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Text zum Thema Kälte

von  ZornDerFinsternis

Blätterregen läutet melancholisch den nahenden Herbst ein. Regen und Tränen bestimmen diese Zeit. Nässe und Kälte legen sich auf die dichten, kleinen Wege dieser Stadt, die niemals lacht, nicht lebt. Pfützen ertränken Wünsche, Hoffnungen und Träume. Sehnsüchte malen tiefschwarze, hoffnungslose Wolkenwände an den gräulich schimmernden Himmel. Am Horizont tritt die Sonne ihre Reise nicht mehr an, Dunkelheit schleicht sich in diese Jahreszeit. Lachen und Freude verblassen aus dem Leben und den Gesichtern der Menschen. Die Stadt atmet schwer und rasselnd. Auspuffmief und frischer Regen, eine wundervolle Duftnote, die sich durch das kleine Wäldchen zieht. Aber das, ist auch das Einzige, das mich etwas "freudiges" empfinden lässt. Blätter tänzeln ängstlich auf dem zornigen Antlitz des Windes. Eicheln rollen durch Schlamm und winzige Kiesel. Und ich stehe hier. Umringt von Eichen, die langsam kahler werden. Sich dem Leben beugen, ihre Blätterpracht einbüßen müssen. Leichte Regentropfen mischen sich zwischen die wehmütigen, dunklen, verschrumpelten Blätter - fordern zum Tanz. Und ich stehe hier unten. Fest verankert. Meine Wurzeln im Leid der Welt verankert. Meine Träume in Ängste geboren. Mein Lachen im tosenden See ertränkt. Dein Lachen irgendwo hier draußen, in dieser Dunkelheit, verloren. Stehe hier. Es regnet. Meine Haare sind ganz nass und schwer. Sie kleben in meinem Gesicht und der Wind macht es unmöglich mit dem elenden Billig-Feuerzeug, eine Zigarette anzuzünden. Die Bäume taumeln im Sturm dahin. Wie lange, schlaksige, dunkle Gestalten stehen sie da. Drehen sich von links, nach rechts. Nur ich stehe hier. Starr. Fest an meinem Platz. Habe kein zu Hause mehr. Keinen Ort, an den ich flüchten könnte. Keinen Traum und keine Zuversicht mehr, die mich retten könnte. Nur dieses leise Säuseln des Windes in meinem Ohr. Dieses bösartige Zischen und Lispeln der Blätter auf den weit entfernten, asphaltierten Straßen - weit weg - in der Stadt. Erinner' mich an den Sommer zurück. An den lieblichen Geruch der vielen Sonnenblumen. Die strahlenden Rapsfelder, das warme Baggerseewasser und die lauwarmen, sternenklaren Nächte in deinen Armen. Das Himmelblau deiner Augen, das mich immer wieder so unendlich fasziniert und sprachlos gemacht hat. Aber dieses Kapitel, ist Vergangenheit. Diese Zeilen, wird nie wieder ein Mensch lesen. Nie mehr, wird es jemanden wie dich geben. Niemanden, der es fertigbringen könnte, etwas dermaßen abartiges und wiederwertiges, wie mich, zu lieben. Ich stehe hier. Meine Kopf ist leer und droht doch, vor Platzmangel zu explodieren. So viele Bilder und Gefühle, denen ich nicht Ausdruck verleihen kann. Diese Welt soll sich einfach nicht mehr drehen - mir wird schlecht. Ich hasse Achterbahnfahren. Und dieses Leben, ist die beschissenste Achterbahnfahrt, die man sich nur vorstellen kann. Ein ewiges Auf und Ab - ein verfluchtes Hin und Her. Wertloses Geschwafel. Sex und keine Liebe. Wozu sollte ich meine Zeit auf einem herzlosen, kalten Planeten, wie diesem verschwenden? Warum sollte ich versuchen, ein guter Mensch zu sein, wenn es doch niemanden gibt, der das "würdigen" würde? Warum soll ich mich zwingen zu lächeln, wenn es doch niemanden gibt, der mich lächeln sehen will? Wozu aufstehen, wenn doch alle Zweifel; all der Hass und die Ängste, dich auf den Boden reißen und dort gewaltsam halten? Schlamm, Pfützen, Kiesel, Wald und Tiere liegen hinter mir. Nur die braunen Schlammspritzer lassen noch den Schluss zu, dass ich im Wald gewesen sein könnte. Aber das ist auch scheissegal, wer mir begegnet, der sieht mich nicht. Wer mich anspricht, verliert kein Wort. Wer mich hasst, der kennt mich. Wer auch immer sagt, er liebt mich, ist ein Lügner. Wer immer mir hier begegnen wird, wird mir doch nicht begegnen. Ich bin nichts mehr. Eine sterbliche Hülle. Leer. Ausgelaugt. Kraftlos. Zerbrechlich. Nur Alkohol, Zigaretten und ab und an mal ein kleiner Joint, haben das alles hier tragbar gemacht. Aber irgendwann dämmert doch die Wahrheit. Steht doch die Einsicht an deiner Tür und klopft laut. Laut und immer lauter. Es dröhnt noch heute in meinen Ohren, der Lärm der Züge unter mir, ist nichts dagegen. Ich stehe hier oben. Dem Himmel ein winziges Stück näher, und doch, meilenweit von allem entfernt. Es gibt für mich kein Gefühl; keine Wärme mehr. Das rostige Geländer ist eiskalt. Klammer mich fest daran, sogar die Knöchel zeichnen sich schon deutlich unter der blassen Haut ab. Tränen tropfen auf das Schienennetz unter mir. Folge ihnen. Mein Herz pocht laut, und ich meine fast, ich hätte sie unten aufschlagen hören. Nur noch ein paar Minuten muss ich hier stehen. Nur noch ein paar mal 60 Sekunden durchstehen. Dann ist alles aus. Dann kommt das Leben zu mir zurück. Dann kann ich wieder bei dir sein. Du und ich, wir werden wieder lachen können... so herzhaft lachen, wie schon 6 Jahre nicht mehr. "Ich vermisse dich" rufe ich in den leeren Himmel hinauf. Blätter wehen. Die kleinen, blassen Hände lassen das Geländer los. Ein dumpfer Aufschlag. Der Spätzug nach Hamburg hat mich mitgenommen. Die Fahrgäste werden eine Verspätung in Kauf nehmen müssen.


Anmerkung von ZornDerFinsternis:

"Lieber stehend sterben, als kniend leben..."

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Kommentare zu diesem Text

Asvika (23)
(30.08.09)
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 Liadane meinte dazu am 31.08.09:
Geht mir genauso,
heftig dieser Text,
setzt sich fest im Kopf.
Mach mir Gedanken Liebes.
Drück Dich, Liadane

 ZornDerFinsternis antwortete darauf am 01.09.09:
Kein Grund zur Besorgnis. Spielerein und Bilder, gepaart mit ein paar schlechten Gedanken. Das ist meine Flucht aus dem Alltag. Ich danke euch allen recht herzlich für eure netten Kommentare und Gefühlsäußerungen. Lieben Gruß, Anni
stimulanzia (48)
(30.08.09)
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 AZU20 (31.08.09)
Fesselnd geschrieben, bedrohlicher Inhalt. LG

 Jorge (31.08.09)
Ein beeindruckender, sprachlich wohl formulierter und beängstigender Text. Auch der Titel paßt sehr wohl dazu.
Ansonsten stimme ich den Kommentaren zu, die dir ein großes Schreibertalent bescheinigen.
Liebe Grüße
Jorge

 Dieter Wal (31.08.09)
Sprachlich bis etwa zur Hälfte sehr schön zu lesen. Ab dann erzeugt der Text durch Selbstmordankündigungen wie 90% deiner Texte Sorge um die Autorin.

Wenn es Ziel solcher Texte ist, Hilfe zu finden, ist das in Ordnung.
(Kommentar korrigiert am 31.08.2009)

 waldmädchen (04.09.09)
pflanz für jede schwarze rose auch eine weisse oder eine farbe die du magst - das leben will beides - die dunkle und die helle seite
kopf hoch du bist zu stark zum schwach sein
silvia
Sagahock (19)
(16.12.09)
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 ZornDerFinsternis schrieb daraufhin am 18.12.09:
Hey Saga :)
Vielen Dank, für deine Schmeichelei :)
Das hoffe ich für dich auch, und ich bin mir sicher, du bist stark genug, diesen Gedanken zu strotzen. Vielen lieben Dank. Ganz liebe, weihnachtliche Grüße und tiefste Dankbarkeit.

PS: Du bist kein alter Nörgler ;)

Anni
Sagahock (19) äußerte darauf am 18.12.09:
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 ZornDerFinsternis ergänzte dazu am 20.12.09:
Nein, korrigiere.
Du bist ein sehr junger, äußerst bemerkenswerter Schreiber und Künstler. ISt mir eine große Ehre, dass du mich vebesserst und auf Dummheiten hinweist.
Ich danke dir :)
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