören, die des nachts auf der Lauer liegen, jagen, um zu töten, um zu überleben. Lautlose Geister wandern in der Einsamkeit einer sternenlosen Finsternis umher, grüßen den Reisenden mit einem wohlwollenden Nicken. Tiere, Menschen, Fabelwesen und Götter begegnen sich auf der endlosen Suche.
Was geschieht bei solch einer Fahrt in die Unergründlichkeit der Nacht? Was verbirgt sich hinter der nächsten Kurve, die, dem Lichtkegel des Scheinwerfers folgend, kaum zu erahnen ist?
Abbremsen, beschleunigen, die Nadel des Tachometers zweifelnd mit einem kurzen Blick streifen, und instinktiv dem Verlauf der entmenschten Straße gehorchen, den Fuß hart am Gaspedal jede Unebenheit missachtend, selbst dann, wenn statt des Gepolters eines Schlagloches nur ein widerliches Abschmieren der Reifen den Rhythmus der Geschwindigkeit beeinträchtigt - Leichen auf amethystfarbenem Schotter. Vorwärts, immer weiter in das unerbittliche Schwarz der Nacht hinein.
Was geschieht, sollte ich die nächste Kurve verpassen? Was geschieht, rase ich mit unerträglichem Tempo geradeaus, die Leitplanke durchbrechend, dem Abgrund zu und über ihn hinweg? Was geschähe wirklich, verpasste ich die nächste Biegung, um sie verpassen zu wollen?

Dinge rasen an ihm vorbei, schemenhafte Gebilde, die sich jeder Beschreibung durch eigentliche Nicht-Existenz entziehen, wie atmosphärische Turbulenzen, die nebelhaft sichtbar gemacht wurden für den marginalen Abriss einer winzigen Zeitspanne . Ein impertinentes Kreischen wie von vorbeischnellenden Überlandzügen dröhnt unablässig in seinem Schädel. Anscheinend sitzt er immer noch am Steuer seines Wagens, obschon er doch genau weiß, dass er vorhin zu Bett gegangen ist. Es muss ein Traum sein. Besser ist es aufzuwachen! Doch wie? Er fährt den Wagen, spürt die Kraft, die vom Motor vibrierend sich auf seinen Organismus überträgt, das gewalttätige Gefühl der Beschleunigung, er hört das Quietschen der Reifen, fühlt den Fahrtwind auf seinem Gesicht - es ist real! Aber es muss ein Traum sein, und ich muss so schnell wie möglich aufwachen, denkt er, denn nun nimmt die Welt um ihn herum allmähliche Gestalt an.
Glühende, blutunterlaufene Augen starren aus dem schmierigen Grau der mit Höchstgeschwindigkeit vorbeihastenden Flanken rechts und links seines imaginären Gefährts. Entsetzt und verwirrt versucht er zu verstehen, was mit ihm geschieht, welche Hölle dies alles verkörpert.
Und auf welchem Weg diesem Szenario einer surrealen Geisterbahnfahrt ein Ende zu bereiten sei.
Der irreale Eindruck, der ihn befällt, wenn er seinen Blick nach vorne richtet, ist der eines aus großer Höhe Stürzenden, der jedoch in Ermangelung desselben, niemals den Boden erreicht. Ein ständiges Fallen in die Tiefe, aber gleichzeitig auch nach oben, zur Seite, nach vorne und zurück. Alles und nichts stürzt auf ihn zu. Er ist zu verwirrt, um klar denken zu können, den Gedanken zu fassen anzuhalten und einfach auszusteigen. Zu fesselnd und von bizarrer Schönheit ist das Schauspiel, das sich um ihn herum abspielt, zu spannend das Spiel, um es an dieser Stelle einfach abrupt abzubrechen. Die Faszination des Terrors hat sich seiner bemächtigt.
Felsen und Wälder, Seen, Ozeane, Kontinente und Welten und nie gesehene Firmamente passiert er in einem Augenblick, berauscht von dem Gefühl der Macht der Geschwindigkeit, die Äonen hinter sich lässt.
Dann wird alles schwarz. Verwundert und erschreckt über die plötzliche und vollständige Finsternis, die all seine Sinne völlig lahmlegt, ja paralysiert, beginnt er hysterisch zu schreien. Das stets präsent gewesene höllische Kreischen hat sich zu einem unerträglichen Heulen und Winseln, zu einem kakophonen Crescendo gesteigert. Eiserne Ketten schlagen von allen Seiten auf ihn ein. Ein Kratzen und Reißen wie von Stacheln und Dornen zerfetzt mit einem lobotomischen Quietschen die Eingeweide seines Gehirns. Seine Augen quellen hervor, als er endlich der Urheber dieser infernalischen Geräusche gewahr wird: Krüppel, Missgestaltete, Deformierte, deren Antlitz zerfetzt und zertrümmert worden ist, schlagen mit mörderischen Geißeln und blutrünstigem Reißwerkzeug auf die nackte Puppe, die er ist, ein. Die Wangen gespickt mit Nägeln und Scherben, die Leiber zerschnitten und zermalmt von blinden Folterknechten, lachen und brüllen sie wie in Trance, von Teufeln getrieben, Teufel, die sie selber sind, hämmern sie unablässig auf ihn ein, unbarmherzig, angestiftet von wahnwitzigem blindem Hass. Er rast weiter in höllischem Tempo, dass diese Ausgeburten eines schrecklichen Nachtmahrs heulend und weinend auseinanderstieben.
Weiter in das Dunkel, das sich nun wie Regen, zaghaft wie an einem Maitag, angstvoll rot färbt, ein Rot, das die Frontscheibe benetzt, über und über mit Blut befleckt, Strömen von Blut dann, das ihn zu ersticken droht, Blut, das vom Himmel fällt, immer heftiger, bis er meint, darin ertrinken zu müssen, zu ersticken, begraben zu werden.

Dann ist plötzlich Schluss. Alles ist still. Und ruhig. Und irgendwie abrupt in weite Ferne gerückt.

Stimmen. Er hört Stimmen, die wie in Watte gehüllt zu ihm dringen, zurückweichen, davonwabern wie ferner Nebel. Zuckendes blaues Licht, ein Gewitter aus Blau und Weiß und Schwarz durchdringt seinen Körper.
Er steigt ein und fährt weiter, hinein in den Tunnel, der bevölkert ist mit Kreaturen, die nicht von dieser Welt zu sein scheinen, rast weiter in den Moloch Dunkelheit, bar jeder Menschlichkeit nun, fern jeglicher Furcht, um sich dieser endlosen Reise durch alle Sphären, alle Dimensionen, Traum- und Phantasiewelten vollends hinzugeben, kreischend und weinend und lachend und singend.

©  Rainer M. Scholz

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