Free Derry

Erzählung zum Thema Kampf

von  Mutter

Derry ist anders. In Belfast ist die Stadt in Viertel und Straßenzüge zwischen Loyalisten und Nationalisten aufgeteilt gewesen. Gute Straße, böse Straße. Wer sich nicht auskannte, lief schnell Gefahr, in der falschen Gegend ungünstige Fragen zu stellen.
In Derry gibt es klare Fronten, die Stadt ist geteilt. „You Are Now Entering Free Derry“ steht auf die Häuserwand in Druckbuchstaben geschrieben. Der katholische Teil der Stadt.
Durch den fahre ich allerdings zügig durch, heute interessiert mich das, was früher feindliches Territorium gewesen wäre. Londonderry. Der loyalistische Teil der Stadt.
Die bunten Bilder an den Wänden sind weniger geworden, teilweise nicht mehr so martialisch wie früher. Noch vor ein paar Jahren standen dort klare Kampfansagen, heute sind die Stimmen leiser geworden. Verstummt sind sie noch nicht.
Mein Panzer rollt gemächlich durch die Kleinstadt, fängt sich Blicke der Einheimischen ein. An den roten Lamborghini wird man sich vermutlich noch Jahre später erinnern. Egal. Ich fische meine schwarze Sonnenbrille aus der Jacke, setze sie auf. Passt zum Proll-Image, zur Welle, die ich gerade schiebe.
Ich parke gegenüber von dem großen Einkaufszentrum, das mir Dale beschrieben hat. Stelle den Sitz ein wenig zurück und warte. Wenn Brewster sich an seinen Zeitplan hält, habe ich noch über eine halbe Stunde Zeit, bevor es losgeht.
Drummond hatte mir beschrieben, dass der SAS-Mann dienstags und donnerstags mit seinem Pick-Up hier einkaufen geht, bevor er sich auf den Weg zu einem Freund in einem kleinen Cottage außerhalb von Derry macht.
Ich hatte kurz überlegt, ob ich ihn in der Hütte besuchen sollte, um eine Weile mit ihm ungestört sein zu können.
Aber dieser Kumpel von ihm ist eine Wildcard. Keine Ahnung, was das für ein Typ ist. Am Ende beiße ich mehr ab, als ich kauen kann, habe Schwierigkeiten, beide unter Kontrolle zu bekommen. Und ich brauche Brewster unbedingt lebend – wenn der ebenfalls den Löffel abgibt, bin ich wieder bei null. Square one.
Deswegen hatte ich mich für die Variante mit dem Lamborghini entschieden. Ich lasse den Blick durch das Wageninnere schweifen. Inzwischen mag ich das Teil. Fast schade, den für die bevorstehende Aktion zu verhunzen.

Exakt um vierzehn achtunddreißig sehe ich den beigen Toyota-Pick-Up auf den Parkplatz rollen. Brewster steigt aus, betritt den Supermarkt.
Kommt um fünfzehnnullacht mit mehreren braunen Papiertüten wieder heraus, besteigt sein Auto.
Als er aus der Ausfährt fährt und sich in den Verkehr einreiht, ziehe ich geschmeidig aus meiner Parklücke, folge ihm. Ich würde gerne sagen, ich folge ihm unauffällig, aber ich fürchte, da muss ich mir keine Illusionen machen.
Kann nur hoffen, dass es einen Moment dauert, bis er merkt, dass ich ihm folge. Jede Wette, im Rückspiegel hat er mich schon wahrgenommen. Der LM002 ist einfach zu verdammt groß, um nicht sofort ins Auge zu stechen.
Wir fahren Richtung Süden, auf der Victoria Road, immer am River Foyle entlang. Als er in die kleinere Duncastle Road abbiegt, bin ich direkt hinter ihm. Ich schließe auf, sehe, wie sein Blick mehrmals zum Rückspiegel geht.
Der sieht den Wagen, versucht zu erkennen, was das für ihn bedeutet. Zufall? Irgendein fetter Tourist auf dem Weg zum Angeln?
Wer für die SAS gearbeitet hat, glaubt nicht an Zufälle. Brewster gibt Gas, überschreitet das Tempolimit. Ich gebe ihm ein paar Sekunden, einen kurzen Augenblick, in dem er das Gefühl bekommt, es sei nichts. Nur seine antrainierte Paranoia.
Dann knalle ich den Fuß auf das Gaspedal, lasse den tonnenschweren Wagen nach vorne schießen. Hole massiv auf, bin erneut kurz hinter ihm. Der Takt, in dem sein Blick zum Rückspiegel geht, erhöht sich merklich.
Stellen sich deine Nackenhaare auf, Damian? Überlegst du, was der verfluchte Sternenzerstörer hinter dir will? Meine Zähne fletschen sich zu einem Grinsen, mein Puls geht hoch. Care for a dance, Mister?
Ein weiteres Mal geht mein rechter Fuß nach unten, berührt das Bodenblech. Mit einem Krachen schiebt sich der LM002 hinten in den Pick-Up, bringt ihn ins Schlingern.
Ich weiß, was der Penner vor mir gerade denkt: Fuckfuckfuck. Fuck.
Er kurbelt am Lenkrad, bekommt den Toyota wieder unter Kontrolle. Der Reisbrenner sieht am Heck schon arg demoliert aus – für irgendwas müssen meine ganzen Bruttoregistertonnen ja gut sein.
Mit aufeinander gepressten Lippen ramme ich ihn ein weiteres Mal. Diesmal gerät er richtig ins Schleudern, die Reifen quietschen. Brewster ist gut, hält ihn auf der Straße. Der Toyota ist nicht gerade klein, aber gegen das, was ihn von hinten bedrängt, sieht er aus wie Spielzeugauto. Der Gewichtsunterschied ist so groß, dass er keine Chance gegen mich hat.
Wenn ich neben ihn komme, drücke ich ihn eiskalt in die Trockensteinmauern, die die kleine Straße auf der linken Seite begrenzen. Er ist zu demselben Schluss gekommen, versucht, mir den Weg zu versperren. Ab und zu zwingt ihn der Gegenverkehr, in unserer Spur zu bleiben. Sobald sie vorbei sind, reiße ich aus, setze zum Überholen an.
Er schert aus, blockiert mich, geht jedes Risiko ein, um zu verhindern, dass ich gleichziehen kann. Dabei habe ich nicht vor, ihn zu überholen, ihn von der Straße zu stoßen.
Ich warte auf den nächsten Fehler.

Den macht er, als wir auf die Gabelung mit der Moyagh Road zukommen. Die Straße ist noch kleiner, noch enger. Für ihn bewahrt sie ihn davor, seitlich gerammt zu werden, und er ergreift die Gelegenheit. Vor mir sprüht der Pick-Up Staub und Steine in meine Richtung, als Brewster das Lenkrad hart herumreißt und die Seitenstraße einbiegt. Ich schieße hinterher, gehe kaum vom Gas.
Hier finden sich die Steinmauern an beiden Seiten, Platz zum Überholen gibt es nicht.
An der ersten sanften Kurve zeige ich ihm, dass er gepatzt hat. Nehme Schwung und touchiere sein Heck, drücke ihn nach vorne.
Funken sprühen, als das Blech kreischend gegen die Steine gedrückt wird. Ohne sich festzufressen, kommt Brewster zurück auf die Straße, gibt Gas. Mein Lamborghini lässt roten Lack an der Mauer zurück, ich schwinge zurück auf die Straße. Pendele mich wieder auf den Toyota ein.
Komm schon, Fuckhead – was kommt jetzt?
Ich habe keine Ahnung, ob er bewaffnet ist. Nimmt der Penner eine Waffe mit, wenn er seinen Kumpel besucht? Hat er immer eine im Hosenbund?
Wenn ich Glück habe, verlässt er sich auf seine Nahkampfausbildung, vielleicht besitzt er ein Messer. Solange ich das nicht sicher weiß, hätte ich lieber nicht, dass er aussteigt. Keinen Bock auf einen Shootout – ich gehe mit ziemlicher Sicherheit davon aus, dass er besser schießt als ich.
Als eine Abzweigung zu einem Hof auftaucht, versuche ich, ihn gegen den Baum, der dort steht, zu drängen. Dem entkommt er, die Seite des Pick-Ups knallt kurz dagegen, wird eingedrückt.
Er verliert die hintere Stoßstange und einen Kotflügel, bevor er weiter die schmale Straße hinauf fliegt. Wenn er so weitermacht, ist von seiner Karre bald nichts mehr übrig. Wenn ich so weitermache.
Mit diesem Gedanken im Kopf mache ich einen Fehler. Ramme ihn in einer engen Kurve mittschiffs, sehe, wie sein Kopf hin und her fliegt. Schleudertrauma, du Mistkerl!
Aber ich habe ihn zu weit hinten getroffen – er dreht sich zu stark, ich touchiere das Heck, stelle ihn vollends in die andere Richtung. Muss voll in die Eisen, um nicht selber in den Felsbrocken der Mauer zu landen.
Sein angeschlagener Wagen humpelt bereits zurück in die andere Richtung, ich dagegen muss umständlich umdrehen. Eine gekonnte Drei-Punkt-Wendung später gebe ich wieder Vollgas, jage ihm hinterher.
Sehe gerade noch, wie seine Rücklichter weiter oben in einem kleinen Weg aufflammen, den wir vor einer halben Minute passiert haben. Der Sack schlägt sich in die Büsche.
Der unbefestigte Pfad geht aufwärts in die Hügel und wenig mehr als ein Pfad – dem LM002 ist das egal.
Mit triumphierendem Grinsen heize ich die Steigung hoch – immer wieder sehe ich kurz sein ramponiertes Heck, schon ist er um die nächste Ecke verschwunden.
Ein paar Minuten später endet die Fahrt im Autoscooter. An einer Stelle, an der sich der Pfad etwas weitet, steht der Toyota, die Fahrertür offen. Von Brewster ist nichts zu sehen.
Kurzentschlossen kille ich den Motor. Sitze im Wagen, starre durch die Windschutzscheibe. Das Ticken des Motorblocks synchron mit dem Schlagen meines Herzens.
Gebe mir einen Ruck.
Geschickt winde ich mich auf die andere Seite rüber, öffne die Beifahrertür und rolle mich über die Schulter nach draußen ab. Komme hoch in die Knie und ziehe mit einer flüssigen Bewegung die beiden Glocks.
Showtime!

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Kommentare zu diesem Text

Kitten (36)
(18.11.09)
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