Fiktive Briefe an den Baron von S. - Erster Brief

Brief zum Thema Fremde/ Fremdheit

von  autoralexanderschwarz

Fiktive Briefe


Adressiert an meinen treuen Freund, den Baron von S.


Erster Brief


Treuer Freund,

Vieles ist mir widerfahren und nur die Außergewöhnlichkeit meiner Situation vermag es mein sträflich langes Schweigen zu entschuldigen.

Seid unbesorgt, körperlich bin ich unverletzt, alleine die Seele des Grüblers ist es, die mir zu schaffen macht, seitdem ich im Reich des Sultans eingetroffen bin.

Ihr könnt Euch denken mit welch großen Erwartungen ich den fremden Boden unter meinen Füßen begrüßte und vielleicht war es auch meine idealisierte Vorstellung dieses Landes, die mich nun, wo ich diese Zeilen schreibe, umso enttäuschter und ernüchterter klingen lässt. All die Menschen, denen ich auf dem Weg hierhin begegnete, wiesen mit lächelnden Mundwinkeln Richtung Westen und jeder war bemüht das Wort „Fortschritt“ mit den glühensten Metaphern anzupreisen.

Neueste technische Apparaturen sah ich bereits vor den Stadttoren und auch der Wohlstand war den Bürgern anzusehen. Wohlgenährt sind sie allesamt und in keiner Weise bescheiden. Über alle Maßen stolz sind sie mir begegnet, manch blinkende Goldketten sah ich über ihren Wänsten schimmern und sie sprachen offen über ihren Wohlstand.

Sie kennen mich zu gut, als dass ich Sie auf den bitteren Sarkasmus meiner Wortwahl aufmerksam machen müsste, doch zunächst war ich wie geblendet, bestaunte all die bunten Produkte auf dem Basar, große Maschinen und kleinste Apparaturen und ich dachte, dass dies wahrlich ein bedeutender Ort sein musste, an dem so viel Wissen in so vielen Erfindungen konzentriert war. Ich stand also dort, mitten im bunten Treiben, als ich mich auf einmal besann und an den Grund meines Besuches dachte. Gerade hier, auf dem Basar war ein guter Ort um mich nach den arttypischen Besonderheiten der hiesigen Kunst zu erkundigen, von der ich viel gehört, aber die ich niemals gelesen hatte. Bereits der Erste, den ich ansprach glaubte zu verstehen und führte mich zu einem kleinen Stand.

Ihr ahnt wohl, was mir widerfuhr, doch ich verweile bei dieser Stelle, weil sie einen außerordentlichen Eindruck auf mich machte. Allein die Bescheidenheit des Standes hätte mich misstrauisch machen sollen, lag er doch wie gewürgt im Schatten einer gewaltigen Industriehalle, so dass ich ihn ohne die fachkundige Hilfe meines Begleiters wohl übersehen hätte. Erst ein Blick auf die Buchrücken brachte die Erkenntnis und als ich einzelne Seiten überflog, da lachte ich über ihn, ein Missverständnis, dachte ich, doch er blieb ernst.

„Das ist nicht Eure Kunst“, sagte ich gnädig zu ihm, um ihm einen Ausweg aus dieser peinlichen Situation bieten und gegeneinander, nicht gemeinsam schüttelten wir den Kopf. Wertloses Papier häufte sich in diesem Raum, Kopien von Kopien, von Kopien von Nichtigkeiten. Lediglich die Einbände wirkten kostbar und erzielten wohl stolze Preise. Belanglosigkeiten füllten edelstes Papier, bunte Bilder von bunten Maschinen auf die Seiten gepresst, Banalitäten.

Kopfschüttelnd wandte ich mich ab, glaubte noch an eine große Täuschung, doch der zweite Stand, den ich fand, bestätigte den ersten.

Stellen Sie sich vor, wie ich wankte, als ich den Fortschritt begriff, auf den man sich hier so vieles einbildete. Man hatte Maschinen ersonnen, die neue Maschinen herstellen konnten, man erzog die Jugend zur Bedienung dieser Maschinen und vererbte ihnen zugleich den Reichtum, aber die Kunst, die Kunst war längst aus dieser Stadt geflohen. Diese Erkenntnis brachte mich zum Wanken, weil das Reich des Sultans ja auch immer als die Zukunft unserer eigenen kostbaren Heimat gepriesen wird und erst abseits der belebten Straßen konnte ich freier atmen. Der Zufall führte mich in eine Gasse, vorbei an einem Hungerleider, der mit entblößten Füßen auf dem Pflaster lag und gerade, als ich an ihm vorbei war, rief er mich an. Ihr werdet nun denken, dass ich besser weitergegangen wäre, – denn oft geht Gefahr aus von denen, die auf dem Pflaster kauern – doch gerade auch, weil ich den Reichtum in so vielen leeren Gesichtern gesehen hatte, interessierte ich mich nun für die Armut in diesem Land und ich beugte mich zu ihm hinab.

Nichts wollte er als eine Spende, er verhielt sich schamhaft, als ich nach seinem Namen fragte und erst ganz zuletzt gab er zu, dass er Künstler war. Elegien hatte er geschrieben, doch in dieser neuen Zeit gab es niemanden mehr, der sie lesen wollte. Gedichte hatte er verfasst, doch die gebundene Sprache war den Leuten zu schwierig geworden. Zuletzt hatte er versucht belanglos zu schreiben und war dabei einer von vielen, schließlich Hungerleider geworden. Ich staunte nicht schlecht über diese Geschichte und ich gab ihm Geld für eine warme Mahlzeit.

Ich will Euch, teuerster Freund, nicht mit all diesen Geschehnissen langweilen, aber bestimmt habt ihr längst bemerkt, wie sich alles zu einem Bild fügt, verzeiht mir, wenn ich noch ein weiteres Detail hinzufüge, um das Gemälde vollständig zu machen. Gerade als ich wieder auf die belebten Straßen trat, um eine Unterkunft für die bevorstehende Nacht zu suchen, herrschte auf einmal gespenstische Stille und dann, Gleichschritt, wie aus dem Nichts, Fackelschein und Trommelwirbel. Ein endloser Zug von Soldaten folgte den Musikanten und obwohl ich problemlos zwischen ihnen hätte passieren können, blieb ich stehen und betrachtete die Parade. So viele ernsthafte Mienen sah ich und doch ein stolzes Glitzern in den jungen naiven Gesichtern, das erzählte, dass es in den Krieg ging. Allesamt trugen sie Maschinen, die zum Töten erfunden worden waren, jeder Handgriff, jeder Schritt erlernt, wie Maschinen kamen sie mir vor, diese Kinder ihrer Zeit.

Gemeinsam marschierten sie in den Untergang.

Im Wirtshaus erfuhr ich dann von der Mobilmachung und dass es gelte den Fortschritt zu verteidigen und wenn möglich weiter, auch über die Grenzen des Reiches hinauszutragen. Befreien wollte man die rückständigen Nachbarn, der Sultan höchstpersönlich habe den Befehl zum Marschieren gegeben.

Ihr ahnt, wie dies alles auf meine oftmals gebrechliche Natur wirkte, erschüttert lag ich am Abend in einem fremden Bett und lauschte den Stiefeln auf dem Asphalt, träumte von dem unablässigen Menschenstrom, der sich dort in fremde Länder bohrte. Lange lag ich in diesem Bett, denn ich wurde krank, zu schwach um alleine aufzustehen, misstrauisch umsorgt von einer gekauften Pflegerin.

Doch seid beruhigt, ich schrieb es bereits, nun geht es mir besser und auch wenn der ansässige Arzt keine medizinische Erklärung für den Schwächeanfall hatte, glaube ich, dass es die vielen fremden Eindrücke waren, die mein offenes Gemüt überfordert haben. In einigen Tagen werde ich aufbrechen und tiefer in das Landesinnere ziehen. Ich habe meinen Vorsatz nicht aufgegeben die Kunst die ich suchte noch zu finden, ich kann sogar sagen, dass mich meine Schwäche entschlossener gemacht hat.

Ich glaube nicht, dass die Kunst tot ist, ich denke, dass sie sich nur versteckt hat und ich bin entschlossen sie zu finden, zu finden und an das Licht zu zerren.

Teurer Freund, hier beschließe ich diesen Brief, auch wenn es schmerzt die Gedanken wieder von der Heimat in die lieblose Welt um mich herum zu werfen. Die nächste größere Stadt in der ich in etwa drei Tagen eintreffen werde besitzt ein Postamt, von dem aus ich Euch weitere Nachricht zukommen lassen werde.


   

In tiefer Verbundenheit


Euer K.

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