Die Perlenhochzeit

Anekdote zum Thema Biographisches/ Personen

von  Jorge

PERLENHOCHZEIT

Als wir sie kennen lernten standen sie kurz vor ihrer Perlenhochzeit.
Um diese 30 Jahre Gemeinsamkeit bewunderten und beneideten wir sie.
Karl war Anfang 50, sportlich und männlich und Susanne Ende 40, modebewusst  mit dem gewissen Etwas, eine Blondine, die wusste, man schaute ihr hinterher.
Sie lebten und arbeiteten in Norddeutschland und hatten wie wir ein Häuschen im Süden von Spanien. Anlässe zum Feiern gab es genug. So auch bei diesem Paar.
Man liebte und stritt sich  und redete offen über seine Wünsche und Sorgen.
So erfuhren wir bei jeder Begegnung  immer wieder von den zurückliegenden Reisen in die USA  - Susi fügte um es glaubhafter  werden zu lassen häufig ein „You know“  in ihre Rede ein. Sie waren auch sehr konkret bei der  Offenlegung  der Verbindlichkeiten und bei der Schilderung der Lebensverhältnisse der erwachsenen Tochter, die sie  mittlerweile zu Großeltern gemacht hatte. Soweit alles stinknormal.
Von außen kann keiner den Grund von Zerwürfnissen beurteilen (manchmal noch nicht einmal von innen)
So wusste keiner von den Bekannten sicher zusagen, ob Susanne wegen der Streitereien zum Rotwein griff oder ob der Griff zum Rotwein der Grund für die Streitereien war.
Wie auch immer . Das Paar  trennte sich überraschend. Dabei gab es Verletzungen und Unwürdiges. Doch das soll hier ausgespart bleiben.
Der Rotwein führte sie fast folgerichtig in die verständnisvollen kräftigen Arme eines Bauarbeiters aus einem Nachbarland. Nun explodierten die Anfeindungen  und  auch die Honorare der beteiligten Anwälte. Die beiden verschuldeten Häuser wurden den Parteien  zugeordnet. Karl bekam das spanische Ferienhaus und wurde begünstigt beim Rentenausgleich. Nach der Veräußerung  des Hauses in Spanien nahm er sich eine Mietwohnung in seiner deutschen Heimatstadt,  kaufte sich ein Reitpferd  von dem er mehrere Male  schmerzlich heruntergeworfen wurde. Seither hat er den Groll  auf seine Ex überwunden und lebt heute immer noch solo  in dieser Mietwohnung.
Susanne nahm verärgert ihren Mädchennamen an und dachte, sie würde die Schulden, die nun nur noch auf ihren Schultern ruhten, schon irgendwie wuppen.
Für uns sind nun aus den zwei Bekannten  drei geworden. Alex, der östliche Bauarbeiter  konnte amüsant plaudern und leidlich gut Skat spielen. Er nahm keinen Anstoß an ihrem engen Verhältnis zum Rotwein sondern trank sich als der jüngere zunehmend in ihr Vertrauen. Es wuchs eine neue Liebe heran. Anfänglich dachte Susi, Alex sei ein erfolgreicher Bauunternehmer  und hielt seine Saufkumpels für Angestellte mit denen er schon mal ein Bierchen trinken musste. Nachdem sie schon Jahre gemeinsam das Haus und das Bett geteilt hatten offenbarte sich ihr, dass dieser charmante neue Mann an ihrer Seite ein Hartz IV Empfänger  mit saisonaler Schwarzarbeit war, der alles verfügbare Geld zum Kiosk bzw. in die Stammkneipe trug.
Nun sind nach der verpassten Perlenhochzeit fast wieder 10 Jahre ins Land gegangen.
Alex wurde mit weiteren unwürdigen Umständen  nach zwei Jahren  mit juristischer Hilfe aus dem Haus und der Stadt gedrängt.
Zurück blieb ein weibliches Wrack im Vorruhestand, dem wir helfen wollen, was kaum gelingt.
Uns bleiben Telefonate mit einer einsamen Alkoholikerin, die ihr Leben nie richtig in den Griff bekam und die bei den gelegentlichen Besuchen hier tapfer ihre Sucht kaschiert.


Anmerkung von Jorge:

Die Perlenhochzeit - oder wie man Perlen vor die Säue werfen kann

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Kommentare zu diesem Text

chichi† (80)
(19.10.09)
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 Jorge meinte dazu am 19.10.09:
Danke Gerda für dein Wort.
Es ist tatsächlich schrecklich. Die vielen gutgemeinten Ratschläge und Hilfsangebote werden dankend angenommen und landen letztlich im Fusel und mit den leeren Flaschen im Müll.

 Peer (19.10.09)
Man wird bei deinem Beitrag wieder einmal schmerzlich daran erinnert, dass nichts selbstverständlich und jede Beziehung einem stetigen Auf und Ab unterworfen ist, bei der das Ab auch dann und wann zu keinem Auf mehr führt. Die Gründe die schlussendlich zu einem Zerwürfnis führen, liegen aber zumeist sehr weit in der Beziehung zurück und wurden nie beherzt genug angegangen. Trotz des traurigen Inhalts sehr gerne gelesen.
LG Peer

 Jorge antwortete darauf am 19.10.09:
Genau so wie du es kommentierst, ist es Peer.
Danke dir für deine Meinung und die Empfehlung, Jorge
seelenliebe (52) schrieb daraufhin am 19.10.09:
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 Jorge äußerte darauf am 19.10.09:
Danke liebe Anne. Habe gerade deinen Kommentar gesucht. Aber er lag unter der Notiz von Peer. Wenn einer genau meine Empfindungen beschreibt, mache ich das ebenso. Liebe Gruesse euch beiden Jorge
Lena (58)
(19.10.09)
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 Jorge ergänzte dazu am 19.10.09:
Danke Arja für deinen Kommentar. Das schlimme ist, es ist leider nicht der einzig so geartete Fall in unserem Umfeld. LG Jorge
Christianna (49)
(19.10.09)
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 Jorge meinte dazu am 19.10.09:
Danke Christa für deinen Kommentar und liebe Grüße, Jorge
janna (60)
(19.10.09)
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 Jorge meinte dazu am 19.10.09:
Danke janna für deinen Ganztagskommentar. Mein Wort von tapfer am Schluß
hat tatsächlich nur Berechtigung, wenn meine reale Protagonistin wirklich versucht, ihr Leben in die eigenen Hände zu bekommen. Ich wollte den Text nicht unnötig ausufern lassen und habe von den Kämpfen der letzten zwei Jahre nichts erwähnt. Ich hatte vor langer Zeit mal einen Text gepostet
" Anruf nüchtern" der beschreibt ihren Seelenzustand vor etwa einem Jahr.
Dein Hinweis auf die Oberflächlichkeit der ersten Beziehung ist leider eine Bestätigung für eine Mehrfacherfahrung, die ich nicht nur bei diesem Paar beobachte. Herzlichst Jorge

 franky (19.10.09)
Hi lieber jorge,

Meine erste Ehe ist an solchen tückischen Problemen gescheitert. Es beginnt ganz harmlos mit der Martiniflasche in der Hausbar und endet mit harten Wahren im Alter dann mit Zuckerkrankheit mit Sehschwäche und Beinkrämpfen. Spätestens dann wird der Alk vom Speiseplan gestrichen. Wenn Kinder im Haus sind ist es doppelt schlimm, sie bekommen all die Eskaparden voll mit und das Bild von "Guter Mutter" wird stark ramboniert. Alkoholiker sind extrem streitsüchtig und rasten bei Kleinigkeiten schon aus. Das kann für Kinder sehr schmerzlich sein.
Dein Text hat mich echt betroffen gemacht und an schlimme Zeiten erinnert.
Du hast es sehr gut beschrieben, das mit den leeren Flaschen, wenn sie heimlich entsorgt werden müssen...

Liebe Grüsse

von

Franky

 Jorge meinte dazu am 19.10.09:
Danke dir Franky für deine sehr persönlichen Zeilen. Ich setze lieber im privaten Kommentar fort. Liebe Grüße, Jorge

 Maya_Gähler (28.10.09)
Hierzu wird sicher mancher ähnliche Beispiele erzählen können. Die Gedanken, die dein Text bei mir auslösen, würden den Rahmen sprengen. Ich sage nur soviel:
Hinfallen darf/kann jeder, aufstehen ist die Kunst
LG Gudrun

 Jorge meinte dazu am 28.10.09:
Danke Gudrun für deine nächtlichen Worte. Du hast Recht, wer liegen bleibt ist verloren.
LG Jorge
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