Schlenski fliegt

Erzählung

von  tueichler

Einen Monat schon arbeitete Schlenski in Mailand. Seine Firma hat einen "Expat", also einen "Expatriot" oder zu deutsch, einen deutschen Mitarbeiter im Ausland gesucht. Eine neue Dependance war eben gekauft worden und die Italiener mussten mal so richtig auf Trab gebracht werden. Nun sehnte sich nicht unbedingt jeder nach Mailand, einer Industriestadt in einer unerträglich feuchten Klimazone in Italien. Nur wenige Kilometer südlich der Alpen konnte man diese nur ganz selten sehen, meist war es einfach nur bedeckt grau. Einmal auf dem Dach des Doms sah Schlenski an einem Samstag dann doch die Berge, das war aber schon alles. Die Wochenenden verbrachte er hauptsächlich damit, sich vom Freitag zu erholen, an jenem Abend zog man gewöhnlich mit den anderen "Expats" durch die Kneipen. Engländer und Amerikaner. Mit den Italienern gab es kaum Berührungspunkte, keiner sprach des Anderen Sprache und freiwillig Englisch ging schon mal überhaupt nicht. Da Schlenskis Firma einen Heimflug im Monat bezahlte, gönnte er sich dieses Wochenende einen Business Trip zurück nach Deutschland.
Im Büro war man in Italien natürlich erstmal schick, dann zweckmäßig aber niemals bequem gekleidet. Zu den Kunden zählten Banken und Versicherungen und so war zweckmäßig dann auch eher selten. Vom sogenannten "Casual Friday" hatte man bis dato noch nichts gehört und so stand Schlenski seit 9 Uhr morgens in drückender Hitze bei einer Luftfeuchtigkeit kurz vor dem Platzregen bis 4 Uhr nachmittags unklimatisiert im eigenen Saft. Endlich Büroschluss. Endlich umziehen. Schlenski verschwand im Keller, da gab es zwar keine Duschen, aber Umkleiden. In kurze Jeans und ein T-Shirt gehüllt schleppte Schlenski seinen Kleidersack und den Koffer mit der Wäsche der letzten 4 Wochen zum Taxistand und versuchte dort sein Glück. Natürlich war in Rogoredo, einer der wenig beliebten Gewerbegegenden Mailands, keine Taxe zu bekommen. Ein Kollege mit einem uralten Fiat hat sich dann erbarmt und Schlenski nach Linate an den Flughafen gebracht. Kaum dort angekommen machte sich Schlenski auf zu einem Stand mit Gepäckwagen irgendwo in der Mitte des riesigen Parkhauses. Wen wundert es bei Schlenskis Glück noch, dass dort leider keines dieser rolltreppentauglichen Ungetüme mehr stand, das noch annähernd Fahrbereitschaft signalisierte. Also blieb Schlenski nichts anderes als an einem gesperrten Eingang vorbei auf die andere Seite des Flughafengebäudes zu pilgern, um dort endlich den Antritt seiner Heimreise einzuläuten. Nach dem Check-In verblieb leider nicht mehr genug Zeit, noch eben ein Bier in der Business Lounge einzunehmen und ohne sein Gepäck abgegeben zu haben stürzte Schlenski zum Ausgang, an dem schon eine feuerspeiende Flugzeugbraut auf ihn als den letzten Gast wartete. Nach kurzer Debatte gelang es Schlenski, alles Gepäck als Handgepäck zu deklarieren und betrat den Flieger. Entsprechend seines Tickets setzte er sich, nachdem sein Kleidersack und sein Rolli im Locker waren, in Reihe 10 ans Fenster.
Zunächst schien es, als sollte der Flieger nun starten, bis eine Stimme aus dem Cockpit um etwas Geduld bat, da eine weitere Passagierin erwartet würde. Die Tür ging noch mal auf und eine Dame mittleren Alters betrat das Flugzeug mit der großen Lässigkeit, die nur Vielflieger ausstrahlen, denen die Strecke nach Frankfurt ebenso egal ist, wie ein Transatlantikflug quer durch ein Unwetter schlimmster Sorte. Die Dame war in grau gekleidet. Business-Kostüm, schwarze Stilettos, Krokotasche, graublondes Haar und eine edle Brille. Ihren Time-System Terminplaner in einer edlen Lederhülle mit einem Auge scannend näherte sie sich Reihe 10. Genauer gesagt, fixierte sie mit dem anderen Auge den Fensterplatz. Schlenski fiel das zunächst nicht auf, da er schon vom Wochenende träumend aus dem Fenster sah. In Reihe 10 angekommen räusperte sich die Frau vernehmlich und schaute sich dann Respekt heischend um. Jeder, ja wirklich jeder in der Business Class hatte die Dame bemerkt. Als sie sich sicher war, dass ihr die ungeteilte aber gut verborgene Aufmerksamkeit der verbleibenden Fluggäste sicher war, wendete sie sich mit dem untrüglichen Tonfall einer höhergestellten Persönlichkeit an Schlenski. "Hören sie mal, junger Mann, sie haben sich sicher in der Reihe geirrt. Hier ist die Business Class und sie sitzen auf meinem Platz!". Unnötig zu erwähnen, dass sowohl die Reihe vor, als auch die hinter Schlenski leer waren. Auch sonst gab es ausreichend Platz in der Business Class. Schlenski, leicht verunsichert, sagte nichts und, um jedem Streit aus dem Weg zu gehen, stand Schlenski auf und setzte sich eine Reihe nach hinten. Er konnte noch "Unverschämt, so was!" oder irgendwas in der Art vernehmen, als sich das Business Kostüm auf dem von ihm angewärmten Platz niederließ. Türen zu. Die Stewardessen begannen mit dem obligatorischen Zählen der Passagiere, als auf einmal ein kleiner Tumult in der Reihe vor Schlenski entstand. Die Stewardess verlangte noch einmal die Bordkarten zu sehen und stellte fest, dass sich das Business Kostüm wohl selbst in der Reihe geirrt hatte. Schlenski saß nun wirklich auf dessen Platz. Um weitere Verzögerungen zu vermeiden sagte Schlenski bestimmt, aber höflich zur Stewardess, dass es ihm nichts ausmachen würde, der Platz wäre ja ebenso gut wie Reihe 10. Das Business Kostüm errötete vor Zorn, konnte aber nichts machen. Der Flug nahm seinen Lauf und unglücklicherweise kleckerte das Business Kostüm, vermutlich mit zitternden Händen, den obligatorischen Tomatensaft auf den schmalen Streifen weißer Bluse zwischen den grauen Revers ihres Blazers. Schlenski bot seine Serviette an, jedoch ohne zur Kenntnis genommen zu werden. Beim Aussteigen in Frankfurt konnte er immer noch "Unerhört, so was!" und andere Unflätigkeiten vernehmen. Die Dame sprach vermutlich von ihm. Schlenski flog danach nicht mehr Business Class, obwohl er gekonnt hätte. Nur der Vorhang, dachte er, nur der Vorhang macht's.

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