Bean Sídhe

Erzählung zum Thema Rache

von  Mutter

Ich steuere den geschundenen Wagen Richtung Ausgang, Parkdeck für Parkdeck. Auf Level 4 halte ich kurz, um den linken Kotflügel komplett wegzutreten. Der schabt am Reifen und macht ein nervenzerfetzendes Geräusch – insgesamt sieht der Mercedes aus, als sei er im Krieg gewesen.
Mit einem grimmigen Lächeln steige ich zurück hinter das Steuer, fahre weiter die Rampen hinunter, steuere aus der Nachttanke raus.
Die Automatik fährt alle vier Fenster gleichzeitig runter und ich lasse mich ziellos durch die Stadt treiben. Rüber nach Friedrichshain, über die Spree nach Kreuzberg, zurück Richtung Mitte. Mir ist kalt, der Fahrtwind sticht mir ins Gesicht.
Endlos scheint die Zeit wie geschmolzenes Karamell vorbeizufließen, taub bewege ich mich wie ein Automaton durch die Stadt.
Das Klingeln des Handys unterbricht meine Katatonie.
‚Hey, Corker. Ich hab was für dich.‘
‚Wie geht’s ihm?‘
‚Der kommt klar, mach dir keinen Kopp. Das ist nichts, was ihn dauerhaft unten hält. Fleischwunde - der Große ist nur angezählt.‘
‚Wie hast du uns gefunden? Weibliche Intuition?‘
Er lacht. ‚Stout hat mir eine SMS geschickt. Der muss geahnt haben, dass ihr zwei unfähig seid, das Ding durchzuziehen.‘
‚Sicher. Was hast du rausgefunden?‘
‚Melanie Schröder – ihr gehört der Wagen.‘
Was für ein beschissen langweiliger Name für ein derart aufregendes Goth-Girl. ‚Hast du ihre Wohnung?‘
Toffer nennt mir eine Adresse mitten in Friedrichshain.
‚In Ordnung – ich geh‘ die Kleine mal besuchen.‘
‚Hey Corker!‘, hält er mich zurück. ‚Lass mir was übrig, okay? Mach die Wichser nicht alle alleine fertig. Sobald ich sicher bin, dass es Stout gut geht, komme ich nach.‘
‚Alles klar. Danke, Toffee!‘
Ich klappe das Handy zu, schmeiße es neben mir auf den Sitz und gebe Gas. Bin nicht sicher, ob ich dem Schwarzen seinen Wunsch erfüllen kann. Nehme an, die Maschine hat das Goth-Girl in Sicherheit gebracht – und den werde ich sicher nicht für Toffer aufheben.

Zehn Minuten später stehe ich vor ihrem Haus. Den Wagen habe ich ein paar Straßen weiter in einem Steckplatz abgestellt – keine Ahnung, ob ich den noch mal anfasse, oder lieber gleich der SpuSi überlasse. Die Mossberg und unsere Sachen habe ich hinten rausgeholt, die lange Waffe wieder in ihr textiles Kondom gesteckt.
Ich checke das Klingelschild – sie wohnt im dritten Stock. Oben brennt Licht, links und rechts, die Kleine hat es also bis nach Hause geschafft.
Die dritte oder vierte Klingel aus dem Hinterhaus, die ich drücke, führt dazu, dass man mir aufmacht. Ich schiebe mich in den dunklen Hausflur, deponiere meine Tasche und Stouts Kram in einem der Kinderwägen, die da rumstehen. Die Mossberg behalte ich in der Hand. Klettere die Stufen hoch, nehme zwei, manchmal drei von ihnen auf einmal.
Oben im dritten ist alles ruhig. In dem wenigen Licht, das gelblich durch die Mattglasscheiben über den Wohnungstüren dringt, entziffere ich die Namen an den Klingelschildern. Rechts Matthies, links Schröder.
Ich untersuche die Tür, typischer Berliner Altbau, mit einer genauso alten Holztür. Wünsche mir, ich könnte das Schloss unauffällig und geräuschlos mit einem Dietrich öffnen.
Scheiß drauf.
Lautlos lasse ich die Tasche von der Mossberg gleiten, hebe den Fuß und trete knackig und kontrolliert gegen das Schloss. Die Tür springt auf, der Lärm vertretbar.
Geschmeidig schlüpfe ich in die Wohnung, drücke die Tür mit der linken Schulter zu. Falls jemand nach dem Lärm sieht, ist auf den ersten Blick zumindest nichts zu sehen.
Der Flur ist leer.
Mit der Waffe im Anschlag arbeite ich mich langsam vor. Drei-Zimmer-Wohnung: Links das Bad, erleuchtet und leer. In der Badewanne dampft heißes Wasser. Rechts ein Zimmer, ebenfalls dunkel.
Neben dem Bad die Küche, nichts. Plötzlich steht sie im Flur, eine Tasse in der Hand. Trägt ein viel zu großes Sweatshirt – die Maschine, fährt es mir durchs Hirn.
‚Wo ist er?‘, flüstere ich.
‚Nicht hier‘, antwortet sie grimmig in Zimmerlautstärke.
Schnell mache ich die paar Schritte zu ihr rüber, schiebe sie zur Seite, während ich das Schlafzimmer, aus dem sie gekommen ist, checke. Leer.
Auch im letzten Raum, einer Art Arbeitszimmer und Rumpelkammer, werde ich nicht fündig. Ich bohre ihr die Mündung der Waffe in die Rippen, dirigiere sie zur Küche. ‚Wo ist er?‘, will ich wissen, während ich ihr folge.
‚Hat mich bloß abgesetzt, ist dann wieder los.‘ Sie dreht mitten in der Küche um, stellt die Tasse auf die Anrichte. Sieht mich herausfordernd an. ‚Aber Brian kommt wieder. Und dann macht er dich fertig, Corker. Prügelt dir die Scheiße aus dem Leib und verteilt deine Eingeweide auf dem Balkon!‘
Batman Brian! Endlich hat der Scheiß-Penner auch einen Namen.
Ihr Hass, den sie mir entgegen spuckt, überrascht mich. ‚Mach mir Tee!‘, befehle ich, deute auf ihre Tasse.
Sie zögert einen Moment, geht zur Spüle, füllt Wasser in den Kocher.
‚Schwarzen?‘
‚Scheißegal. Mach schon!‘ Heute ist kein guter Tag für Schwarze, fährt es mir durch den Kopf, aber ich sage nichts. Sie wirft mir einen überheblichen Blick über die Schulter zu, zieht die geschminkten Augenbrauen hoch. Macht sich über meine Nervosität lustig. Sie kommt mir so bekannt vor, als würde ich sie schon seit Ewigkeiten kennen. Als hätte ich sie nicht nur kurz unter der Dusche gebumst, bevor die Kurden sie umgebracht haben.
‚Was ist passiert?‘, will ich wissen, ziehe mir einen Stuhl unter dem Tisch hervor. Setze mich.
Sie zuckt mit den Schultern, sieht mich an, während sie einen Teebeutel in die Tasse hängt. Barry’s Tea. Der aber in Deutschland beschissen schmeckt – muss am Wasser liegen. Diese leidige Erfahrung müssen alle Iren in Deutschland machen.
Ist mir gerade völlig Latte. ‚Und?‘, bohre ich nach.
Sie kommt rüber zum Tisch, stellt mir den Becher hin. Setzt sich ebenfalls. ‚Die Kurden haben Scheiß gebaut. Haben mich etwas rau rumgestoßen.‘ Ein weiteres Zucken mit den Schultern, ein direkter Blick in meine Augen. ‚Ich konnte eine Woche nicht richtig laufen. Der Knacks hat die Wirbelsäule erwischt.‘
Ich muss an ihre Worte über die Maschine denken. ‚Warum sollte die Maschine dir helfen? Bowman ist tot.‘
‚Den hast du also auch umgelegt. Wo auch immer du hinkommst, bringst du den Tod. Du bist die bean sídhe, Gordon Corker!‘
Ich verziehe das Gesicht. Bin schon viel beschimpft worden, aber als Todesfee noch nicht. Und woher zum Teufel kennt sie den Namen Gordon? Ich lasse die Nacht in der Kneipe mit Bowman und den Kurden Revue passieren, erinnere mich nicht. Bowman alias Dougherty hatte den Namen benutzt. Schüttele unwillig den Kopf.
Sie fährt fort, die Stimme wird lauter: ‚Brian kommt, weil er mich liebt, verstehst du? Weil ich ihm etwas bedeute. Er ist mein Prinz!‘
Die Vorstellung von dem eiskalten Arschloch Machine als Prinzen amüsiert mich. ‚Wofür das alles?‘
Sie mustert mich aufmerksam. Ich versuche zu erraten, was hinter ihren dunklen Augen vorgeht.
Endlich antwortet sie: ‚Du raffst es wirklich nicht, oder? Du bist das dämlichste Arschloch, was mir jemals untergekommen ist, Corker.‘ Kurz bevor sie einen weiteren Schluck aus ihrer Tasse nimmt, seufzt sie.
Fassungslos starre ich sie an. Sehe erst auf die Schrotflinte in meinen Händen, auf sie - überlege, ob ich nicht einfach aufstehen und sie aus dem Fenster blasen soll. Die kleine Schlampe hat vielleicht Nerven.
‚Hast du Bowman die ganzen Informationen über mich geliefert? Wer bist du?‘ Als könnte ich so klarer sehen, haben sich meine Augen zu Schlitzen verengt.
‚Du hast mich benutzt und weggeworfen wie ein gebrauchtes Kondom, Corker‘, speit sie mir als Antwort entgegen. In ihren Augen flackert die Wut. ‚Wegen dir habe ich Dave verlassen. Ich hätte alles für dich getan – alles. Du widerliches Arschloch.‘
Klack-klack-klack fällt alles an seinen richtigen Platz, wie ein Rubick’s Cube mit der letzten Drehung, wie der richtige Tetris-Stein, der den Bildschirm leert.
Jesse!
Bilder von Rathlin-Island, von ihr und Dave, von ihr und mir, flashen mir durch das Hirn. Ihr überzogenes Make-Up, ihre unmöglichen Haare, das auffällige Outfit – alles platzt von ihr ab, lässt nur noch die jugendliche Jesse übrig. Die Jesse, die ich bei Mondschein in der Bucht von Rathlin auf dem weichen Sand gevögelt hatte.
Ich schüttele den Kopf, um die Spinnweben loszuwerden.
‚Begreifst du jetzt endlich?‘, giftet sie mich an. ‚Ich habe das alles getan, um dich zu bestrafen, Corker. Um dich auf die Knie zu zwingen, endlich deinen beschissenen Stolz zu brechen. Ich habe dich geliebt!‘
Tränen laufen ihr Gesicht herunter, verschmieren ihr Make-Up wie an jenem Tag, als das Goth-Girl zu mir unter die Dusche gestiegen ist. Jesse hat nie Schminke getragen.
Aber der aufsteigende Schmerz, das Salz auf ihren Wangen mildert ihre Wut nicht ab. Immer noch starrt sie mich mit verzerrtem Gesicht an, als würde sie mich am liebsten mit bloßen Händen töten.
‚Er wird dich umbringen, Gordon, ganz langsam – er wird dich für mich töten!‘, zischt sie heiser.

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