Malachit

Erzählung zum Thema Begegnung

von  Mutter

Wir legen den Weg zur Nordseite der Insel in weniger als einer halben Stunde zurück - sind ein weiteres Mal bei den Klippen, laufen einen schmalen Pfad an ihnen entlang. Der aufgebrachte Wind nutzt die Gelegenheit, erneut an uns zu zerren, um Aufmerksamkeit zu buhlen.
Der Fußpfad zwingt uns, hintereinander zu laufen und verhindert, dass Molly weitere Fragen stellen kann. Passt mir gut.
Ich bin dabei, Erinnerungen, Fakten und Bruchstücke der Vergangenheit zu sortieren. Als hätte jemand verschiedene Puzzles durcheinander geschüttet und mich gezwungen, daraus ein komplettes Bild zusammen zu setzen.
Manchmal verschwimmen die Grenzen – dann kommt es mir vor, als würde ich diesen Weg viele Jahre früher gehen. Hinter mir nicht Molly, sondern Monaghan. Oder Big Townsend, Charly Park - eine von den Gestalten, die eng mit meiner Vergangenheit auf dieser Insel verwoben sind.
Vorneweg der Corker von früher – unbelasteter, freier. Härter, skrupelloser.
Wir erreichen die Stelle, an der es steil nach unten geht. Wer sie nicht kennt, würde niemals davon ausgehen, dass dort ein Weg weiterführt. Zu transportieren gab es damals selten was – die Goods kamen mit einem Boot aus Schottland in die Grotte, und wurden übers Wasser weiter transportiert. Zu Fuß und ohne Lasten, ist der Weg gefährlich, aber gangbar.
‚Da runter?‘, will Molly wissen, als ich mich an den Abstieg mache. Ich spare mir die überflüssige Antwort.
Inzwischen bin ich dankbar für den Nebel – er stellt sicher, dass es nicht anfängt zu regnen. Die nassen Steine würden den Zugang zur Grotte noch gefährlicher machen, als er es ohnehin schon ist. Zusätzlich habe ich die Hoffnung, dass er unsere Anwesenheit möglichlichst lange verdeckt – Geräusche bewegen sich nur träge durch die feuchte Luft, und gucken kann man nicht mehr als zwei Dutzend Yard.
Unter uns kann ich die Gischt hören und in den Knochen spüren - nicht sehen. Erspart mir, zu sehen, wo ich aufpralle, falls ich den Halt verliere.

Nach einer Weile wird der Abstieg weniger steil, nach ein paar Schritten bewegen wir uns horizontal an der Felswand entlang. Klettern erneut ein Stück nach unten – von hier kann ich die fauchenden Wellen sehen und spüre weiche Gischt auf meiner Haut. Meine klammen Finger krallen sich in das schartige schwarze Gestein, aus dem die Felsen hier gebildet sind. Zweimal tritt mir Molly auf die Finger, stürzt mich fast in die Tiefe.
Mehr als einen zwischen den Zähnen durchgequetschten Fluch erspare ich mir.
Wir erreichen das Ende der Kletterpartie, sind nur noch wenige Fuß über Wasserhöhe. Alle paar Sekunden peitscht um uns herum ein Schwall Wasser auf die Klippen, durchnässt uns bis auf die Haut. Gut, dass es nicht regnet, denke ich lakonisch.
‚Alles klar?‘, will ich gegen das Getöse des Atlantiks wissen. Molly nickt.
Der Pfad, der zwischen Klippen und Meer zur Grotte führt, ist noch schmaler als der oben. Sowohl Hände als auch Füße finden schwer Halt, meine Finger wund und zerrissen, die verkrampften Schultern schmerzen und das Salz beißt mir in die Augen.
Ich nehme an, Molly geht es ähnlich. Verflucht mich vermutlich gerade bis in die Neunte Hölle.
Als hätte ich ihr ein Stichwort geliefert, höre ich von hinten gegen das Tosen: ‚Fuck, Corker. Was für eine Scheiße!‘ Ich nicke stumm - hatte vergessen, was für eine Tortur dieser beschissene Weg in die Grotte darstellt. Unglaublich, dass der alte Trickster es auf seine alten Tage noch schafft, wie eine Gemse zu klettern. Möglicherweise benutzt er inzwischen ausschließlich den Seeweg.
Weiter vorne kann ich den gähnenden Schlund der Grotte sehen – zwischendurch verdeckt durch einen hellen Vorhang aus Gischt. Molly schiebt sich neben mich hinter den Felsen, an dem ich Deckung gesucht habe.
‚Dort ist es?‘
‚Das ist der Eingang zum Versteck. Zwanzig Meter noch, dann sind wir drinnen. Müssen da durch das Wasser.‘
Sie verzieht das Gesicht. ‚Ist es tief?‘
‚Kommt auf die Gezeiten an. Zwischen knie- und hüfthoch.‘
‚Super. Worauf warten wir?‘, antwortet sie ergeben.
Ich zögere noch, bin mir nicht im Klaren, was jetzt passiert, passieren soll. Was machen wir, wenn der Trickster wirklich hier ist, statt auf den Hummerbänken?
Scheiß drauf.
Mit einem Grinsen ziehe ich die fette Eagle und sehe zu Molly rüber. Die hat es mir gleichgetan, die beiden Makarovs, Klone von Annes Waffen, bereits erhoben. ‚Hammertime!‘, sagt sie.

Wir verlassen die Deckung und laufen geduckt die paar Schritt rüber zur ‚Einflugschneise‘ in die Grotte. Durch dicke Felsen geschützt, führt der Pfad circa fünfzehn Meter unter der Wasseroberfläche lang. Entschlossen lasse ich mich in das aufgewühlte Wasser runter, den Blick konstant auf den Höhleneingang gerichtet. Nichts zu sehen.
Sofort raubt mir die Kälte, die wie ein gieriges Monster durch Stiefel, Hose und Teile meiner Jacke dringt, den Atem. Bis über den Hüften stehe ich in den plätschernden Wellen – alles, was von den brüllenden Brechern übrig ist, die sich gegen die natürlichen Barrieren zu unserer Rechten werfen.
Ringe nach Atem, versuche, die aufkeimende Panik zu unterdrücken. Den Überlebenswillen, der mir zuschreit, ich solle aus dieser tödlichen Kälte verschwinden. Mich zurückziehen, aufgeben. Beiße die Zähne zusammen, mache die ersten paar Schritte und Molly Platz.
Der Felssockel, auf dem wir uns bewegen, ist breit genug - muss ich mir keinen Kopf machen, wo ich meine Füße hinsetze.
Ich kann mich vollständig auf meine Atmung und auf meine Finger, die verzweifelt das matte Stück Metall in meiner Hand umklammern, konzentrieren.
Vor uns ist weiter nichts zu sehen, alles ruhig.
Ich drücke mich gegen die Felswand, überbrücke die letzten paar Meter bis zur Grotte. Schieße den Kopf um die Ecke, die Knarre bereit. Niemand.
Entschlossen drücke ich mich um die Ecke, setze die Hände auf die Stufe vor mir, befördere mich aus dem Wasser.
Die Kälte nehme ich mit, triefend im Stoff meiner Klamotten. Ohne auf Molly zu warten, mache ich ein paar Schritte in die Höhle hinein. Die Brandung hat einen kleinen Hafen aus dem Fels gefressen, während der Großteil der Grotte aus unterschiedlichen Absätzen aus Stein besteht wie ein kubistisches Gemälde.
Ich unterdrücke ein Pfeifen, als ich das schmutzig-rote Schlauchboot sehe, das ein paar Meter weiter träge im Wasser dümpelt. Kleiner als das von Digger Junior und mit einem schwächeren Motor – aber zu den Hummerbänken kommt man damit allemal.
Geduckt fahre ich herum, die Waffe erhoben. Der Trickster und Charly Park müssen hier sein, daran besteht jetzt kein Zweifel mehr. Hinter mir nehme ich Molly wahr, lautlos gegen das Tosen des Wassers.
Deute mit dem Finger der linken Hand nach hinten, wo sich verwinkelte Zwischenräume befinden, die wir früher als Lager benutzt haben. Sie nickt.
Folgt mir, als ich behutsam nach vorne schleiche.
Noch bevor ich um einen der rissigen Felsen herumkomme, nehme ich vor mir Bewegung wahr. Und einen pastellfarbenen Trainingsanzug. Charly Park!
Ich fletsche die Zähne und beobachte, wie erst Charly und dahinter der dicke Trickster aus einer der Lagerspalten treten. Bewege mich hinter dem Felsen hervor, die Eagle auf die beiden gerichtet.
Charly sieht mich als Erster, hält inne, wird von Timmons angerempelt.
‘Fuck!‘, machen seine Lippen – hören kann ich nichts.
Die Augen der Tricksters, der hinter Charlys Schulter hervor sieht, funkeln mich klein und boshaft an. Als würde er sich freuen, mich zu sehen.
Seine Augen habe ich gehasst, seit ich ihn das erste Mal getroffen habe. Splitter aus Malachit, die mich an das bösartige Glitzern von Spinnenaugen erinnern. Immerhin besitzt er bloß zwei, und nicht gleich acht.
Kurz schießt es mir durch den Kopf, dass ich den Trickster nie leiden konnte. Dass diese von der Wut des Atlantiks erschütterte Höhle, in der jeder Atemzug nach Salz schmeckt, der perfekte Ort ist, um diese Äuglein für immer zu schließen. Soll Misses Timmons ihren bei den Hummerbänken ertrunkenen Mann betrauern. Ertrunken und von den Massiv-Geschossen einer nicht-registrierten Desert Eagle zerfetzt. Hummer stehen auf Fleisch – jede Wette, ich könnte Timmons mit seinen eigenen Viechern füttern - ihn in einen der stählernen Käfige stecken und einfach abwarten.
Ich spanne den Hahn.

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Kommentare zu diesem Text

Max (43)
(03.11.09)
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 Mutter meinte dazu am 03.11.09:
Bist Du nicht schon mal mittendrin irgendwo eingestiegen?
Vielleicht irre ich ... :)

Danke.
Max (43) antwortete darauf am 03.11.09:
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 Mutter schrieb daraufhin am 03.11.09:
*edit:
Ach Mist, ich Depp - das 'nicht' übersehen.
Das kommt davon, wenn man klugscheißen will ... :D

*geknicktguck*

;)
(Antwort korrigiert am 03.11.2009)
(Antwort korrigiert am 03.11.2009)
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