Tonic

Erzählung zum Thema Annäherung

von  Mutter

Metriç trollt sich zu den anderen beiden, steckt den Kopf mit dem Niederländer zusammen. Der redet auf ihn ein, sie sehen zu mir rüber, Kreuter gestikuliert. Der Albaner schüttelt mehrfach den Kopf. Will nicht, dass sie sich den dämlichen Iren vorknöpfen. Wüsste gerne, wie Kreuter das anstellen will – mich hier auflaufen zu lassen, mitten im Club. Wenn seine Klientel ahnen würde, wird ihr Gastgeber ist, und mit wem er sich abgibt, könnte er den Laden dichtmachen. Gays stehen tierisch auf Unmoralisches – aber nicht auf die organisierte, kriminelle Sorte.
Clever wäre, ich würde mit erhobenem Haupt gehen, das Kreuz durchdrücken, stolz darauf, dem berüchtigten Metriç die Stirn geboten zu haben.
Kann ich nicht. Mein verschissener Stolz lässt mich nicht. Der will sehen, ob sie sich noch dazu durchringen, was zu versuchen. Lässt mich erst dann gehen.
Versuchen sie nicht. Nach einer weiteren kurzen Diskussion schieben sich die drei zurück auf die Treppe zu – ich nehme an, Kreuter wird oben von seinem Gast wissen wollen, wer ich bin. Was ich in der Prawda Bar zu suchen habe.
Ich kann mir ein breites Grinsen nicht verkneifen, als ich ihre Rücken auf der Treppe betrachte. Der Bodyguard dreht sich noch mal um, droht mir mental. Mein Grinsen wird breiter.
Und stirbt schlagartig, als ich zur Seite sehe und mein Blick auf die Barchefin fällt, die dort mit gekreuzten Armen steht und mich betrachtet. Fuck! Egal – der Zug war eh schon abgefahren.
Ich zucke mit den Schultern, neige den Kopf und greife nach meinem Glas. Stürze den Rest mit einer Macho-Geste hinunter, um danach meinen Abgang in Szene zu setzen.
Verziehe angewidert das Gesicht, als ich Campari schmecke, spucke ihn fast wieder aus. Und mir fällt auf – mein Drink war bereits leer. Irgendeine Schnecke in Kunstleder dreht sich empört um, ihre Freundin in Strickpullunder keift mich an.
Als ich den Kopf hebe, genervt von dem ganzen Dreck, sehe ich das lachende Gesicht hinter der Bar – hören kann ich sie nicht, der Beat ist zu laut – gerade läuft was von SHITDISCO.
Zucke nochmal mit den Schultern – schätze, den szenischen Abgang habe ich voll verpatzt.
Sie stößt sich mit einem Schwung ihres Hinterns vom hinteren Tresen ab und kommt auf die Bar zu.
Scheiße, das ist eine Einladung. Wenn ich vernünftig wäre, ein halbes Hirn hätte, würde ich die Hand leicht zum Gruß heben und mit einem letzten Lächeln verschwinden. Als Sieger.
Wenn ich nicht derart schwanzgesteuert wäre.
Ich ignoriere die beiden angepissten Ladies neben mir und gleite auf den Punkt zu, sich unsere Gesichter über der Bar treffen werden.
Sie ist groß, sicher fünf Fuß neun, vielleicht zehn. Sie trägt keine hochhackigen Schuhe, das kann ich an der Art, wie sie sich bewegt, erkennen. Boots oder Sneaker – Stiefel fänd ich cooler.
Bevor wir uns einander nähern, versuche ich ihren Gesichtsausdruck zu lesen. Ist sie pissed, weil ich in ihrem Territorium Streit angefangen habe? Genervt, von meinem Testosteron-Bullshit? Oder macht sie das an? Ich kann’s nicht sagen.
‚Hey‘, rufe ich, als wir dicht genug sind.
‚Was war das für eine Scheiße?‘, will sie wissen. Klingt nach Option eins oder zwei.
‚Bizness. Nix Persönliches.‘ Füge hinzu: ‚Und: Nix passiert.‘ Soll sich die Schnalle über was anderes aufregen.
Sie lächelt kurz, schüttelt die Locken. ‚Hätte ahnen müssen, dass du irgendeine Scheiße abziehen willst – wer trinkt freiwillig Ginger Ale?‘ Sie deutet mit dem Kopf auf mein leeres Glas, das ich noch in der Hand halte. Das nach Campari schmeckt. Option Eins, würde ich sagen.
‚Hast du vor, hier noch eine Weile rumzuhängen und weiter Streit zu suchen?‘
‚Was?‘ Ich habe sie akustisch verstanden, bin mir allerdings nicht sicher, was sie will.
‚Ich habe um drei Feierabend. Komm mich hinten abholen, in Ordnung?‘
Shit, es war Option drei! Ich grinse wie ein Schuljunge, sie antwortet mit einem stolzen Grinsen auf mein offensichtliches Kompliment.
‚Bau keinen Mist mehr, okay? Ich warte nicht auf dich.‘
Brav schüttele ich den Kopf. Einen Teufel werde ich tun.
‚Willst du noch was trinken?‘
‚Klar – gib mir ‘nen Gin Tonic.‘
Einen Augenblick später kommt sie zurück, schiebt mir das schlanke Glas über den Tresen. Lässt ihre Hand da, als ich Glas und ihre langen Finger gleichzeitig umfasse. Ein Schauer läuft mir den Rücken runter.
Sie beugt sich vor – ich verstehe das Signal, halte ihr mein Ohr hin. Ihre Lippen streichen zart über meine Ohrmuschel, bevor sie ruft: ‚Ich muss weiter arbeiten. Bis später.‘ Ich bin nicht sicher, ob sie den letzten Satz als Frage oder Feststellung beendet – wahrscheinlich mit einer Mischung aus beidem. Nicke zur Antwort.
Mit einem letzten Lächeln entfernt sie sich, schaut ein letztes Mal über die Schulter, bevor sie sich unter ihre Girls mischt.

Ich ziehe mich mit meinem Drink zurück, in eine der dunklen Ecken. Rempele einen spanisch-aussehenden Schwulen an, der mir kurz seine Zungenspitze zeigt. Nehme es mit Humor – ich bekomme heute noch Pussy, Kleiner, wie sieht’s mit dir aus?
Nippe immer wieder an meinem Glas, werfe prüfende Blicke auf die Geländer oben und die Treppe. Falls es jetzt noch Ärger mit dem Albaner oder Kreuter und seinen Jungs gibt, muss ich mich schnell verziehen. Wenn ich denen hier auf der Tanzfläche die Fressen poliere, ist es absolut aus mit meinem Gin Tonic-Fick, heute Nacht, das ist mir klar. Das würde mir selbst mein Stolz nicht übelnehmen, wenn ich mich da kleinlaut verziehen würde.
Ich kenne meine Prioritäten!
Plötzlich taucht der Bodyguard an der Reling auf. Sieht sich suchend um, entdeckt mich in meiner Ecke. Starrt mich kurz an, als könne er mich auf diese Weise vertreiben. Klappt nicht - er verschwindet.
Am liebsten würde ich bleiben und die Kleine hinter der Bar weiter bei der Arbeit beobachten. Wie sie wirbelt, Anweisungen erteilt und alles im Griff hat. Gott, sieht sie sexy aus. Bin mir nicht sicher, wie clever das wäre. Ob ich unproblematisch raus käme, wenn Kreuter entscheidet, ich bin ein Störfaktor in seinem Laden.
Nachdem ich den letzten Schluck aus dem Glas gestürzt habe, stelle ich es ab und verlasse den dichtgedrängten Laden, ohne einen Blick zurück zur Bar. Bin mir sicher, sie sieht mich gehen.

Am nächsten Morgen poche ich gutgelaunt an die Appartement-Tür der beiden Vivid-Girls. Diesmal macht mir Molly auf.
‚Himmel, du stinkst nach Suff und Kneipe!‘, stellt sie angewidert fest und macht mir Platz.
Mit einem Grinsen gehe ich an ihr vorbei, schwenke die Brötchentüte. ‚Frühstück, Mädels.‘
‚Oh mein Gott, wo warst du?‘
Anne sieht bei unserem Dialog verwundert auf, als wir nacheinander in den Küchenbereich kommen.
‚Ich habe mich mit dem Albaner getroffen.‘
‚Und ihr habt festgestellt, ihr seid im Grunde gute Kumpels und habt den ganzen Abend in der Prawda Sliwowitz getrunken?‘
‚Sliwowitz ist kein albanischer Schnaps‘, korrigiere ich sie frech.
‚Du warst in der Prawda Bar? Was hast du da gemacht?‘, will Anne wissen, die sichtlich verwirrt ist.
‚Ein paar Hochglanz-Lesben aufreißen und bekehren‘, sage ich und beuge mich leicht vor, um sie demonstrativ anzusehen.
‚Boah, Molly hat Recht – geh duschen!‘ Sie verzieht ebenfalls das Gesicht.
‚Schon gut – ich bin unterwegs‘, rufe ich und mache mich auf den Weg ins Badezimmer. ‚Milchkaffee für mich, bitte!‘, rufe ich noch im Weggehen.

‚Du hast dir einen One-Night-Stand geschossen, oder?‘, stellt Molly fest, als ich aus der Dusche zurück bin und mir mit einem Handtuch die Haare trocken rubbel, um die Hüfte ein großes Badetuch geschlungen.
‚In der Prawda?‘
Ich lasse das Tuch sinken, um in Annes geschocktes Gesicht zu sehen. Molly lacht laut.
Ich verziehe das Gesicht. ‚Das war eine Hetero. Arbeitet hinter der Bar.‘
‚Corker hat sich die Thekenschlampe gekrallt!‘, lacht Molly weiter.
‚Hey! Pass auf, was du sagst. Außerdem, wieso bitte macht dich das so fassungslos?‘, frage ich, an Anne gewandt.
‚Na, du, in der Prawda? Wen willst du da …‘
‚Ej, spinnst du? Ich bin den ganzen Abend angebaggert worden. Hätte da sofort einen klarmachen können, zum Beispiel von den kleinen blassen College-Strichern oder einen von diesen muskulösen Latinos.‘
Anne wendet sich ab, schüttelt den Kopf, Molly krümmt sich vor Lachen.
‚Was?‘, will ich wissen. Kann selber kaum glauben, dass mein Stolz darauf besteht, ich hätte gestern locker Hardcore-MM-Action haben können.
Ich kriege die Kurve, rede mich nicht mehr um Kopf und Kragen, und Molly bekommt langsam wieder Luft. Kaffee habe ich auch keinen, muss ich mir selber machen.
‚Komm schon, erzähl – was ist passiert?‘, will Molly wissen. Ich bin nicht sicher, ob sie über den Albaner oder über meine Thekenschlampe redet.

Hinweis: Du kannst diesen Text leider nicht kommentieren, da der Verfasser keine Kommentare von nicht angemeldeten Nutzern erlaubt.

Zur Zeit online:
keinVerlag.de auf Facebook keinVerlag.de auf Twitter keinVerlag.de auf Instagram