Rosenbaum

Geschichte zum Thema Kinder/ Kindheit

von  Rudolf

„Auf zu Rosenbaum!“, ruft die kleine Prinzessin überschwänglich. Die Schule ist aus. Es ist Freitag. Wir radeln los, vorn das zierliche Mädchen aus dem zweiten Schuljahr dahinter ich mit ihrem etwas eng sitzenden Tornister auf dem Rücken. An dem kleinen Geschäft, in dem sich bunte Spielwaren vom Boden bis zur Decke stapeln, halten wir. Während ich noch die Räder ankette, ist die Kleine schon im Laden verschwunden. Mein Blick wird von der im Schaufenster fahrenden Eisenbahn eingefangen. Dann tauche auch ich in den langgestreckten Raum ein, der meine Erinnerungen weckt. Freundlich begrüßt mich Herr Rosenbaum. Wir kennen uns. Ich bin der, der versonnen an den Auslagen entlang streift, bis seine Tochter das gesamte Sortiment der Miniaturtiere gesichtet hat. Ich bin der, der ermahnt: „Wir kaufen nur ein Teil.“, der, der am Ende zahlt.

Einmal zieht mich die Prinzessin zu Rate: „Gefällt Dir das braune oder das weiße Kaninchen besser?“ Und sie prüft: „Darf ich zwei Tiere haben? Ich bezahle es auch von meinem Taschengeld.“ Ich muss mich von dem blauen VW-Käfer losreißen, dessen große Vorbilder das Straßenbild meiner Kindheit prägten. Und ich werde unterbrochen, als ich zwischen den vielen verschiedenen Modellen einen Renault R4 suche - mein erstes Auto. Da ich nur abwesend mit Schulterzucken antworte, lässt sie mich schließlich in Ruhe.

Aus den Augenwinkeln beobachte ich Herrn Rosenbaum. Sein krauses, ergrautes Haar steht lustig von den Schläfen ab. Seine Augen strahlen genauso begeistert wie die meiner Tochter, wenn er sie auf kleine Details hinweist, die ihr noch nicht aufgefallen sind. Umgekehrt ist er sofort einverstanden, wenn die Prinzessin ihm erklärt, dass ihr eine Figur nicht gefällt. Zwischen den beiden herrscht tiefe Vertrautheit. Allein sie wissen, dass die Kunststofftiere eigentlich lebendig sind, dass sie jeden Moment loslaufen können. In mir steigt ein Anflug von Neid auf. Dieser Mann ist so selbstverständlich Kind geblieben. In seinem gut getragenen Pullover macht er weniger den Eindruck eines Geschäftsführers als den eines Jungen, der in einem Hinterzimmer jedes Spielzeug sorgfältig ausprobiert, bevor es im Laden angeboten wird. Aber Neid? Nein! Wie kann man diesen Mann nicht mögen? Geduldig folgt er den Weisungen des Kindes, nimmt ein Tier nach dem anderen aus dem Regal hinter sich und stellt es auf die Glasplatte des Verkaufstischs. Ganz behutsam berät er den kleinen Menschen, der vor einer wichtigen Entscheidung steht.

Meine Runde durch das verzaubernde Geschäft endet bei der kleinen Prinzessin. Mittlerweile stehen alle Tiere vor ihr, die überhaupt in Frage kommen. Es sind Pferde, Tierkinder und Kleintiere, die ihr Herz berühren, keine Dinosaurier oder gefährlich dreinschauende Wesen. Wir begutachten nun gemeinsam die Kandidaten der engeren Wahl. Mehrmals wechseln Figuren zwischen „zu kaufen“ und  „ausgeschieden“. Voll Witz kommentiert Herr Rosenbaum unsere Kommentare, wenn er nicht andere Kunden bedient – um diese Zeit sind es wenige. Gleichzeitig wahrt er Distanz zu der Beratung zwischen Tochter und Vater. Am Ende bestehen das braune Kaninchen sowie ein Gorillababy unsere kritische Prüfung.

Höchst zufrieden nimmt mein Mädchen die Tüte mit den zwei neuen Lieblingen entgegen. „Ebenso Danke und auf Wiedersehen“, erwidere ich Herrn Rosenbaums Abschiedsgruß. Es ist wörtlich gemeint. Dann wechsele ich zurück ins Jetzt. Ich schnalle mir den Tornister wieder auf den Rücken. Während ich die Räder loskette, werfe ich einen letzten wehmütigen Blick durch das Schaufenster.

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Kommentare zu diesem Text

unicum (58)
(10.12.09)
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 Rudolf meinte dazu am 25.02.11:
Bin beim "Abstauben" meiner Text auf Deinen Kommentar gestoßen. Danke für die erbaulichen Worte. Etwas späte Antwort ok, aber irgendwie war irgendwas immer wichtiger. Verrückte Welt.

 SunnySchwanbeck (05.08.12)
hat mich tief berührt, dich diesen text lesen zu hören. du hast einen mitreißenden schreibstil, aber auf ganz sanfte weise, man schwebt mit dir durchs geschehen und entspannt, lauscht. wirklich wunderschön.

war eine große freude, dich kennen gelernt zu haben.
geknickst,
frau schwanbeck.
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